In den Frontstaaten beiderseits des neuen Eisernen Vorhangs – Eindrücke einer Reise nach Belarus
Eindrücke einer Reise nach Belarus
Ein Reiseerlebnisbericht von Manfred Suchan
1. Einleitung
Die Berliner Mauer trennte 28 Jahre lang vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989 den westlichen Teil der Metropole Berlin vom östlichen Teil. Diese Trennung innerhalb Berlins setzte sich fort zum Einen in der Trennung der Bundesrepublik Deutschland von der Deutschen Demokratischen Republik, zum Anderen in der Spaltung Europas in eine westliche und eine östliche, „real-sozialistische“ Hälfte durch den sogenannten „Eisernen Vorhang“, und des Weiteren in der Bipolarität des internationalen Staatensystems in Zeitalter des Ost-West-Konflikts und der Blockkonfrontation.
Heute besteht auf dem ehemaligen Mauerstreifen der Metropole Berlin ein Grünzug, das „Grüne Band Berlin“, entlang dem der Mauerradweg verläuft. Vom Mauerradweg aus hat man Anschluß an das Radweg-Knotenpunktsystem von Brandenburg sowie an das europäische Radrouten-Netz „Eurovelo“. Der ehemalige Mauerstreifen bildet eine ausgeprägte Siedlungs- und Bebauungsgrenze, die als „Stadtkante“ den urbanen Raum der Metropole Berlin vom umgebenen Ländlichen Raum Brandenburgs trennt. Der Grünzug des ehemaligen Mauerstreifens, das „Grüne Band Berlin“, schafft in einer intensiv genutzten Agrarlandschaft und einer intensiv bebauten Stadtlandschaft einen Biotopverbund. In größerem Maßstab werden solche Biotopverbunde durch des „Grüne Band Deutschland“ entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze geschaffen, sowie durch das „Grüne Band Europa„, das entlang dem naturnah belassenen Grenzstreifen des ehemaligen „Eisernen Vorhanges“ durch Europa über eine Gesamtlänge von über 12.500 Kilometern verläuft.
Globalhistorisch betrachtet endete 1989 mit der Öffnung der Berliner Mauer (1) vor 35 Jahren das kurze, extreme 20. Jahrhundert (2), das mit dem Ersten Weltkrieg als der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts begonnen hatte. Der „Mauerfall“ (3) war Folge der Forderung nach Reisefreiheit (4), und diese Reisefreiheit war in Folge des Ersten Weltkriegs weltweit weitgehend verloren gegangen. Dieser weltweite Verlust der Reisefreiheit ist ein Element, das das 20. Jahrhundert zu einem extremen Jahrhundert macht.
Aufgrund des Fortbestandes wesentlicher, für das extreme 20. Jahrhundert typischer Merkmale (5) hält das extreme 20. Jahrhundert jedoch bis heute weiter an, und es erfährt seine technologische Modernisierung. Es mangelt an zukunftsweisenden Alternativen, und ein Wechsel der Agenda (6) steht noch aus, sodaß der Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung (7) in seinem Text: „Geopolitik nach dem Kalten Krieg: ein Essay zur Agendatheorie“ zu der Schlußfolgerung gelangt, „daß die politische Klasse dieser Erde ein momentanes geopolitisches Agendavakuum mit unvollendeten Agenden der Vergangenheit füllt (…). Die politische Klasse hat nicht umgedacht, und das liegt nur teilweise daran, daß sie keine Zeit für kreative Aktivitäten hatte“ (8). Noch erfolgte kein vollständiger historischer Bruch mit dem extremen 20. Jahrhundert und es erfolgte keine vollständige Revision (9) der dieses extreme 20. Jahrhundert ermöglichenden Ideen und Konzepte, da wesentliche, das extreme 20. Jahrhundert prägende und konstituierende Merkmale fortbestehen, sodaß sich das extreme 20. Jahrhundert heute digitaltechnisch modernisiert ins 21. Jahrhundert verlängert und die abschließende Historisierung des extremen 20. Jahrhunderts durch den Historiker Eric Hobsbawm (1917–2012) als „Das Zeitalter der Extreme“ (10) zu früh erfolgt ist. Wie die auch nach der vermeintlichen Epochenwende 1989/90 fortbestehenden Krisen, Konflikte und Kriege zeigen, setzt sich das extreme 20. Jahrhundert als „Zeitalter der Extreme“ vielmehr im 21. Jahrhundert weiter fort, da wesentliche das extreme 20. Jahrhundert prägende Merkmale weiter fortbestehen, diese sich einem historischen Bruch verweigern und ihre Kontinuität ins 21. Jahrhundert verlängern.
1989/90 bestand die Hoffnung auf ein neues Zeitalter des Friedens und der Kooperation. Doch heute finden wieder Geopolitik (11) und Machtpolitik statt. Eine kritische Reflektion der seit 1989/90 erfolgten Entwicklungen erfolgt jedoch kaum. Eine Bilanz der seit 1989/90 erfolgten Entwicklungen ist desaströs: Europa hat sich von den Intentionen des KSZE-Prozesses (12) verabschiedet. Ein neuer Kalter Krieg ist entstanden (13). Heute ist Europa wieder gespalten und wird von einem neuen „Eisernen Vorhang“ (14) durchzogen, der entlang der östlichen Außengrenzen der Europäischen Union verläuft.
Während die Mauergesellschaft in der ehemaligen Mauerstadt Berlin aus Anlaß von „35 Jahren Mauerfall“ (15) am 09.11.2024 aufgefordert wird: „Haltet die Freiheit hoch!“, wird hingegen mit der feststellbaren Zunahme globaler Krisen und dem Anwachsen geopolitischer Rivalitäten und Spannungen das Bestreben der Staaten zu zunehmender Überwachung, Kontrolle und sozialtechnischer Zurichtung der Bevölkerung zunehmen (16), sodaß bei realistischer Betrachtung der globalen Entwicklungen wir im digitaltechnischen Zeitalter unsere Freiheit einschließlich der Reisefreiheit möglicherweise vollständig und dauerhaft verlieren werden (17). Die gegenwärtigen Entwicklungen sind allgemein und weltweit und insbesondere auch in Europa von totalitären Tendenzen, zunehmender Repression und der Elimination von Alternativen geprägt.
Die eingeschränkte Sicht und der begrenzte Horizont, der in diesem Jahr 2024 anläßlich von „35 Jahren Mauerfall“ in der Mauerstadt Berlin deutlich wurde, muß eine Herausforderung sein, den beschränkten Blick einer Berliner Mauergesellschaft zu überwinden, um sich selbst ein Bild von den Verhältnissen in Europa zu machen, insbesondere von den Verhältnissen in den Frontstaaten beiderseits des neuen „Eisernen Vorhangs“, der heute erneut Europa spaltet. Eine Reise ist geeignet, sich selbst ein Bild zu machen, jenseits der Propaganda der Massenmedien. Für den Zeitraum vom 19.07.2024 bis zum 31.12.2024 hat die Regierung der Republik Belarus (18) visafreies Reisen nach Belarus für die Bürger von 34 Ländern einschließlich der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht (19). Explizit die Bürger der Bundesrepublik Deutschland werden zu einer Reise nach Belarus eingeladen (20). Zweifellos knüpft die einseitig verkündete Visafreiheit an die Intentionen des KSZE-Prozesses an, und sie ist in Zeiten zunehmender Spannungen in Europa ein Beitrag zur Entspannungspolitik (21).
Diese einseitig gewährte Möglichkeit visafreien Reisens nutzte ich im November 2024 für eine Reise nach Belarus. Dabei besuchte ich in Form einer Rundreise per Reisebus von Berlin aus vier Städte in den Frontstaaten beiderseits des neuen Eisernen Vorhangs: Vilnius, Minsk, Hrodna/Grodno und Bialystok.
2. Inhalt
1. Einleitung
2. Inhalt
3. 35 Jahre Mauerfall
4. Entspannungspolitik und Reisefreiheit
5. Auf der „Autobahn der Freiheit“ in die östliche Ostseeregion
6. Vilnius, ein Stadtschicksal im extremen 20. Jahrhundert
7. Das Ende der Reisefreiheit im extremen 20. Jahrhundert
8. Užupis und die Relevanz von Alternativkultur in Europa
9. Geopolitik und die alternativlose Affirmation des Bestehenden
10. Minsk, eine Heldenstadt des real-existierenden Sozialismus
11. Hrodna/Grodno und die Auflösung des Staates Polen-Litauen
12. Bialystok oder: Sibirien als wahrnehmungsgeographische Kategorie
13. Anmerkungen
3. 35 Jahre Mauerfall
Die Öffnung der Berliner Mauer in der Nacht von Donnerstag, dem 9. November 1989, auf Freitag, den 10. November 1989, war die Folge der Forderung nach Reisefreiheit. Dieser „Mauerfall“ am 09.11.1989 in Berlin kann zweifellos als das bedeutendste Ereignis während der friedlichen Revolution in der DDR (22) gelten. In Folge und aus Anlaß des „Mauerfalls“ am 09.11.1989 finden im Zentrum der ehemaligen Mauerstadt Berlin in regelmäßiger Folge und insbesondere alle fünf Jahre in größerem Umfang staatsoffizielle Veranstaltungen und Events statt, und so auch im Jahr 2024 anläßlich von „35 Jahren Mauerfall“. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen war jedoch im Jahr 2024 noch mehr als in den Vorjahren nicht zu erwarten, daß es in diesem Rahmen eine kritische Reflektion der seit 1989/90 erfolgten Entwicklungen geben wird. Eine Bilanz dieser Entwicklungen ist desaströs: Europa hat sich von den Intentionen des KSZE-Prozesses verabschiedet. Heute ist Europa wieder gespalten und wird von einem neuen „Eisernen Vorhang“ durchzogen, der entlang der östlichen Außengrenzen der Europäischen Union verläuft. Ein neuer Kalter Krieg ist in der Ukraine in einen „heißen“ Krieg übergegangen. 1989/90 bestand die Hoffnung auf ein neues Zeitalter des Friedens und der Kooperation. Doch heute finden wieder Geopolitik und Machtpolitik statt. Es ist eine neue Zuspitzung von globalen Gegensätzen zwischen Machtblöcken feststellbar, vergleichbar mit dem Zeitalter des Imperialismus, das in zwei Weltkriegen gipfelte, und es findet gerade ein „Wettlauf“ (scramble) (23) um eine Neuverteilung raumrelevanter Interessen- und Einflußzonen zur zukünftigen Absicherung von Herrschaftsansprüchen statt. Die gegenwärtigen Entwicklungen sind allgemein und weltweit und insbesondere auch in Europa von totalitären Tendenzen, zunehmender Repression und der Elimination von Alternativen geprägt.
Bei den Ereignissen der Jahre 1989/90 sind vier Ebenen zu unterscheiden: Berlin, Deutschland, Europa, Welt. Die Organisatoren des Events „35 Jahren Mauerfall“ im Jahre 2024 beschränkten sich jedoch weitgehend auf die Ebene Berlins als „Mauergesellschaft“ einer „Mauerstadt“, sodaß die Sicht auf die Ereignisse und Entwicklungen in ihrer Gesamtheit beengt und beschränkt, piefig und provinziell bleiben mußte. Die Mauer, die sowohl Berlin (West) als auch die DDR umschloß, bildete ein konzentrisches System von Inklusionen und Exklusionen, und sie begrenzte und beschränkte den Horizont der Weltsicht der jeweils Eingeschlossenen sowohl in Berlin (West) als auch in der DDR. Mit dieser Horizontbegrenzung prägte und präformierte die Berliner Mauer nachhaltig und bis heute das Weltbild und die Weltanschauung der Eingeschlossenen sowohl im Westteil, als auch im Ostteil der Mauerstadt Berlin, und diese Horizontbegrenzung ist das herausragende Merkmal, das die urbane Gesellschaft der Mauerstadt Berlin zur Mauergesellschaft macht (23a).
Dahingegen hatte es vor 10 Jahren anläßlich von „25 Jahren Mauerfall“ im Jahre 2014 noch verschiedene Beiträge und Reden mit einer kritischen Reflektion der seit 1989/90 erfolgten Entwicklungen gegeben, darunter eine Rede von Michail S. Gorbatschow (24). Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt sagte Gorbatschow: „Die Welt ist an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg. Manche sagen, er hat schon begonnen.“ In den vergangenen Monaten habe sich ein „Zusammenbruch des Vertrauens“ vollzogen. Die Ereignisse seien die Konsequenzen aus einer kurzsichtigen Politik. Es sei der Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Interessen des Partners zu ignorieren. Gorbatschow warf dem Westen und insbesondere den USA vor, ihre Versprechen nach der Wende 1989 nicht gehalten zu haben. Stattdessen habe man sich zum Sieger im Kalten Krieg erklärt und Vorteile aus Russlands Schwäche gezogen. Die Vertrauenskrise belaste auch die Beziehungen zu Deutschland. „Hier in Berlin, zum Jahrestag des Mauerfalls, muss ich feststellen, dass all dies auch negative Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland hat“, sagte Gorbatschow. „Lasst uns daran erinnern, dass es ohne deutsch-russische Partnerschaft keine Sicherheit in Europa geben kann.“ Bereits in den neunziger Jahren habe der Westen begonnen, im Verhältnis zu Russland das Vertrauen zu untergraben, das die friedliche Revolution in Deutschland und in Osteuropa möglich gemacht habe. Gorbatschow nennt Beispiele, an denen sich die Geringschätzung Russlands durch den Westen ablesen lasse: Die Jugoslawienkriege (25) und der Weg zur Nato-Erweiterung (26), außerdem Irak, Libyen, Syrien. „Und wer leidet am meisten unter der Entwicklung? Es ist Europa, unser gemeinsames Haus.“
Im Programm des Jahres 2024 war Vergleichbares nicht zu finden. Im Zentrum des Events im Jahre 2024 anläßlich von „35 Jahren Mauerfall“ unter dem Motto: „Haltet die Freiheit hoch“ stand eine Open Air Installation mit Plakaten und Transparenten, die über eine Distanz von vier Kilometern dem ehemaligen Verlauf der Mauer im Stadtzentrum folgte. In dieser Open Air Ausstellung machten die historischen Plakate, die im Rahmen der Ereignisse um 1989 entstanden, allerdings nur einen sehr kleinen Teil aus. Die Masse der ausgestellten Plakate wurde von einer Vielzahl von Personen kurz zuvor für diese Ausstellung gestaltet.
Lediglich eine Ausstellung überschritt den begrenzten Blick auf die berliner Ereignisse und sie erweitert den Horizont. Diese Ausstellung hat den Titel: „China ist nicht fern! – 35 Jahre Tiananmen“. Thema dieser Ausstellung, die von einer „Axel Springer Freedom Fundation“ konzipiert wurde, ist die Demokratiebewegung in der Volksrepublik China und ihre Zerschlagung im Juni 1989 (27). Die Kenntnis dieser Ereignisse in der Volksrepublik China (28) ist in Europa bislang oberflächlich und lückenhaft, sodaß die Ausstellung einen Beitrag zur Aufklärung leistet. Diese Ausstellung ist dreisprachig konzipiert (chinesisch, englisch, deutsch), und anhand von Reportagen, Fotos und Zeitungsartikeln wird der Verlauf der Ereignisse dargestellt. Meines Erachtens kann die gewaltsame Niederschlagung der Demokratiebewegung in der VR China als das Bestreben der Staatsführung der VR China aufgefaßt werden, eine Übertragung der Reformpolitik von Michail S. Gorbatschow auf die VR China zu verhindern. In der DDR bestand im November 1989 kurzzeitig die Befürchtung, daß die Staatsführung der DDR sich zur Niederschlagung der Bürgerrechtsbewegung in der DDR an der gewaltsamen „chinesischen Lösung“ (29) orientieren würde, was dann glücklicherweise nicht erfolgte, und auch die Staatsführung der DDR setzte dann anders als in der VR China die Reformpolitik von Gorbatschow um, und zahlreiche ihrer Vertreter beteiligten sich an der friedlichen Revolution in der DDR (Beispiel: „Runder Tisch“ (30)). Die Ausstellung bietet zudem zahlreiche Beiträge von Zeitzeugen der Ereignisse in der VR China, wobei einige der Zeitzeugen die westlichen Länder kritisieren, da diese kritiklos mit der VR China Geschäfte machen, wobei durch das Wirtschaftswachstum in der VR China die Möglichkeiten der Staatsführung vermehrt würden, ihre Macht nach innen und außen auszuweiten. Mit dieser wachsenden Macht gewänne das „chinesische Modell“ der VR China weltweit zunehmend an Attraktivität. Folge sei, daß eine Demokratiebewegung in der VR China heute sehr viel weniger Chancen habe, als im Jahre 1989.
Heute zeichnet sich ein zukünftiges neues globales Zeitalter der Bipolarität ab mit den Supermächten USA und VR China als Antagonisten. Die globale Attraktivität des „Chinesischen Modells“ besteht darin, daß es verspricht, auf sozialtechnischem Wege (Social Engineering) und mittels der Möglichkeiten der digitalen Technik die vollkommen harmonische und konfliktfreie Gesellschaft zu schaffen, was Ziel des sogenannten „Sozialkredit-Systems“ (31) der VR China ist. Das „Sozialkredit-Systems“ der VR China ist ein „vollkommen neuzeitliches und modernes“ Konzept des Regierens moderner Massengesellschaften. Das „Sozialkredit-System“ teilt den Menschen unterschiedliche Rechte und Lebenschancen zu, und es stellt den Versuch einer totalen Kontrolle der Bevölkerung dar. Diesen Versuch einer totalen Kontrolle der Bevölkerung mittels dieses „Sozialkredit-Systems“ bezeichnet der Sinologe Kai Strittmatter in seinem Buch: „Die Neuerfindung der Diktatur. Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert“ als „die Rückkehr das Totalitarismus in digitalem Gewand“, und er führt weiter aus: „Der neue Totalitarismus wäre ein weit perfekterer als der, den wir von Mao und Stalin kennen, mit Zugriffs- und Steuerungsmöglichkeiten ungeahnten Ausmaßes, da wir alle unsere Hirne ausgelagert haben in Smartphones, da wir unser Leben Schritt für Schritt und Gedanke für Gedanke in digitalen Netzen leben und aufzeichnen. Und das Beste: Anders als der alte Totalitarismus kann der neue darauf verzichten, den Terror zum Alltag zu machen, es genügt, wenn die Gewalt weiter unterschwellig als bedrohliche Möglichkeit präsent ist“ (32). Dies bestätigt die Juristin Yvonne Hofstetter in ihrem Buch: „Der unsichtbare Krieg. Wie die Digitalisierung Sicherheit und Stabilität in der Welt bedroht“: „Wie Kontrolle im Inland aussieht, führt uns das digitale Sozialkreditsystem Chinas vor. Daten gepaart mit den Auswertungskapazitäten künstlicher Intelligenz lassen die Kategorisierung aller Chinesen in ‚guter Bürger‘ und ‚schlechter Bürger‘ zu – und damit eine neototalitäre Herrschaft über das chinesische Volk. (…) Neototalitär ist die chinesische Herrschaft vor allem deshalb, weil die Autorität des Staatsapparats nicht mehr auf eine gewaltsame Erziehung der Bevölkerung zurückgreifen muss. Im 21. Jahrhundert lässt sich Gewalt durch ubiquitäre Überwachungstechnologie ersetzen. An die Stelle physischer Zwangsausübung tritt ein System von Belohnung und Bestrafung, von gesellschaftlichen und finanziellen Privilegien und Nachteilen, je nach Wohlverhalten oder Ungehorsam einer Person. Der digitale Fortschritt erlaubt die gewaltlose Unterdrückung von Menschen“ (33). Auf Grundlage der neuen technologischen Möglichkeiten entsteht im Rahmen der derzeit stattfindenden Digitaltechnischen Revolution ein gänzlich neuartiger, technologisch modernisierter Totalitarismus, der die Totalitarismen des extremen 20. Jahrhunderts als rückständige, technologisch unausgereifte Frühformen totalitärer Vergesellschaftung erscheinen lassen wird.
Das chinesische Sozialkredit-System zeigt, daß nicht nur in den USA (34) der Totalitarismus im Digitaltechnischen Zeitalter neu erfunden wird, sondern auch in China, und es erscheint nur noch als eine Frage der Zeit, wann dieses Sozialkredit-System auch in Europa und weiteren Ländern als ein „vollkommen neuzeitliches und modernes“ Konzept des Regierens moderner Massengesellschaften übernommen wird. Die VR China ist eins von vielen weiteren Beispielen in der Welt, wo neuzeitliche und moderne Ideen und Konzepte aus Europa erfolgreich übernommen und umgesetzt worden sind, und nach dem Ende der „realsozialistischen“ Variante der industriellen Moderne der Sowjetunion als Systemalternative erhebt nun das chinesische Modell der industriellen Moderne der VR China den Anspruch einer Alternative zur westlichen Variante der industriellen Moderne. Möglicherweise findet in der VR China das Zeitalter der industriellen Moderne seine idealtypische Ausprägung und Vollendung, indem es sich als ein „vollkommen neuzeitliches und modernes“ globales Modell im digitaltechnischen Zeitalter weltweit durchsetzt.
Dieses „chinesische Modell“ wird mit der wachsenden Macht der VR China zunehmend an weltweiter Attraktivität gewinnen, und mit der feststellbaren Zunahme globaler Krisen und Konflikte werden immer mehr Regierungen zur Kontrolle und Überwachung ihrer Bevölkerungen und zur sozialtechnischen Produktion einer harmonischen, konfliktfreien Gesellschaft das „chinesische Modell“ übernehmen wollen, sodaß es eine denkbare Möglichkeit ist, daß die VR China aus dem neuen Zeitalter der Bipolarität und Blockkonfrontation als die neue „einzige Weltmacht“ der Zukunft hervorgehen wird (35). Meines Erachtens befördert die neue Spaltung Europas mit einem neuen „Eisernen Vorhang“ entlang der Außengrenzen der EU und einem neuen Kalten Krieg den hegemonialen Aufstieg der VR China zur möglicherweise einzigen und möglicherweise letzten zukünftigen Weltmacht.
Diese neue Spaltung Europas ist ein Produkt der Geopolitik der USA, und sie dient zum Schaden Europas und entgegen den Interessen Europas den geopolitischen Interessen der USA, die aus dem Zeitalter der Blockkonfrontation und der Bipolarität (36) des Staatensystems in Folge der Ereignisse 1989/90 als „einzige Weltmacht“ (Zbigniew Brzezinski) hervorgegangen sind. In seinem Buch: „Die Einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (37) gewährt der Politikwissenschaftler Zbigniew Brzezińsky (1928-2017) Einblick in die geopolitischen Hintergründe der us-amerikanischen Strategie der Vorherrschaft: „Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird – und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann. (…) Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird“, denn: „Dieses riesige, merkwürdig geformte eurasische Schachbrett – das sich von Lissabon bis Wladiwostok erstreckt – ist der Schauplatz des global play“. Des Weiteren stellt Brzeziński dort fest, der eurasische Kontinent sei „von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersäht, von denen einige allzu gern noch fester an Washington gebunden wären“, und: „Eurasien ist der Ort, auf dem Amerika irgendwann ein potentieller Nebenbuhler um die Weltmacht erwachsen könnte. Eine amerikanische Geostrategie, die die geopolitischen Interessen der USA in Eurasien langfristig sichern soll, wird sich damit als erstes auf die Hauptakteure konzentrieren und eine entsprechende Einschätzung des Terrains vornehmen müssen“, sowie: „Bedient man sich einer Terminologie, die an das brutale Zeitalter der alten Weltreiche gemahnt, so lauten die drei großen Imperative imperialer Geostrategie: Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, daß die ‚Barbaren’völker sich nicht zusammenschließen“.
In seinem Buch „Wir brauchen eine neue Ostpolitik. Russland als Partner“ stellt der ehemalige Umweltminister von Brandenburg, Matthias Platzeck fest: „Die Politik in Europa und in Deutschland hat es nicht für wert erachtet, sich mit den russischen Vorschlägen, mit denen sich – wie 1990 in der Charta von Paris beschworen – eine historische Chance für den Kontinent auftat, überhaupt auseinanderzusetzen, geschweige denn darauf einzugehen. (…) In der Bilanz muß man feststellen, dass Russland nach der Unterzeichnung der Charta von Paris eigentlich nie zu einem gleichberechtigten Gesprächspartner für die westliche Welt geworden ist“ (38). Die aus geopolitischen Interessen der USA betriebene Spaltung Europas führt dazu, daß das von Europa abgewiesene Rußland sich mit China verbündet (39), womit der hegemoniale Aufstieg der VR China zur möglicherweise einzigen und möglicherweise letzten zukünftigen Weltmacht erheblich befördert wird.
Während die Mauergesellschaft mit beengter und beschränkter Sicht in der ehemaligen Mauerstadt Berlin aus Anlaß von „35 Jahren Mauerfall“ aufgefordert wird: „Haltet die Freiheit hoch!“, wird hingegen mit der feststellbaren Zunahme globaler Krisen und Konflikte sowie dem Anwachsen geopolitischer Rivalitäten und Spannungen das Bestreben der Staaten zu zunehmender Überwachung, Kontrolle und sozialtechnischer Zurichtung der Bevölkerung zunehmen, sodaß bei realistischer Betrachtung der globalen Entwicklungen wir im digitaltechnischen Zeitalter unsere Freiheit einschließlich der Reisefreiheit möglicherweise vollständig, dauerhaft und unwiederbringbar verlieren werden.
4. Entspannungspolitik und Reisefreiheit
Die eingeschränkte Sicht und der begrenzte Horizont, der in der Mauerstadt Berlin im Jahr 2024 anläßlich von „35 Jahren Mauerfall“ deutlich wurde, muß eine Herausforderung sein, den beschränkten Blick einer Berliner Mauergesellschaft zu überwinden, um sich selbst ein Bild von den Verhältnissen in Europa zu machen, insbesondere von den Verhältnissen in den Frontstaaten beiderseits des neuen „Eisernen Vorhangs“, der heute erneut Europa spaltet. Eine Reise ist geeignet, sich selbst ein Bild zu machen, jenseits der Propaganda der Massenmedien. Bei Recherchen treffe ich auf die Information, daß die Regierung der Republik Belarus für den Zeitraum vom 19.07.2024 bis zum 31.12.2024 visafreies Reisen nach Belarus für die Bürger von 34 Ländern einschließlich der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht. Explizit die Bürger der Bundesrepublik Deutschland werden zu einer Reise nach Belarus eingeladen. Zweifellos knüpft die einseitig verkündete Visafreiheit an die Intentionen des KSZE-Prozesses an, und sie ist in Zeiten zunehmender Spannungen in Europa ein Beitrag zur Entspannungspolitik. Diese einseitig verkündete Visafreiheit sollte im gesamten Europa als Aufforderung verstanden werden, den KSZE-Prozeß wiederzubeleben.
Der KSZE-Prozeß war der zentrale Bestandteil der Entspannungspolitik, und er hatte entscheidend dazu beigetragen, daß der Ost-West-Konflikt (40) und das Zeitalter der Bipolarität und der Blockkonfrontation ein Ende finden konnten. Getragen war die Entspannungspolitik von dem Konzept „Wandel durch Annäherung“ (41), und der gesamte KSZE-Prozeß war von diesem Konzept geprägt und durchdrungen. Wie in der Schlußakte von Helsinki der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) vom 01.08.1975 über die Grenzen des „Eisernen Vorhangs“ hinweg vereinbart wurde, war Ziel des KSZE-Prozesses u.a. „die Stärkung freundschaftlicher Beziehungen und des Vertrauens zwischen den Völkern“, was u.a. erfolgen sollte durch die „Entwicklung von Kontakten“ zwischen den Menschen, dies auch durch Förderung von „Möglichkeiten für umfassendes Reisen“, sodaß „der Tourismus zu einer vollständigen Kenntnis des Lebens, der Kultur und der Geschichte anderer Länder, zu wachsendem Verständnis zwischen den Völkern, zur Verbesserung der Kontakte (…) beiträgt“ wofür „die Entwicklung des Tourismus auf individueller und kollektiver Grundlage zu fördern“ ist. Des Weiteren war Ziel „eine Steigerung des Austausches (…) von Informationen“, und eine „wirksame Ausübung“ von „Menschenrechten und Grundfreiheiten“ zu „fördern und ermutigen“. Mit der Charta von Paris (42) vom 21.11.1990 erklärte die KSZE den Ost-West-Konflikt für beendet, und es bestand die Hoffnung auf ein neues Zeitalter des Friedens und der Kooperation.
Zwar hatte die KSZE in ihrer Charta von Paris im November 1990 den Ost-West-Konflikt für beendet erklärt, am 1. Juli 1991 wurde der Warschauer Pakt aufgelöst (43) und das sowjetische Militär wurde aus der östlichen Hälfte Europas abgezogen. Auch aus Deutschland wurde das sowjetische Militär im Jahre 1994 vollständig abgezogen. Dieser Abzug des sowjetischen Militärs war im Rahmen des Zwei-plus-Vier-Vertrages (44) bis zum 31. Dezember 1994 vereinbart worden. Jedoch wurde die Zusage, die Nato nicht nach Osten auszuweiten, nicht eingehalten (45). Im Zuge der seit 1989/90 erfolgenden geopolitischen Neuaufteilung globaler Interessen- und Einflußzonen erweitert sich parallel und nahezu zeitgleich mit der NATO (46) die Europäische Union (47) als imperialer Akteur immer weiter, und ein Beitritt zur NATO ist faktisch die Voraussetzung für eine Aufnahme in die EU. In ihrem Buch: Das Ende des Imperiums. Was aus den Staaten der Sowjetunion wurde“ stellen die Autoren Thomas Kunze und Thomas Vogel fest: „Das Denken in Blöcken ist noch nicht überwunden“ (48).
Der ehemalige Umweltminister von Brandenburg, Matthias Platzeck stellt in seinem Buch „Wir brauchen eine neue Ostpolitik. Russland als Partner“ rückblickend fest: „Die Euphorie war groß. Der Geist der Zeit spiegelte sich in der Charta von Paris für ein neues Europa wider, die im November 1990 von den USA, der UDSSR und mehr als dreißig europäischen Staaten unterzeichnet wurde. In der Präambel wurde festgehalten: ‚Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. … Europa befreit sich vom Erbe der Vergangenheit. Durch den Mut von Männern und Frauen … bricht in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit an.‘ Der Kampf der Ideologien schien ein für alle Mal beendet, die Frage von Krieg und Frieden in Europa endgültig entschieden. Heute müssen wir feststellen, dass sich die an das Ende des Kalten Krieges geknüpften Hoffnungen nicht erfüllt haben, dass vielmehr die Gräben zwischen Ost und West neu aufgeworfen sind und wir uns wieder als Gegner betrachten. Im Rückblick mutet die Verheißung von damals geradezu blauäugig und naiv an“ (49).
In Europa ist man seit dem KSZE-Prozeß bemüht, die Reisefreiheit im gesamten Europa zu fördern, doch dies wurde nie vollständig erreicht, und heute gibt es wieder zunehmende Rückschritte, denn Europa hat sich mittlerweile vom Sicherheitsverständnis des KSZE-Prozesses verabschiedet. In Europa wird seither „Sicherheit“ nicht mehr verstanden als Ergebnis von Völkerverständigung und wechselseitigem Kennenlernen der Menschen und kulturellem Austausch, sondern nunmehr sicherheitstechnisch durch Aufrüstungen von Grenzregimen und flächendeckender Überwachung und Kontrolle der Menschen, was sich heute im gesamten Europa feststellen läßt. Mittlerweile begrenzt ein neuer „Eiserner Vorhang“ die Reisefreiheit in Europa. Dieser neue „Eiserne Vorhang“ verläuft entlang der Außengrenze der EU, und er prägt den Begriff der „Festung Europa“, denn seit 1989/90 wird die in der östlichen Hälfte Europas erlangte Reisefreiheit von der EU als Bedrohung aufgefaßt, und durch Aufrüstung des Grenzregimes wird versucht, diese neue gewonnene Reisefreiheit in der östlichen Hälfte Europas zu kontrollieren und zu unterbinden.
Daß bis heute nicht eine Reisefreiheit im gesamten Europa erreicht werden konnte, ist hauptsächlich im Prinzip der Gegenseitigkeit begründet, das bei Einreise- und Visa-Bestimmungen allgemein zur Anwendung kommt. Das Prinzip der Gegenseitigkeit bedeutet, daß Staaten wechselseitig ihren Bürgern visafreies Reisen gewähren. Wie ich feststellen konnte, ist es tatsächlich im östlichen Europa die EU, die schon seit Längerem ein visafreies Reisen in der gesamten östlichen Hälfte Europas verhindert: Vorschläge der Regierung Rußlands zur beiderseitigen Visafreiheit wurden bislang von der EU abgelehnt. Die Intentionen das KSZE-Prozesses werden damit konterkariert. Die Autoren Thomas Kunze und Thomas Vogel stellen in ihrem Buch: „Das Ende des Imperiums. Was aus den Staaten der Sowjetunion wurde“ fest: „Trotz jahrelanger Diskussion ist es bis heute nicht gelungen, die Visaschranken zwischen der EU und der Russischen Föderation zu beseitigen“ (50).
Es zeigt sich auch hier, daß sich die westliche Hälfte Europas bequem in ihrer Konsumkultur in der westlichen Hälfte Europas westlich des „Eisernen Vorhangs“ eingerichtet hatte, sie wurde von den Ereignissen der Jahre 1989/90 überrascht, und bis heute zeigt die westliche Hälfte Europas wenig Bereitschaft, die spezifischen Besonderheiten in der östlichen Hälfte Europas verstehen und angemessen berücksichtigen zu wollen. Gleichberechtigte Partnerschaft wird nicht angestrebt, vielmehr erklärte der Westen seinen „Sieg im Kalten Krieg“, und seither soll sich der Osten dem Westen und dessen westlicher Variante der industriellen Moderne anpassen, obwohl die globalen ökologischen Krisen aufzeigen, daß Alternativen jenseits der industriellen Moderne benötigt werden und entwickelt werden müssen. Ergebnis dieser Ignoranz und Arroganz des Westens ist ein neuer „Eiserner Vorhang“, wie wir heute feststellen müssen, und die vom KSZE-Prozeß intendierte Reisefreiheit im gesamten Europa existiert bis heute nicht.
Den gewährten Zeitraum vom 19.07.2024 bis zum 31.12.2024 für visafreies Reisen nach Belarus möchte ich nun für eine Reise nach Belarus nutzen, um dieses in der westlichen Hälfte Europas weitgehend unbekannte Land erstmals kennenzulernen. Diese Reise führte ich mit Uli durch. Uli und ich kennen uns seit Beginn unseres Studiums an der Freien Universität Berlin. An der Freien Universität Berlin hatte ich Geografie mit den Nebenfächern Biologie und Geologie studiert. Während unseres Studiums an der Freien Universität hatten Uli und ich im Studentendorf Schlachtensee (51) gewohnt und uns dort kennengelernt. Schon in der 2. Hälfte der 80er Jahre hatten Uli und ich auf gemeinsamen Reisen in der östlichen Hälfte Europas, konkret: der Volksrepublik Polen (52), feststellen können, daß das von der westlichen Propaganda vermittelte Bild über die dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse zu großen Teilen nicht stimmt. Jetzt wollen Uli und ich die Möglichkeit des visafreien Reisens nutzen, um uns selbst ein Bild von Belarus zu machen. Erst wenige Wochen zuvor hatten wir Anfang Oktober 2024 eine gemeinsame Reise nach Estland unternommen, bei der wir die Freie Stadt und Hansestadt Riga besuchten, sowie die alte Universitätsstadt Tartu/Dorpat (53), die im Jahr 2024 Kulturhauptstadt Europas (54) war, des Weiteren die Grenzstadt Narva (55) und die Freie Stadt und Hansestadt (56) Tallinn/Reval (57).
Unsere Reise nach Belarus hatte ich zuerst für einen Umfang von drei Wochen konzipiert, der Reiseplan wurde dann jedoch aus Termingründen auf einen Umfang von zwei Wochen reduziert. Der endgültige Reiseplan sah nun den Besuch von vier Städten vor, die wir in Form einer Rundreise per Bus von Berlin aus besuchten: Vilnius, Minsk, Hrodna/Grodno, Bialystok. Die Bustickets für die Hin- und Rückfahrt buchte ich mehrere Tage vor der Reise, ebenso unsere Unterkünfte in den vier von uns zu besuchenden Städten. Dabei stellte sich heraus, daß die in Belarus durchaus zahlreich vorhandene Hostels und kostengünstigen Unterkünfte über Wochen hinaus ausgebucht sind, und zwar auf allen üblichen Buchungsportalen im Internet einschließlich der belarussischen Buchungsportale (58). Der Grund kann kaum darin liegen, daß etwa die zweite Hälfte des Novembers eine außergewöhnlich attraktive Reisezeit ist. Vielmehr ging ich davon aus, daß derzeit zahlreiche Touristen die gewährte Möglichkeit des visafreien Reisens nach Belarus nutzen, was sich jedoch später vor Ort als unzutreffend herausstellte. Letztlich gelang es mir nach zeitaufwändiger Recherche Unterkünfte in Belarus über das Buchungsportal „ZenHotels.com“ erfolgreich zu buchen. Bei unserer Reise nutzten wir den Reiseführer „Weissrussland“ der Autoren André Böhm und Maryna Rakhlei (2. Auflage 2019, Teschner Verlag), der sich als informativ und nützlich erwies (59).
5. Auf der „Autobahn der Freiheit“ in die östliche Ostseeregion
Unsere zweiwöchige Reise starteten wir am 10.11.2024, einen Tag nach dem 09.11.2024, dem 35. Jahrestag des „Mauerfalls“. Die Busfahrt zu unserem ersten Reiseziel, der Stadt Vilnius in Litauen, erfolgt vom Zentralen Busbahnhof (ZOB) in Berlin mit Zwischenstops in den Städten Swiebodzin/Schwiebus, Poznan/Posen, Warschau, Białystok, Augustow, Suwałki, Mariampole und Kaunas. Von Berlin bis Posen verläuft die Busfahrt durch eine nahezu geschlossene Kiefernmonokultur der industriellen Forstwirtschaft. Erst ab Posen ist die durchfahrene Landschaft zu größeren Teilen durch Landwirtschaft geprägt. Dies verweist u.a. darauf, daß die Bevölkerungsdichte in den sogenannten „Wiedergewonnenen Gebieten“ (60) nach den dort erfolgten Ethnischen Säuberungen (61) bis heute noch nicht wieder den Stand vor dem extremen 20. Jahrhundert erreicht hat. Diese Kiefernmonokulturen gleichen den ausgedehnten Kiefernwäldern, die heute nahezu das gesamte West-Karelien bedecken, nachdem die ca. 450.000 dort lebenden Finnen nach dem Frieden von Moskau vom 03.04.1940 (62) West-Karelien verlassen mußten (63). Heute ist West-Karelien weitgehend menschenleer und wird von ausgedehnten Kiefernwäldern bedeckt, wie ich bei meiner Fahrradreise durch das nördliche Europa im Jahre 2017 feststellen konnte.
Ein Schild benennt die Autobahn A 10 östlich von Berlin, die das mittlere Europa mit der östlichen Ostseeregion (64) verbindet, „Autobahn der Freiheit“ (65). Offensichtlich ist dies eine Fortsetzung des „Voie de la Liberté“ (66), dessen Meilensteine im gesamten nordwestlichen Europa anzutreffen sind, und dessen Hauptroute von den Landungsstränden der Alliierten in der Normandie des Jahres 1944 (67) durch das nördliche Frankreich, Belgien, Luxemburg und das nördliche Deutschland nach Berlin verläuft.
Während meiner Fahrradreise durch die südliche Nordseeregion im Sommer 2022 habe ich mich in der Normandie an diesen Landungsstränden der Alliierten gründlich umgesehen. In der Normandie ist ein kleiner Ausschnitt des Zweiten Weltkrieges präsent, dem sich dort eine Vielzahl von Gedenkstätten und Museen widmet: Es ist die Landung der Alliierten in der Normandie ab dem 06.06.1944 (Operation Neptune). Des Weiteren habe ich in Flandern (68), an der Somme (69) und bei Verdun (70) verschiedene Museen und Gedenkstätten zum Thema Erster Weltkrieg besucht. Im Vergleich werden erhebliche Unterschiede der Gedenk- und Erinnerungskultur und der Geschichtskultur zum Ersten Weltkrieg und zum Zweiten Weltkrieg deutlich, was noch näher dargestellt wird.
Während meiner Fahrradreisen suche ich geografische Originalschauplätze historischer Ereignisse auf und besuche dort Museen und Gedenkstätten, um dort historische Forschung an geografischen Originalschauplätzen historischer Ereignisse betreiben zu können. Diese Methode geht auf Herodot von Halikarnassos (ca. 490 – 425 v. Chr.) (71) zurück, der sie zur Erforschung der Persischen Kriege (72) angewandt hatte. Beim Historiker und Geografen Herodot von Halikarnassos fasziniert mich, daß er seine historischen Forschungen, wie z.B. zu den Persischen Kriegen, auf ein selbst erarbeitetes breites Wissensfundament stellt, das nahezu das gesamte Wissen seines Zeitalters in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen, wie z.B. Geografie, Völkerkunde, Gesellschaftswissenschaften, Politikwissenschaften, Philosophie u.a.m. umfaßt, sodaß er Geschichtswissenschaft in Form einer Integrationswissenschaft betreibt. Zudem ist er an den Originalschauplätzen historischer Ereignisse herumgereist, hat Zeitzeugen befragt und schriftliche Quellen ausgewertet. Auch der Historiker Thukydides (ca. 460 – 400 v. Chr.) (73) hat eine solche Methodik bei seinen historischen Forschungen zum Peleponnesischen Krieg (74) angewandt, und nach seiner Auffassung macht Geschichte „klug für immer“, denn sie lehrt am Beispiel der Vergangenheit politische Klugheitsregeln für Gegenwart und Zukunft.
In dieser Form gewinnt das Geschichtsbewußtsein (75) einen großen Erfahrungsraum von historischer Tiefe und geografischer Breite, und es überschreitet die engen Grenzen, in denen Geschichte als Tradition lebendig ist. Historisches Denken ist eine eigene Form oder Einstellung des Bewusstseins gegenüber der Welt als Geschichtsbewusstsein. Dem historischen Denken gelten alle gesellschaftlichen Zustände als zufällig-kontingent und veränderbar. Sie haben sich unter mehreren denkbaren Möglichkeiten in der Wirklichkeit so entwickelt (Historizität); die Gründe (Kausalität) dafür zu bestimmen, ist Aufgabe der Geschichtsforschung. Aufgrund der verschiedenen denkbaren Möglichkeiten der historischen Entwicklung sind die historischen Entwicklungen und die gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände auch anders vorstellbar. Vermögen ist ein zentraler Begriff der Philosophie der Antike, insbesondere der aristotelischen Philosophie. Als Vermögen bezeichnet Aristoteles (384-322 v. Chr.) die Eigenschaft einer Substanz, in sich selbst oder in etwas anderem eine bestimmte Art von Veränderung herbeiführen zu können oder zu ermöglichen. Dabei geht es darum, daß durch die Veränderung, falls sie eintritt, etwas Neues erzeugt wird und damit in die Existenz zu treten „vermag“ (daher „Vermögen“). Damit wird etwas zur Wirklichkeit, was zuvor nur potenziell – als bloße Möglichkeit – existiert hat.
Die Frage nach in der Geschichte angelegten möglichen alternativen Entwicklungspfaden und deren Herauspräparation, sowie eine Analyse, aus welchen Umständen und Gründen mögliche, im historischen Prozeß angelegte historische Entwicklungspfade zum Zuge gelangten und andere nicht, ist Aufgabe der sogenannten „Kontrafaktischen Geschichte“. „Kontrafaktische Geschichte“ wird vom geschichtswissenschaftlichen Mainstream als angeblich „unwissenschaftlich“ abgelehnt, da es nicht dem herrschenden geschichtsdeterministischen Dogma entspricht, das den gegenwärtigen Zustand als das quasi alternativlose naturgesetzliche Ergebnis geschichtlicher Entwicklung auffaßt, so, wie bei Isaak Newton (1642-1727) der Apfel immer nur nach unten vom Baum fällt. Andere Möglichkeiten sind ausgeschlossen und undenkbar. Geschichte dient dem Zweck der alternativlosen Affirmation des jeweiligen, letztlich beliebigen Bestehenden. Die Gegenwart wird als alternativloses, determiniertes Ergebnis des historischen Prozesses dargestellt und vermittelt, dessen zwangsläufiges, unausweichbares und alternativloses Ergebnis der jeweilige gegenwärtige Zustand ist. Geschichtsschreibung betrachtet Geschichte immer von ihrem Endpunkt her. Daher muss Geschichte von jedem neuen Endpunkt her neu geschrieben werden, weil sie für jede neue Epoche einen anderen Sinn bekommt. Der Versuch des Historismus, Geschichte ganz aus ihrer Zeit zu verstehen, muß immer unvollkommen bleiben, weil wir das Wissen um den Fortgang der Geschichte nicht ausblenden können.
Das Geschichtsbewusstsein ordnet denkend die äußere Welt mithilfe von historischen Kategorien. Kategorien sind offene Begriffssysteme zur Strukturierung der erfahrbaren Welt. Eine jede Kategorienbildung ist eine notwendige Reduktion der in ihrer unendlichen Komplexität und Interdependenz für die Wahrnehmung über die menschlichen Sinne und den menschlichen Verstand nicht in Gänze erfaßbaren, letztlich unendlichen Wirklichkeit der Welt, um diese begreifen zu können. Begriffsbildung ist eine Form der Kategorienbildung. Die Wörter einer Sprache sind Begriffsbildungen, sodaß jede Sprache den Charakter eines Kategoriensystems zum Zweck der Strukturierung der jeweiligen erfahrbaren Lebenswelt und der Interaktion mit dieser hat (Biokulturelle Diversität). Kategorienbildung ist sowohl Bestandteil als auch Voraussetzung für Erkenntnis durch die menschliche Vernunft. Kategorienbildung ist eine Grundlage einer jeden wissenschaftlichen Disziplin. Eine jede wissenschaftlichen Kategorienbildung muß nach signifikanten, nachvollziehbaren und überzeugend begründeten Kriterien erfolgen. In der Geschichtswissenschaft erfolgt eine Kategorienbildung insbesondere in Form der Bestimmung und Abgrenzung von historischen Zeitaltern, Epochen und Ären und deren Gliederung im Rahmen einer Periodisierung, und das muß nach signifikanten, nachvollziehbaren und überzeugend begründeten Kriterien erfolgen, wenn die Geschichtswissenschaft die Legitimität und Geltung als einer Wissenschaft haben will.
Für das Geschichtsbewußtsein wichtige historische Kategorien und grundlegende Begriffen sind Entwicklung, Fortschritt und Prozess. So werden menschliche Zeiterfahrungen zu Geschichte. Geschichte (76) bezeichnet im weiten Sinne Ablauf und Zusammenhang alles an Zeit und Raum gebundene Geschehen: Erdgeschichte, Naturgeschichte, Menschheitsgeschichte, im engeren Sinne das politisch-soziale Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen in allen seinen zeitlichen Bezügen, d.h. in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Damit unterscheidet sich Geschichte von Vergangenheit. Gegenwart ist der Raum, in dem alle Prozesse ablaufen. Nur durch Aufzeichnung der ablaufenden Prozesse in der Gegenwart entsteht eine fiktive Vergangenheit. Die aufgezeichnete Vergangenheit ist eine Reduktion der in ihrer Komplexität und Interdependenz für den menschlichen Verstand nicht in Gänze erfaßbaren Wirklichkeit, und sie gibt nur ungefähr den kausalen Verlauf der Prozesse wieder. Als das einzige real Existente wird nach Platon (ca. 428-347 v. Chr.) lediglich die Gegenwart angesehen. Die Vergangenheit ist demnach ein nicht existentes theoretisches Gebilde, da für ihre Existenz weder Raum noch Materie zur Verfügung steht. Dieselbe Materie, die Bestandteil vergangener Ereignisse war, ist in der Gegenwart bereits Bestandteil neuer Ereignisse und kann deshalb der Vergangenheit keine Existenz mehr bieten. Genau genommen bezeichnet das Wort „Gegenwart“ auch nicht den Ablauf von Ereignissen, sondern es bezeichnet Raum bzw. Entität. Der reflektierende Verstand lebt nach Meinung vieler Philosophen nur in der Vergangenheit. Um einen Gedanken hervorzubringen, bedürfe es ebenso einer gewissen Zeit und möge diese auch nur allzu kurz sein. Weiterhin müsse diese Idee zum Ausdruck gebracht werden, was wiederum eine gewisse Zeit dauert. Sobald ein Geschehen reflektiert wird, wäre es somit schon Vergangenheit. Damit lässt sich sagen, dass der denkende Geist nur in der Vergangenheit, in der Erinnerung lebt. Gegenwart kann man somit nur unmittelbar, also ohne die Abstraktion des Verstandes erfahren.
Geschichte ist ihrem Wesen nach zugleich der Prozeß ihrer bewußten Aneignung durch den Menschen, durch den Geschichtsbewußtsein entsteht. Geschichtsbewußtsein bildet sich insbesondere, wenn herausfordernde Zeiterfahrungen, wie z.B. Krisen, im Medium der Erinnerung an die Vergangenheit gedeutet werden. Die Brockhaus Enzyklopädie erklärt: „Das Geschichtsbewußtsein bindet die Erfahrung der Gegenwart zurück an die Erfahrung der Vergangenheit und verschmilzt beide in der Vorstellung eines sinnvollen Zeitverlaufs, der sich in die Zukunft erstreckt. Mit der Deutung der Gegenwart über die Erfahrung der Vergangenheit wird somit zugleich eine handlungsleitende Zukunftsperspektive entworfen. Bewußtsein von Geschichte ist also mehr und anders als Bewußtsein von der Vergangenheit; es ist Bewußtsein eines durch produktive Deutung von Zeiterfahrungen erbrachten Zusammenhangs von Erinnerung an die Vergangenheit, Verstehen der Gegenwart und Erwartung der Zukunft. Es wird geprägt durch Zeitverlaufsvorstellungen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft übergreifen. Geschichtsbewußtsein äußert sich in Geschichten. Durch Geschichten verständigen sich Menschen darüber, wer sie sind. Sie ordnen sich durch Geschichten in den zeitlichen Verlauf der Welt ein (…). Menschen können nur handeln, wenn sie eine tragfähige, d.h. praktisch lebbare Vorstellung von sich selber in zeitlicher Perspektive haben“ (77). Geschichtsperspektive ist die individuelle und kollektive Sicht, aus der Geschichte wahrgenommen wird. Dem liegt die Erkenntnis der Tatsache zugrunde, daß eine beobachterunabhängige Erkenntnis der vergangenen historischen Wirklichkeit (d.h. der Vergangenheit) nicht möglich ist, weil jede Aussage über ein Ereignis, ein Datum oder einen Zusammenhang nur von einer bestimmten sozialen, kulturellen oder anderweitig bestimmten Geschichtsperspektive des Betrachters bzw. des Zeitzeugen aus gemacht wird. Deshalb ist Multiperspektivität ist ein grundlegendes Prinzip von Geschichtsdidaktik. Ziel ist Erwerb der Kompetenz zu eigenständigem historischem Denken.
Viele Historiker stellen einen Mangel an Geschichtsbewußtsein und historischem Denken fest, so auch der Historiker Eric Hobsbawm in seinem Buch: „Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts“: „Die Zerstörung der Vergangenheit, oder vielmehr die jenes sozialen Mechanismus, der die Gegenwartserfahrung mit denjenigen früherer Generationen verknüpft, ist eines der charakteristischen und unheimlichsten Phänomene des späten 20. Jahrhunderts. Die meisten jungen Menschen am Ende dieses Jahrhunderts wachsen in einer Art permanenter Gegenwart auf, der jegliche organische Verbindung zur Vergangenheit ihrer eigenen Lebenszeit fehlt. Das läßt Historiker – deren Aufgabe es ist, in Erinnerung zu rufen, was andere vergessen haben – am Ende des zweiten Jahrtausends noch wichtiger werden als je zuvor“ (78). Hobsbawm hebt hervor, daß die Aufgabe des Historikers „nicht die Beurteilung ist, sondern vielmehr das Verstehen – sogar das Verstehen all dessen, was völlig unverständlich erscheint. (…) Es ist das Verstehen, das uns allen schwerfällt“ (78a).
Nach Auffassung des Historikers Theodor Schieder in seinem Text: „Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute“ meint Geschichtsbewußtsein „die ständige Gegenwärtigkeit des Wissens, daß der Mensch und alle von ihm geschaffenen Einrichtungen und Formen seines Zusammenlebens in der Zeit exisitieren, also eine Herkunft und Zukunft haben, daß sie nichts darstellen, was stabil, unveränderlich und ohne Voraussetzungen ist, mag die Gegenwart durch ihren massiven Anspruch auf Totalität, auf die Voraussetzungslosigkeit ihrer Wert- und Zielvorstellungen für den in ihr lebenden Zeitgenossen oft dieses Bewußtsein verdrängen. Geschichtsbewußtsein beruht auf der einen Seite auf dem Bewußtsein der Endlichkeit des jeweils Gegenwärtigen und auf der anderen Seite auf dem Bewußtsein einer über die Gegenwart hinausreichenden Unendlichkeit. (…) Der Mensch wird primär zum Nachdenken über Geschichte angeregt oder in seinem Geschichtsbewußtsein bestimmt durch die Erfahrung, daß alles Geschehen dem Wandel in der Zeit unterworfen ist“, und Schieder verweist darauf, daß sich unser Geschichtsbewußtsein an unserem besonderen Lebenskreis orientiert und wir ihm einen bestimmten Träger zuordnen: „Allerdings: Träger kann auch die Menschheit werden, wenn sie auch für viele heute noch eine abstrakte Allgemeinheit darstellt. Aber je deutlicher es zum Bewußtsein kommen wird, daß die Weltgeschichte der Menschheit für uns nicht ein spekulatives Ziel darstellt, auf das die geschehene Geschichte ausgerichtet wird, sondern daß sie eine gegenwärtige Erfahrung ist, die nach Bestätigung durch Geschichte ruft, wird die Menschheit zum Träger eines menschheitlichen Geschichtsbewußtseins werden können“ (79).
Das individuelle Geschichtsbewußtsein findet somit in der kollektiven Geschichtskultur (80) als Bestandteil eines kollektiven Gedächtnisses (81) seine Entsprechung. Das Ergebnis von Geschichtsbewußtsein ist ein Geschichtsbild (82). Das Geschichtsbild umfaßt, wie die Brockhaus Enzyklopädie erklärt, „die Gesamtheit vorwissenschaftlich oder wissenschaftlich begründeter Vorstellungen, die das Geschichtsbewußtsein eines Menschen, einer Gruppe, eines Volkes oder einer Nation bestimmen; im Wechselspiel mit dem Gegenwartsbewußtsein entstanden, ist es selbst Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses. Das Geschichtsbild des Einzelnen erweist den historischen Standort seines Urteilens und Handelns, das Geschichtsbild von Gruppen, Völkern oder Nationen die Motivation ihrer Zielsetzungen“ (83). Das Geschichtsbild ist Bestandteil des Weltbildes eines Menschen. Weltbilder bieten ein Erklärungsmodell, wie die Welt als Ganzes aufgebaut ist. Weltbilder bilden in Verbindung mit Menschenbildern (84) sowie mit Wert-, Lebens- und Moralauffassungen eine Weltanschauung (85). Die Biologin Lynn Margulis weist in ihrem Buch: „Der symbiotische Planet oder wie die Evolution wirklich verlief“ auf die Bedeutung unseres Weltbildes hin: „Unser Weltbild prägt das, was wir sehen, und die Art und Weise, wie wir etwas lernen. Jede Idee, die wir als Tatsache oder Wahrheit akzeptieren, ist in ein umfassendes Denkgebäude eingebettet, dessen wir uns in der Regel nicht bewusst sind“ (86). Aufklärung hat ihr Ziel erreicht, wenn eine jede Person nichts glaubt, selbst denkt, alles in Frage stellt und überprüft und auf Grundlage eigener Anschauung der Welt und eigener Welterfahrung eine reflektierte Kontrolle über ihre Weltanschauung und deren Zusammensetzung erlangt hat und diese selbst gestaltet.
Verglichen mit der Forschungsmethodik von Herodot und Thukydides ist die Arbeitsweise heutiger Historiker beschränkter und weniger geeignet, bei den behandelten Themen einen Überblick und Durchblick zu erlangen und die historischen Realitäten in ihrer gesamten Komplexität und Interdependenz zu erfassen. Zudem sollte historische Forschung mehr als Feldforschung an den Originalschauplätzen historischer Ereignisse betrieb en werden, wie es schon Herodot als Methode historischer Forschung eingeführt hatte, und wie es bei Ethnologen und Archäologen sowie Bio- und Geowissenschaftlern üblich ist. Tatsächlich verbringen Historiker heute sie meiste Zeit in Archiven und Bibliotheken, und sie verlassen nur selten die bequemen Komfortzonen des sprichwörtlichen „Elfenbeinturms“.
Doch aus diesen Komfortzonen müssen Historiker hinaus, wenn sie einen größeren und bedeutenderen Beitrag zu gesellschaftlicher Aufklärung leisten wollen. Dieser Beitrag zu gesellschaftlicher Aufklärung ist erforderlich, wenn man den allgemeinen Zustand der real-existierenden Gedenk- und Erinnerungskultur (87) im gesamten Europa betrachtet. Der allgemeine Zustand der real-existierenden Gedenk- und Erinnerungskultur wird deutlich, wenn man im gesamten Europa systematisch Denkmäler, Gedenkstätten und Museen besucht. Der Befund der im gesamten Europa angetroffenen real-existierenden Gedenk- und Erinnerungskultur zeigt einen erheblichen Mangel an Reflektion, an Begreifen und Verstehen auf, und er ist ein Feld der Manipulation, Instrumentalisierung und Propaganda (88) der unterschiedlichsten Akteure. Dieser Bereich der Gedenk- und Erinnerungskultur wird gänzlich von Geschichtspolitik (89), Interessenpolitik und Identitätspolitik (90) insbesondere von Nationalisten und Nationalstaaten beherrscht. Nahezu überall werden vorgefertigte Geschichtsbilder präsentiert und propagiert, und es fehlt weitgehend der Anspruch einer Aufklärung, das Publikum darin zu unterstützen, sich auch zu historischen Themen und Fragen eine eigenständige und unabhängige Meinung zu bilden. Noch ist Gedenk- und Erinnerungskultur kein Projekt der Aufklärung, und sie dient vielmehr der alternativlosen Affirmation des letztlich beliebigen Bestehenden. Die Gegenwart wird folglich als alternativloses, determiniertes Ergebnis des historischen Prozesses dargestellt und vermittelt, dessen zwangsläufiges, unausweichbares und alternativloses Ergebnis der jeweilige gegenwärtige Zustand ist, und dies ist im Zeitalter des modernen Nationalismus insbesondere die Nation und der Nationalstaat.
Während meiner Fahrradreise durch die südliche Nordseeregion im Sommer 2022 habe ich mich an geografischen Originalschauplätzen historischer Ereignisse des Ersten Weltkrieges und des Zweiten Weltkrieges gründlich umgesehen, um historische Forschung an geografischen Originalschauplätzen historischer Ereignisse betreiben zu können. Zum Thema Erster Weltkrieg habe ich in Flandern, an der Somme und bei Verdun verschiedene Museen und Gedenkstätten besucht. In der Normandie ist ein kleiner Ausschnitt des Zweiten Weltkrieges präsent, dem sich dort eine Vielzahl von Gedenkstätten und Museen widmet: Es ist die Landung der Alliierten in der Normandie ab dem 06.06.1944 (Operation Neptune). In der Normandie habe ich mich an diesen Landungsstränden der Alliierten umgesehen und verschiedene Museen und Gedenkstätten besucht. Im Vergleich werden erhebliche Unterschiede der Gedenk- und Erinnerungskultur und der Geschichtskultur zum (a) Ersten Weltkrieg und zum (b) Zweiten Weltkrieg deutlich, was im Folgenden näher dargestellt wird:
a) Der Erste Weltkrieg als der erste totale industrielle Krieg und als die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts:
Insbesondere in Flandern, an der Somme und bei Verdun habe ich verschiedene Museen und Gedenkstätten zum Thema Erster Weltkrieg besucht. Der Erste Weltkrieg ist der erste totale industrielle Krieg, und er gilt als die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, was sich dort vor Ort an den Originalschauplätzen der Kriegsereignisse bestätigt. Insbesondere Verdun ist für das massenmordende Abschlachten im Ersten Weltkrieg zum Symbol geworden. So besuchte ich vom 06. bis zum 08.08.2022 Museen und Gedenkstätten zum Thema Erster Weltkrieg bei Verdun. Von vergleichbaren Fortifikationen umgeben wie Verdun ist die Stadt Premissel/Przemyśl in Galizien, die ich vom 22. bis zum 24.09.2021 besucht hatte, und aufgrund der vielen Kriegstoten wurde sie das „Verdun der Ostfront“ genannt (91). Die bedeutendsten Massenvernichtungswaffen dieses totalen industriellen Krieges waren Artilleriegranaten, die ca. 70 % der Kriegstoten verursachten, ca. 22 % wurden durch Maschinengewehre verursacht, und sämtliche andere Todesursachen hatten eine vergleichsweise geringe Bedeutung.
Bei den von mir besuchten Ausstellungen der Museen und der Gedenkstätten zum Thema Erster Weltkrieg zeigt sich jedoch, daß der Horror und das Grauen des Ersten Weltkriegs nicht darstellbar und nicht vermittelbar ist. Allenfalls die extrem hohen Zahlen der nicht identifizierbaren Kriegstoten und der Vermissten verweisen auf diesen Horror: Gemeinsam mit der umgebenden Landschaft, dem Boden und der Vegetation wurden die an die Front geschickten Soldaten insbesondere durch die Wirkung von Artilleriegranaten zu Partikeln, einem Brei, einem Amalgam, einer Matrix zerfetzt und vermischt, und dieses durch die Wucht der Explosionen in die Luft geschleuderte Gemisch regnete zurück auf den Boden, um dort zu sedimentieren. Auf den zahlreichen, in diesen Museen ausgestellten Fotografien zum Ersten Weltkrieg, und auch in präsentierten Filmdokumenten aus diesem Zeitraum ist dieser den Ersten Weltkrieg prägende Horror und das Grauen nahezu nirgends abgebildet, obwohl dieser Horror und das Grauen der zentrale und wesentliche Aspekt des Ersten Weltkriegs als einem totalen industriellen Krieg ist. Möglicherweise läßt sich dieser Horror und das Grauen auch nicht mit den Medien der Fotografie und des Films darstellen und vermitteln, sodaß andere Darstellungsformen erforderlich sind. Die ausgestellten Fotos zum Thema Erster Weltkrieg vermitteln vielmehr eine Atmosphäre im Stile von „Abenteuern eines braven Soldaten Schwejk“ (92). Es stellt sich die Frage, wie Museumsausstellungen und deren museumspädagogische Konzepte gestaltet werden können, sodaß dieser den Ersten Weltkrieg prägende Horror und das Grauen, das der zentrale und wesentliche Aspekt des Ersten Weltkrieges als einem totalen industriellen Krieg ist, in geeigneter Weise dargestellt und vermittelt wird. Sicherlich gelingt dies nicht, wenn sich Museumsausstellungen zum Thema Erster Weltkrieg auf eine Zurschaustellung von altem Kriegsgerät, Uniformen, Orden sowie Darstellungen von Frontverläufen beschränken, wie es leider in den meisten Museen zum Thema Erster Weltkrieg der Fall ist. Insgesamt sind die Museumsausstellungen und deren museumspädagogische Konzepte dokumentarisch angelegt, doch hingegen kaum analytisch und erklärend. So bleiben die Fragen nach den komplexen Ursachen, warum dieser Krieg entstehen konnte, warum er nicht frühzeitig beendet, sondern von allen Kontrahenten immer weiter geführt wurde und warum anschließend kein dauerhafter Friedenszustand geschaffen wurde, weitgehend unbeantwortet.
b) Die Landung der Alliierten in der Normandie ab dem 06.06.1944 als ein kleiner Ausschnitt des Zweiten Weltkrieges:
In der Normandie ist ein kleiner Ausschnitt des Zweiten Weltkrieges präsent, dem sich dort eine Vielzahl von Gedenkstätten und Museen widmet: Es ist die Landung der Alliierten in der Normandie ab dem 06.06.1944. Dieses historische Ereignis wird in den zahlreichen Museen jedoch isoliert betrachtet und dargestellt, und zudem wird das Thema ausschließlich aus einer Perspektive der Alliierten präsentiert. Es stellt sich die Frage der Einbettung dieses historischen Ereignisses in einen historisch-geografischen Gesamtzusammenhang, was hier von den meisten Museen zu diesem Thema jedoch nicht versucht wird.
Noch mehr als bei den Museen zum Thema Erster Weltkrieg sind hier die Museumsausstellungen und deren museumspädagogische Konzepte ausschließlich deskriptiv und dokumentarisch angelegt, nicht jedoch analytisch und erklärend. Statt dessen werden große Mengen an altem Kriegsgerät, militärischer Ausrüstung und Uniformen präsentiert, und ausführlich werden Frontverläufe dargestellt, was jedoch kaum geeignet ist, zu einem Gesamtverständnis des dargestellten kleinen Ausschnittes des Zweiten Weltkrieges in einem Rahmen des Zeitalters der Weltkriege (93) als einem Bestandteil des Zeitalters des Imperialismus und eines extremen 20. Jahrhunderts beizutragen. In den, den Museen angegliederten Museumsläden werden Kriegsspielzeug und Souvenirs verkauft, Fachliteratur ist kaum vorhanden, statt dessen wird eine unübersehbare Anzahl von Einzelaspekten des Zweiten Weltkrieges in Massen von Comics mit bunten Bildern präsentiert.
Unübersehbar ist hier an den Landungsstränden der Alliierten in der Normandie die Gedenk- und Erinnerungskultur noch nicht in einem postheroischen Zeitalter angelangt: Überall in den Gedenkstätten und in den Museen sowie der umgebenden Landschaft wird Heroismus der Kriegsteilnehmer glorifiziert und militärische Siege werden gefeiert. Das geschichtspolitische Ziel ist deutlich erkennbar: Auch in Zukunft sollen aus geopolitischem Kalkül noch Kriege geführt werden können, wie u.a. der Irak-Krieg im Jahre 2003 (94) zeigt, den US-Präsident George W. Bush mit einer „Koalition der Willigen“ (95) führte, und die Gedenk- und Erinnerungskultur soll dafür Grundlagen schaffen: Damit Kriege auch im Zukunft noch weiterhin geführt werden können, müssen diese über die Gedenk- und Erinnerungskultur der Gesellschaft positiv vermittelt werden, und Soldaten müssen durch Internalisierung militärischer Tugenden entsprechend konditioniert werden. Zweifellos ist mit einem größeren zeitlichen Abstand zu den historischen Ereignissen das Reflektionsniveau zum Thema Erster Weltkrieg deutlich größer und distanzierter als aktuell noch zum Thema Zweiter Weltkrieg, wie ein Vergleich der von mir in zahlreichen europäischen Ländern besuchten Museen zu den Themen Erster Weltkrieg und Zweiter Weltkrieg erkennen läßt.
Doch der Befund der im gesamten Europa angetroffenen real-existierenden Gedenk- und Erinnerungskultur zeigt diesen Mangel auf an Reflektion, an Begreifen und Verstehen. Bei der Gedenk- und Erinnerungskultur ist der Schritt von Geschichtspolitik zu Geschichtswissenschaft erforderlich und überfällig. Jegliche Geschichtspolitik muß vollständig aufgegeben werden und durch Geschichtswissenschaft ersetzt werden, wobei eine kontroverse Debatte vorausgehen muß, was Geschichtswissenschaft (96) als einer Wissenschaft leisten kann und soll.
Diese Mängel der Gedenk- und Erinnerungskultur wurden mir insbesondere beim Besuch der zahlreichen Denkmäler und Museen zum Thema der Landung der Alliierten in der Normandie ab dem 06.06.1944 deutlich. So wird nahezu nirgends versucht, das Thema in einen größeren historisch-geografischen Zusammenhang einzubetten. Statt dessen trifft man dort auf zahlreiche Beispiele von Heldenverehrung, und militärische Siege werden gefeiert, was in einem postheroischen Zeitalter deplatziert sein sollte. Im Vergleich dazu ist der Umgang mit dem Ersten Weltkrieg in Flandern, an der Somme, an der Marne und bei Verdun weit nüchterner und reflektierter, und man trifft dort auch auf mehr Versuche, das Thema Erster Weltkrieg in einen größeren historisch-geografischen Gesamtzusammenhang einzubetten.
Der Vergleich des Umgangs mit dem Thema Erster Weltkrieg und dem Thema Zweiter Weltkrieg in der Gedenk- und Erinnerungskultur zeigt, daß jeweils ein unterschiedlicher Reflektions- und Entwicklungsstand von Gedenk- und Erinnerungskultur erreicht ist. Bezüglich des Zweiten Weltkriegs ist die Gedenk- und Erinnerungskultur und die dieser zugrundeliegende Geschichtspolitik noch nicht in einem post-heroischen Stadium angelangt, es wird weiterhin Heldenverehrung betrieben und militärische Siege werden gefeiert. Derartige Heldenverehrung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg ist nicht nur in der östlichen Hälfte Europas anzutreffen, sondern gleichfalls in der westlichen Hälfte Europas, wie das Beispiel der Landungsstrände in der Normandie zeigt. Im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg hat die Gedenk- und Erinnerungskultur zum Thema Erster Weltkrieg in Europa mittlerweile einen weiter entwickelten Reflektions- und Entwicklungsstand erreicht unter dem Begriff „Rememberance“, wie er insbesondere in Gedenkstätten zum Thema Erster Weltkrieg in Flandern anzutreffen ist. Bei „Rememberance“ lassen sich zwei Entwicklungsstufen unterscheiden: Eine national-autistische, die sich auf die eigene Nation beschränkt, sowie eine diese nationale Beschränkung überschreitende, wofür das Beispiel „Ring der Erinnerung“ (Anneau de Mémoire) (97) am Mont de Lorette zwischen den Städten Lille und Arras aufgeführt werden kann.
Insbesondere seit dem Zeitalter der Aufklärung (98) gibt es die Institutionen der Literaturkritik (99), der Kunstkritik (100), der Architekturkritik (101), der Theaterkritik (102) und später der Filmkritik (103), des Weiteren der Religionskritik (104), der Kulturkritik (105) und der Gesellschaftskritik (106). Doch es gibt bis heute keine vergleichbare Institution der Kritik der Gedenk- und Erinnerungskulturen und der diesen zugrunde liegenden Geschichtspolitiken. Gegenstand dieses Genres der Kritik der Gedenk- und Erinnerungskultur sind Museen, Gedenkstätten, Denkmäler, und insbesondere der öffentliche Umgang mit Geschichte und ihrer Instrumentalisierung für die unterschiedlichsten Zwecke durch die unterschiedlichsten Akteure. In Anbetracht des Befunds der real-existierenden Gedenk- und Erinnerungskultur in Europa wird m.E. im gesamten Europa eine Institution der Kritik der Gedenk- und Erinnerungskultur dringend benötigt, um nach dem extremen 20. Jahrhundert das Projekt der Aufklärung in Europa fortzusetzen. Damit die Gedenk- und Erinnerungskultur zukünftig ein Projekt der Aufklärung werden kann, bedarf es zuerst und insbesondere einer Institution der Kritik der bestehenden Gedenk- und Erinnerungskultur, die so ein Gegenstand der öffentlichen Reflektion und Diskussion werden kann, und ein so aufgeklärtes Publikum wird einen anderen Umgang mit Gedenk- und Erinnerungskultur sowie Geschichte erwarten und einfordern. Ein anderer Umgang mit Geschichte ist erforderlich, wenn in Europa etwas anders und besser werden soll. So führe ich die derzeitigen Konflikte in der östlichen Hälfte Europas in erheblichem Maße auf Defizite der Gedenk- und Erinnerungskultur im gesamten Europa und mangelnde Reflektion zurück, was ein Wiederaufleben des Nationalismus nach 1989/90 ermöglichte. Überall wird die real-existierende Gedenk- und Erinnerungskultur überwiegend von Nationalisten und Militaristen geprägt und gestaltet, denen dieser Kulturbereich unhinterfragt und kritiklos überlassen wird (107). Die gesamte Gedenk- und Erinnerungskultur ist insbesondere in der östlichen Hälfte Europas dem Ziel der „Entwicklung einer nationalen Identität“ (108) untergeordnet, und dieses Ziel prägt darüber hinaus dort den gesamten Politik- und Kulturbereich. Dieser Nationalismus wird insbesondere in der östlichen Hälfte Europas von Welt- und Supermächten im Zuge der seit 1989/90 erfolgenden Neuaufteilung globaler Interessen- und Einflußzonen geopolitisch instrumentalisiert, und er ist deshalb Ursache von Krisen, Konflikten und Kriegen.
6. Vilnius, ein Stadtschicksal im extremen 20. Jahrhundert
Nach einer Nachtfahrt von 19:15 Stunden trifft der Reisebus um 13:30 Uhr OEZ am Busbahnhof in Vilnius ein. Vilnius (109) ist die Hauptstadt von Litauen, und mit rd. 550.000 Einwohners ist Vilnius zugleich die größte Stadt des Landes. Die Gründung der Stadt Vilnius wird auf das Jahr 1323 zurückgeführt. Im historischen Stadtzentrum sind zahlreiche historische Gebäude erhalten, und dieses wurde 1994 zum UNESCO-Weltkulturerbe (110) erklärt.
Noch mehr als der Rathausplatz bildet der nördlich gelegene Kathedralenplatz das Zentrum der historischen Altstadt von Vilnius. Dominiert wird der weitläufige Kathedralenplatz von einer gewaltigen Kathedrale mit einem separat stehenden Glockenturm, was bei Kirchen im Baltikum eine verbreitete Bauweise ist. Auffällig ist der ab 1783 bestehende klassizistische Baustil (111) der Kathedrale, sodaß diese nicht wie eine Kirche, sondern wie ein griechischer Tempel (112) wirkt. In diesem Stil ist auch der Innenraum gestaltet. Auch das Gebäude des Hauptbahnhofs im Süden des historischen Stadtzentrums ist in einem klassizistischen Stil erbaut, der Ähnlichkeiten mit der klassizistischen Kathedrale auf dem Kathedralenplatz hat. Dies bringt den Charakter und die Bedeutung der Eisenbahn im Industriezeitalter als Symbol des technisch-industriellen Fortschritts zum Ausdruck, wobei die Bahnhöfe den Charakter von Kathedralen dieses technisch-industriellen Fortschritts erhielten. Bis heute ist der technische Fortschritt (113) das hegemoniale Glaubensbekenntnis des weiterhin fortschreitenden Industriezeitalters, wobei der wissenschaftlich-technologische Fortschritt immer weitere Lebensbereiche durchdringt und transformiert. Bestandteil dieses Fortschrittsglaubens ist der Glaube an die Machbarkeit und die Gestaltbarkeit eines „Neuen Menschen“ (113a). Mögliches Endziel des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts ist das Erreichen der „Technologischen Singularität“ (114). In der Antike hingegen wurde Fortschritt noch ganz anders verstanden, nämlich als Zunahme von Weisheit (115) und Tugend (116).
Neben der Kathedrale befindet sich der im 14. Jahrhundert errichtete Palast der Großfürsten (117) des Großfürstentums Litauen (118). Hier ist derzeit das Nationalmuseum angesiedelt, dessen Ausstellungen sich über vier Etagen erstrecken. Da ein Besuch dieses Museums wahrscheinlich einen ganzen Tag beanspruchen wird, stellen wir dessen Besuch aufgrund unseres kurzen Aufenthalts in Vilnius von kaum mehr als zwei Tagen zurück. Neben dem Palast befindet sich der Burgberg (Pilies Kalnas) (142 m), auf dessen Gipfel sich ein „Gediminas-Turm“ befindet, der nach dem litauischen Großfürsten Gediminas (1275-1341) (119) benannt ist. Schon im 10. Jahrhundert soll hier eine Burg gestanden haben. Vom Gipfel des Hügels bietet sich ein Panoramablick über die umgebende Stadtlandschaft.
Zwei Museen, die wir in Vilnius besuchen, haben das extreme 20. Jahrhundert zum Thema. Der Historiker Eric Hobsbawm unterscheidet ein langes 19. Jahrhundert von einem kurzen und extremen 20. Jahrhundert, das mit dem Ersten Weltkrieg als der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts beginnt und das mit den Ereignissen 1989/90 endet (120). Das extreme 20. Jahrhundert ist sowohl Folge, als auch Bestandteil des Zeitalters des Imperialismus, das in zwei Weltkriegen kulminiert. Heute ist das gesamte Zeitalter der Moderne und insbesondere das Industriezeitalter in Verdacht geraten, im extremen 20. Jahrhundert zu kulminieren. Weltweit ist ein großer Teil der Kriege, Ethnischen Säuberungen, Genozide und weiteren Gewaltverbrechen noch unzureichend wissenschaftlich erforscht, sodaß bis heute keine genauen Zahlen bezüglich der Gesamtzahl der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft im extremen 20. Jahrhundert vorliegen. Je weiter der Tatort von Europa entfernt ist, umso unzulänglicher ist der Forschungsstand. Eine globale Gesamtzahl von 250 Millionen Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft im extremen 20. Jahrhundert halte ich für wahrscheinlich (121). Dies entspricht einem von zehn Menschen der gesamten Weltbevölkerung von 1945. Diese ca. 250 Millionen Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft im extremen 20. Jahrhundert sind allesamt erklärungsbedürftig, und jedes dieser ca. 250 Millionen Einzelschicksale muß aufgeklärt werden. Dazu merkt der Historiker Habbo Knoch in seinem Buch „Geschichte in Gedenkstätten“ an: „Ein gravierendes Problem jeder historischen Rekonstruktion des Tatgeschehens ist nicht nur die Ermittlung der einzelnen Namen von Verfolgten und Ermordeten, sondern die darauf beruhende Bestimmung von Gesamtzahlen und Zahlenangaben zu bestimmten Zeitpunkten – zumal es sich hier um ein geschichtspolitisch immer wieder umstrittenes Thema handelt. (…) Recherche und Forschung erstrecken sich im Kern auf alle Dimensionen des historischen Gewaltgeschehens und sollen dazu dienen, die Einzelschicksale in möglichst umfassende Kenntnisse über den historischen Ort einzubetten“ (122).
Das erste dieser beiden Museen ist das „Museum der Okkupationen und der Freiheitskämpfe“ (123), das als „KGB-Museum“ bekannt ist (Der Eingang liegt in der Seitenstraße Auku 2a). Vergleichbare KGB-Museen gibt es auch in anderen Städten, darunter in Tartu/Dorpat und in Tallinn. Das hiesige Museum befindet sich in einem ehemaligen Gefängnistrakt mit 22 ca. neun Quadratmeter großen Zellen, der sich in den Kellerräumen eines großen Gebäudes aus dem Jahre 1899 befindet. Die wechselhafte Nutzungsgeschichte dieses Gebäudes spiegelt die Tragödien des extremen 20. Jahrhunderts wider. Im Jahre 1899 begann seine Nutzung als Gerichtsgebäude des Kaiserreiches Rußland. Während des Ersten Weltkrieges war es von 1915 bis 1918 Sitz von Besatzungsbehörden des Kaiserreiches Deutschland. Im Jahre 1919 war es von Januar bis April Sitz des revolutionären Tribunals des bolschewistischen Kommissariats der Litauisch-weißrussischen sozialistischen Sowjetrepublik (124). Danach war es von 1920 bis 1939 Sitz von Besatzungsbehörden der Zweiten Polnischen Republik (125). Von 1940 bis Juni 1941 war das Gebäude Dienstsitz des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD) (126) der Sowjetunion (UDSSR), das hier ein Gefängnis unterhielt. 1941 bis 1944 war es Hauptquartier der Gestapo (127) und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) (128). Ab 1944 bis 1991 befand sich hier erneut ein Gefängnis des NKWD und ab 1954 des KGB (129).
Gegenstand der Ausstellung des Museums sind die Ereignisse während der Okkupation Litauens durch die Sowjetunion (UDSSR) zum Einen im Zeitraum vom 15.06.1940 bis zum 22.06.1941, und zum Anderen im Zeitraum von 1944 bis 1986. Die umfangreiche und detaillierte Ausstellung des Museums gliedert sich in 11 Themenräume auf zwei Etagen. Sämtliche Informationen werden zweisprachig angeboten (Litauisch, Englisch). Die materialreiche Ausstellung präsentiert eine Vielzahl von Fotos, Zahlen und Fakten. Ein größerer Teil der Ausstellung widmet sich dem Widerstand der Jahre 1944 bis 1953, wobei man u.a. erfährt, daß die Widerstandskämpfer, die meist versteckt in den Wäldern lebten, im statistischen Durchschnitt drei Jahre überlebten. Unterhalb der beiden Ausstellungsetagen befindet sich das eigentliche Gefängnis mit dem Zellentrakt. In diesen Zellen gibt es weitere kleinere Ausstellungen zu verschiedenen weiteren Aspekten des Hauptthemas. Hier gibt es auch eine kleinere Ausstellung zur NS-Okkupationszeit vom 22.06.1941 bis zum Juli 1944. Auch ist ein Raum, in dem Erschießungen stattgefunden haben, weiterhin Bestandteil des Museums. Dort ist auf einem Monitor ein Film zu sehen, wie man sich heute den Vorgang der Erschießungen vorstellt. Seit meinem ersten Besuch dieses Museums am 09.07.2017 ist dieser Raum jedoch umgestaltet worden. Damals war noch der originale Boden mit einem Abfluß zu sehen. Dieser Boden wurde jedoch zwischenzeitlich umfangreich umgestaltet, wodurch dieser historische Ort erheblich an Authentizität verloren hat. Der historische Originalboden ist jetzt von weißem Sand bedeckt, und die Besucher betreten den Raum jetzt auf einem darüber montierten Glas-Fußboden. Im angrenzenden Hof des Gefängnisses gibt es spezielle Zellen für weitere Formen von „Sonderbehandlung“ von Gefangenen: Die winzigen Einzelzellen sind zum freien Himmel offen, ohne Dach, aber vergittert.
Das zweite Museum zum extremen 20. Jahrhundert, das wir besuchen, ist Bestandteil des „Staatlichen Jüdischen Museums“ (130). Dieses besteht aus fünf Teilen. Ein Teil ist das sogenannte „Grüne Haus“, ein traditionelles, regionaltypisches Holzgebäude in der Straße Pamienkalnio 12. Gegenstand der Ausstellung dieses Museums sind die Ereignisse und Vorgänge während der NS-Okkupation vom 22.06.1941 bis zum Juli 1944 insbesondere bezüglich der jüdischen Bevölkerung in Litauen. Thema der Ausstellung ist insbesondere der Holocaust in Litauen (131). In Litauen erfolgte der Holocaust insbesondere durch Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD (132), wobei das Massaker von Ponary (133) mit ca. 100.000 Todesopfern herausragt. Der Großteil der Organisation, der Vorbereitungen der Ermordung sowie der Erschießungen wurde von litauischen willigen Helfern ausgeführt. Zum Umfang dieser Kollaboration (134) liefert die Ausstellung allerdings keine Zahlen. Metapedia nennt Zahlen für die vier Einsatzgruppen zusammen und dem Umfang der Kollaboration mit diesen: „Die Mannschaftsstärke der vier Einsatzgruppen belief sich anfangs auf lediglich 4.000 Mann, wuchs zum Sommer 1942 auf etwa 15.000 Deutsche und 240.000 fremdländische Hilfskräfte an.“ (135). In seinem Buch „Geschichte in Gedenkstätten“ stellt der Historiker Habbo Knoch fest: „Aber auch in anderen europäischen Ländern wurden die vielfältigen Formen der Kollaboration und Mittäterschaft zugunsten selektiver, nationaler Widerstandsmythen nicht thematisiert“ (136). Weitere Themen der Ausstellung des Museums sind die Geschichte der Ghettos (137) in Litauen und der Ghetto-Alltag. Die Ausstellung bietet eine Vielzahl von Informationen, Fotografien, Materialien und Zahlen zu den Ereignissen und Vorgängen. Sämtliche Informationen werden zweisprachig angeboten (Litauisch, Englisch).
Der Holocaust ist ein Genozid (138). Die wissenschaftliche Erforschung von Genoziden leistet die Vergleichende Völkermordforschung (139). In der Geschichtswissenschaft ist der Holocaust Gegenstand der Holocaustforschung (140). Die Holocaustforschung hat historische Entstehungsbedingungen, Entscheidungsprozess, Organisation, Durchführung, Täter, Mittäter, Opfer, Auswirkungen und Besonderheiten des Holocaust zum Gegenstand, und sie ist Bestandteil der NS-Forschung (141). Der Holocaust ist ein herausragender Bestandteil der NS-Verbrechen (142) Der Holocaust wird weltweit erforscht, jedoch besonders in den USA, Großbritannien, Israel, Polen und Deutschland. Die geschichtswissenschaftliche Forschung in den deutschsprachigen Ländern konzentriert sich jedoch stärker als die Forschung in den USA, Israel und Großbritannien auf innenpolitische und außenpolitische Aufstiegsbedingungen der NS-Bewegung einschließlich deren Finanzierung, auf „Machtergreifung“ (143), Machtdurchsetzung, Herrschaftskonsolidierung und Kriegführung des NS-Regimes. Globalhistorisch betrachtet ist der Nationalsozialismus Bestandteil des Zeitalters des Imperialismus, das in zwei Weltkriegen kulminierte, und er ist Bestandteil des extremen 20. Jahrhunderts.
Der Holocaust ist eine Entwicklungsphase und ein Bestandteil der nationalsozialistischen Judenpolitik. Ein wesentlicher Aspekt dieser NS-Judenpolitik ist, daß sie sich über einen vergleichsweise langen Zeitraum ab 1933 zunehmend radikalisierte, wobei sich auch Methoden und Zielsetzungen änderten. Es stellt sich die Frage nach den jeweiligen Umständen, insbesondere den innen- und außenpolitischen Umständen, die dabei eine Rolle spielten. Über mehrere Jahre hinweg war diese NS-Judenpolitik ab 1933 darauf ausgerichtet, Juden zur Emigration bzw. Auswanderung zu drängen und zu nötigen, wobei sich diese NS-Judenpolitik über mehrere Jahre hinweg zum Zweck der Nötigung zur Emigration zunehmend radikalisierte. Juden wurden zunehmend entrechtet und schikaniert. Das Novemberpogrom vom 07.11.1938 (144) stellt in diesem Rahmen einen weiteren Radikalisierungsschritt dar. Von 30.000 im Rahmen dieses Novemberpogroms verhafteten Juden wurden ca. 6.000 in das KZ Sachsenhausen (145) eingeliefert, wo sie in besonderem Maße terroristischen Schikanen ausgesetzt wurden. In der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (146) hat die Ausstellung „Jüdische Häftlinge im KZ Sachsenhausen 1936 – 1945“ in Baracke 38 die NS-Judenpolitik zum Thema, und es wird dargestellt, daß es Ziel der Maßnahmen im Rahmen des Novemberpogroms 1938 war, die Emigration der Juden zu erzwingen, was in vielen Fällen erreicht worden sei. Bei Betrachtung der NS-Judenpolitik ergibt sich der Befund, daß hier der Fall einer Ethnischen Säuberung vorliegt. Es stellt sich die Frage nach den Umständen, durch die dieser Fall einer Ethnischen Säuberung den Charakter eines Genozids erhielt.
Ein wesentliches Problem bei der NS-Judenpolitik einer Zwangsemigration war, daß sich die Emigrations- und Einreisemöglichkeiten der (Zwangs-) Emigranten weltweit zunehmend verschlechterten. Die insbesondere im Zuge des Ersten Weltkrieges überall eingeführten restriktiven Einreise- und Visabestimmungen wurden weiter verschärft, und es wurden überall immer mehr restriktive Einwanderungsgesetze erlassen, insbesondere auch in den Haupteinwanderungsländern der europäischen Auswanderung im 19. Jahrhundert, allen voran die USA. Symbol der Flüchtlingskrise der zweiten Hälfte der 30er Jahre ist die Konferenz von Évian (06.06. bis 15.06.1938) (147) und deren Scheitern. Dieses Thema wird im nachfolgenden Kapitel ausführlicher behandelt. Nur wenige Ausstellungen zum Themenbereich NS-Judenpolitik und NS-Verbrechen erwähnen die Konferenz von Èvian, die jedoch bei der historischen Analyse berücksichtigt werden muß, wenn man ein Gesamtverständnis der Ereignisse und Vorgänge innerhalb ihres globalhistorischen Zusammenhangs erzielen will. Auch die ansonsten umfangreiche, detaillierte und gut konzipierte Ausstellung in Baracke 38 der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen erwähnt die Konferenz von Èvian nicht, und ebenso im „Grünen Haus“ des „Staatlichen Jüdischen Museums“ in Vilnius ist die Konferenz von Évian kein Thema.
Im Rahmen der Politik der Zwangsemigration wurden vom NS-Regime ab dem Jahre 1937 und insbesondere im Jahre 1940 sogenannte „Territoriallösungen“, darunter der „Madagaskar-Plan“ (148), favoritisiert und geplant. Diese „Territoriallösungen“ scheiterten letztlich an der Entwicklung der Kriegslage.
Ab Kriegsbeginn im September 1939 verschlechterten sich die Auswanderungsmöglichkeiten und Auswanderungschancen dramatisch. Juden werden in Ghettos zusammengepfercht, wobei insbesondere das Generalgouvernement (149) den Charakter eines extralegalen Abschieberaumes erhält. Am 22.06.1941 erfolgt der Angriff auf die Sowjetunion, und der vorrückenden Wehrmacht folgen vier Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD (150). Diese Einsatzgruppen ermorden in den besetzten Gebieten in der östlichen Hälfte Europas unter dem Vorwand vorbeugender Aufstands- und Verbrechensbekämpfung bis zum Jahreswechsel 1941/42 mehr als 500.000 Personen, überwiegend Juden. Damit hatte die NS-Judenpolitik den Charakter eines Genozids (151) erhalten. Ab dem 23. 10.1941 wurde Juden die Auswanderung aus dem Deutschen Reich verboten. Die Wannseekonferenz am 20.01.1942 (152) beendete sowohl die Politik der Zwangsemigration als auch die sogenannten „Territoriallösungen“. Im Protokoll dieser Wannseekonferenz vom 20.01.1942 ist auf Seite 5 zu lesen: „Anstelle der Auswanderung ist nun als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten“ (153). Es erfolgte nun die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ (154), deren zentraler Bestandteil die „Aktion Reinhard“ (155) war. Schon Mitte Oktober 1941 hatte der Bau des ersten Vernichtungslagers (156) Belzec begonnen.
Bei verschiedenen Reisen in Europa habe ich mittlerweile in zahlreichen Ländern eine größere Anzahl von Museen und Gedenkstätten zum Thema NS-Herrschaft und NS-Verbrechen besuchen können, darunter auch das „Mémorial de la Shoah“ (157) in Paris, das ich am 29.09.2022 besuchte. Es bietet sich ein Vergleich dieses Museums mit der Holocaust-Ausstellung des Staatlichen Jüdischen Museums in Vilnius an. Der Holocaust ist zu einem Symbol der NS-Verbrechen geworden, und er ereignete sich insbesondere in der östlichen Hälfte Europas während des Zweiten Weltkrieges. Bei meinem Besuch bin ich daran interessiert, ob im „Mémorial de la Shoah“ weitere Aspekte und neue Sichtweisen zum Thema präsentiert werden, um die Vorgänge innerhalb des historischen Zusammenhangs besser einordnen und verstehen zu können.
Das „Mémorial de la Shoah“ gilt als das größte Museum zum Thema Holocaust in Europa, wie dort hervorgehoben wird. Dies hat mich stutzig gemacht, wenn bei einem Museum quantitative Aspekte hervorgehoben werden, wohingegen es bei einem Museum auf qualitative Aspekte, also auf Inhalte und deren gelungene Vermittlung im Rahmen eines elaborierten museumspädagogischen Konzeptes ankommen sollte, bei dem dem Publikum auch zu historischen Themen kein vorgefertigtes Geschichtsbild vermittelt wird, sondern viel mehr dieses Publikum angeregt und im Bemühen unterstützt werden soll, sich auch zu komplexen und komplizierten historischen Themen eine eigene, unabhängige Meinung zu bilden, im Sinne von Aufklärung. Es stellt sich die Frage, woran die Größe eines Museums bemessen werden soll: An der Größe der Ausstellungsfläche, der Anzahl der Exponate, dem Umfang der angebotenen Informationen und Interpretationen, oder der Anzahl der Besucher. Zumindest Letztere ist sehr gering, und über einen längeren Zeitraum bin ich der einzige Besucher dieses Museums.
Das Museum „Mémorial de la Shoah“ beeindruckt durch eine große Fülle an kommentiertem Material zum Thema, in der Mehrzahl zweisprachig (Französisch, Englisch), sowie durch eine Vielzahl von Einzelaspekten zum Thema, die Berücksichtigung finden. Schwerpunkt der Darstellungen bilden die Ereignisse in Frankreich. Die Ausstellung des Museums beginnt noch im Außenbereich mit einer „Mur des Nomes“, auf der die Namen der 76.000 Juden eingraviert sind, die von 1942 bis 1944 aus Frankreich „deportiert“ worden sind. Die Ausstellung endet mit mehreren Fotowänden, auf denen Fotos dieser Deportierten – überwiegend Kinder – zu sehen sind. Man hat den Eindruck, daß dies ein beliebiger Ausschnitt aus der damaligen Bevölkerung Frankreichs ist. Damit stellt sich die Frage, was eine Person „jüdisch“ macht (158). Insbesondere mit Blick auf das extreme 20. Jahrhundert stellt sich diese Frage, denn insbesondere im westlichen und mittleren Europa hatten in Folge des Zeitalters der Aufklärung im 19. Jahrhundert alle Personen unabhängig ihrer Konfession gleiche Bürgerrechte erhalten, und Juden waren weitgehend assimiliert. Etwas anders sah die Situation in der östlichen Hälfte Europas aus. Die Juden in Osteuropa (159) waren weitgehend nicht assimiliert, und im Kaiserreich Rußland durfte Juden nur im sogenannten „Ansiedlungsrayon“ (160) in den westlichen Landesteilen leben. Im Zeitalter des Nationalismus (161) wurde der homogene Nationalstaat (162) zum politischen Ideal, und es entstand der Zionismus (163) als eine Nationalbewegung und als eine nationalistische Ideologie, die auf einen jüdischen Nationalstaat im geografischen Palästina (164) abzielte.
Im Museumsgebäude beginnt die Ausstellung zum Einen mit einer Darstellung der Geschichte der Juden in Frankreich, zum Anderen mit einer Darstellung der Geschichte des Antisemitismus (165) in Europa. Diese Darstellung des Antisemitismus beginnt im Imperium Romanum (166), und es stellt sich die Frage, ob es im Imperium Romanum Antisemitismus gegeben hat, und ob sich die Ereignisse im Rahmen des Jüdischen Krieges (66-74 n. Chr.) (167) und der Eroberung von Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. (168) alleine mit Antisemitismus erklären lassen, oder ob auch noch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben, die bei einer Analyse der damaligen Ereignisse Berücksichtigung finden müssen, wenn man ein Gesamtverständnis der historischen Ereignisse innerhalb ihrer historischen Epoche erreichen möchte. Da wir uns beim Thema des Museums „Mémorial de la Shoah“ im extremen 20. Jahrhundert befinden, müssen bei einer historischen Analyse alle Faktoren von Relevanz Berücksichtigung finden, die das extreme 20. Jahrhundert charakterisieren und die die historischen Ereignisse bestimmen und prägen. Das Museum stellt als analytische Kategorie jedoch ausschließlich „Antisemitismus“ vor.
Um die historische Wirklichkeit des extremen 20. Jahrhunderts präziser erfassen und analysieren zu können, ist es erforderlich, charakteristische und prägende Elemente, die das 20. Jahrhundert in seiner gesamten historischen Tiefe und seiner gesamten geografischen Breite als ein extremes Jahrhundert mit Alleinstellungsmerkmal charakterisieren und prägen, ins Zentrum einer jeden Analyse zum extremen 20. Jahrhundert zu stellen, wie die Ethnische Säuberung (169), die Totale Institution (170) des Lagers (171) in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, der Ausnahmezustand (172), der Doppelstaat (Dual State) (173), die totale Mobilmachung (174), der totale industrielle Krieg (175), und weitere, denn diese haben als charakteristische und prägende Elemente des extremen 20. Jahrhunderts den Gehalt von analytischen Kategorien, die deshalb im Zentrum einer jeden Analyse zum extremen 20. Jahrhundert stehen müssen.
7. Das Ende der Reisefreiheit im extremen 20. Jahrhundert
Zudem unterscheidet sich das extreme 20. Jahrhundert vom vorausgegangenen 19. Jahrhundert bezüglich der Themen „Reisefreiheit“ und „Auswanderung“ (176), sodaß diese und weitere Aspekte bei einer historischen Analyse Berücksichtigung finden müssen. Die auch heute noch bestehenden, die weltweite Reisefreiheit einschränkenden restriktiven Einreise- und Visabestimmungen sind ein historisch junges und neuartiges Phänomen, sie entstanden als eine Folge des Ersten Weltkrieges, der somit auch in diesem Bereich die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts ist. Sie sind ein das extreme 20. Jahrhundert konstituierendes Element, das neben weiteren das 20. Jahrhundert zu einem „extremen“ Jahrhundert macht. Während das 19. Jahrhundert von weitgehender weltweiter Reisefreiheit und einer umfangreichen Auswanderung insbesondere aus Europa nach Übersee geprägt ist, ist das extreme 20. Jahrhundert ab dem Ersten Weltkrieg durch weltweite restriktive Reiseeinschränkungen, die ubiquitäre Ausweitung von Lagern in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen als der Totalen Institution zur zweckrationalen Verwaltung und Kontrolle von Menschenmassen, sowie von Ethnischen Säuberungen geprägt. Dies alles bildet einen untrennbaren und unauflöslichen Gewaltzusammenhang, und der Übergang zu Genoziden ist fließend. Dieser Gewaltzusammenhang macht das 20. Jahrhundert zu einem extremen Jahrhundert. Das Thema Auswanderung aus Europa nach Übersee war ein Thema meiner beiden Fahrradreisen durch die südliche Nordseeregion in den Jahren 2020 und 2022.
Das Thema Auswanderung aus Europa nach Übersee im 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg begegnete mir während meiner zweiten Fahrradreise durch die südliche Nordseeregion im Jahre 2022 mehrere Male, nachdem ich dieses Thema zuvor schon während meiner ersten Fahrradreise durch die südliche Nordseeregion im Jahre 2020 in Cuxhaven und insbesondere in Bremerhaven angetroffen hatte. Cuxhaven gehörte vom 13. Jahrhundert bis 1937 zur Freien Stadt und Hansestadt Hamburg. Vom Amerika-Hafen in Cuxhaven, von dem heute noch der Pier Steubenhöft und die Hapag-Hallen erhalten sind, wanderten im 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg ca. fünf Millionen Auswanderer aus Europa nach Übersee, insbesondere nach Amerika aus (177). Der Amerika-Hafen in Cuxhaven hatte einen eigenen Bahnhof, den Cuxhaven-Amerika-Bahnhof, sodaß Auswanderer aus ganz Europa mit der Eisenbahn zum Amerika-Hafen in Cuxhaven gelangen konnten. Zu diesem Thema der europäischen Auswanderung nach Übersee gibt es im Gebäude des Pier Steubenhöft eine umfangreiche, detaillierte und sehenswerte Ausstellung. In Bremerhaven gibt es ein exzellentes Auswanderermuseum mit dem Namen „Deutsches Auswandererhaus“ (178), das sich ausführlich, detailreich und mit einem herausragenden museumspädagogischen Konzept diesem Thema der Auswanderung aus Europa nach Übersee im 19. Jahrhundert widmet und das ich am 18.10.2020 besucht hatte.
Nun traf ich dieses Thema der europäischen Auswanderung nach Übersee während meiner zweiten Fahrradreise durch die südliche Nordseeregion im Jahre 2022 weitere Male in Rotterdam, Antwerpen (179), Southampton und Cherbourg an, alles bedeutende Überseehäfen der europäischen Auswanderung nach Übersee im 19. Jahrhundert, und es hatte sich geradezu eine Auswanderungsindustrie gebildet, die professionell insbesondere mit großen Übersee-Linern das Geschäft mit der Auswanderung betrieb. Von den ca. 60 Millionen Auswanderern aus Europa nach Übersee im 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg wanderten aus über Cuxhaven ca. 5 Millionen Personen, Bremerhaven ca. 7 Millionen, Rotterdam ca. 3 Millionen, Antwerpen ca. 2 Millionen, Southampton ca. 5 Millionen und Cherbourg ca. 4 Millionen Personen. In der Stadt Antwerpen hat das „Red Star Line Museum“ die Auswanderung aus Europa nach Übersee zum Thema. In der Stadt Southampton befaßt sich die Ausstellung „Gateway to the World“ im „Seacity-Museum“ mit der europäischen Auswanderung nach Übersee. In der Stadt Cherbourg widmet sich im Museum „La Cité de la Mer“ (180), das sich in den Gebäuden des ehemaligen Transatlantik-Hafens befindet, eine Ausstellung dem Thema Auswanderung aus Europa nach Übersee im 19. Jahrhundert, die ich am 07.09.2022 besuchte, und es wird dargestellt, daß die bedeutendsten Zielländer dieser europäischen Auswanderung nach Übersee mit Abstand die USA (ca. 34 Millionen) waren, des weiteren Kanada (ca. 9 Millionen), Sibirien und Turkestan (ca. 7 Millionen), Argentinien (ca. 6 Millionen), Brasilien (ca. 5 Millionen), Australien und Neuseeland (ca. 3,5 Millionen) und Süd-Afrika (ca. 1 Millionen). Meines Erachtens ist das Thema Auswanderung ein wesentlicher Aspekt, der das 19. Jahrhundert vom 20. Jahrhundert unterscheidet und der zu einer Erklärung beiträgt, warum das 20. Jahrhundert zu einem extremen Jahrhundert geworden ist.
Diese Auswanderung endete abrupt mit dem Ersten Weltkrieg und sie erreichte im gesamten 20. Jahrhundert nie mehr die vormalige Bedeutung. Überall wurde weltweit ab dem Ersten Weltkrieg das freie Reisen sowie die Aus- und Einwanderung eingeschränkt und unterbunden. Die wirksamste Drosselung der Auswanderung verursachten die Restriktionen der USA, dem bedeutendsten Einwanderungsland für Auswanderer aus Europa. Mit einem neuen Einwanderungsgesetz, dem National Origin Act von 1924 (181), wurden die jährlich zugelassenen Einwanderungen auf ein Sechstel der Einwanderung der Vorkriegszeit begrenzt, und insbesondere wurde der Zuzug von Süd- und Osteuropäern beschränkt. Auch andere Einwanderungsländer verfügten restriktive Maßnahmen und legten Einwanderungsquoten fest, Südafrika im Jahr 1930, Neuseeland 1931, Australien 1932 und Brasilien 1934. Den Höhepunkt dieser weltweiten restriktiven Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit bildet das Scheitern der Konferenz von Évian (182), die vom 06. bis zum 15.07.1938 in der Stadt Évian-les-Bains (183) am Genfer See stattfand. Sehr wahrscheinlich wäre bei einem Erfolg dieser Konferenz in den Folgejahren ein erheblicher Teil der tragischen Entwicklungen nicht eingetreten. Doch in Évian-les-Bains verweist heute nichts auf dieses Ereignis und seine weitreichenden historischen Konsequenzen, wie ich bei meinem Besuch der Stadt Évian am 02.12.2016 während einer Fahrradreise durch Teile der Alpenregion feststellen mußte.
Ein Besuch der Stadt Évian-les-Bains wirft Licht auf den Rahmen, in dem internationale Diplomatie traditionell stattfindet und in dem über das Schicksal von Millionen von Menschen verhandelt und bestimmt wird. In der Nachbarstadt Genf scheiterte der Völkerbund, der vom 28.04.1919 bis zum 18.04.1946 existierte. Ebenso wie heute in seiner Nachfolgeorganisation, der UNO, saßen im Völkerbund die Vertreter von Staaten, die dort die Interessen ihrer Staaten vertraten und das gemeinsame Menschheitsinteresse auf Grundlage universeller Humanität kaum jemanden interessierte. In seiner Biografie: „Helmuth James von Moltke. 1907-1945. Eine Biografie“ beschreibt der Historiker Prof. Dr. Günter Brakelmann eine Reise des Experten für Völkerrecht, Helmuth J. von Moltke im März 1935 nach Genf, wo Moltke die Einrichtungen des Völkerbundes besuchte: „Er wollte sich vor Ort ein eigenes Bild von der politischen Lage und den Arbeitsmöglichkeiten machen. Basel, Bern, Genf, Paris, Den Haag und London waren im März und April 1935 die wichtigsten Stationen seiner Erkundungsreise. (…) Wichtig war ihm aufgrund seines Interesses am Völkerrecht der Besuch beim Völkerbund In Genf.“ Von diesem Besuch beim Völkerbund in Genf berichtete Moltke am 31.03.1935: „‘Es wimmelt von Bürokraten, aber es fehlen Menschen von Format völlig.‘ Alle seien nur Interessenvertreter ihrer Länder und würden an ihre eigene Karriere denken. Anders sehe es nur bei denjenigen Beamten aus (Russen, Italiener, Deutsche), die den Bruch mit ihren Heimatländern vollzogen hätten, aber im Sekretariat des Völkerbundes geblieben seien. Moltkes Eindruck: ‚Hier scheint man auch ganz kühl mit einem großen europäischen Krieg zu rechnen.‘ Aber man reagiere ganz passiv und lasse den Dingen ohne Gegenwehr ihren Lauf. Zukunft habe der Völkerbund aber nur, wenn er sich zu einer ‚unabhängigen Macht‘ entwickeln würde“ (S. 81).
Alternativen im Bereich der Diplomatie (184), der internationalen Politik (185) und des Völkerrechts (186) sind erforderlich, zum Einen aufgrund des Versagens traditioneller Diplomatie und der traditionellen internationalen Politik, was insbesondere am Beispiel des extremen 20. Jahrhunderts deutlich wird, und zum Anderen aufgrund fortbestehender Defizite des Völkerrechts, das weiterhin ausschließlich ein Recht souveräner Nationalstaaten ist, die ihre Interessen als Nationalstaaten vertreten. In seinem Text: „Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie“ stellt der Philosoph Jürgen Habermas fest: Faktisch ist „in der Welt, wie wir sie kennen“, ein Nationalstaat ein Produkt erfolgreicher Machtdurchsetzung nach dem „Effektivitätsprinzip“, das sich durch die „Regierungskriminalität, die sich im Schatten des technologisch entgrenzten und ideologisch enthemmten Zweiten Weltkrieges ausgebreitet hat“ (187) diskreditiert hat. Eine Alternative zum Konzept nationaler Selbstbestimmung ist das Konzept einer „differenzempfindlichen Inklusion“ mit föderalistischer Gewaltenteilung, Dezentralisierung, kultureller Autonomie, gruppenspezifischen Rechten, Gleichstellung und Minderheitenschutz (188) im Rahmen einer „postnationalen Vergesellschaftung“, die in eine gemeinsame politische Kultur eingebettet ist und die von einer Zivilgesellschaft getragen wird (189).
Noch heute ist das Völkerrecht ein Recht von souveränen Nationalstaaten, die ihre Interessen als Nationalstaaten wahrnehmen, und die Transformation des Völkerrechts als einem Recht von Staaten zu einem Weltbürgerrecht als einem Recht der Menschen und der Menschheit auf Grundlage allgemeiner und universeller Menschenrechte (190), sowie zu einem Weltverfassungsrecht, steht noch aus. Hierbei werden die individuellen Bürger als unmittelbare Subjekte des Völkerrechts anerkannt. Das heutige UN-System ist weit von den Idealen der alten Idee eines Völkerbundes entfernt, wie sie z.B. von Immanuel Kant (191) in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ (192) im Jahre 1795 vorentworfen worden ist, und seine Reformbedürftigkeit (193) ist geradezu sprichwörtlich. Es wird auch eine Neugründung auf einer anderen Grundlage gefordert. Im Zentrum sollten nicht souveräne Staaten und ihre Interessen, sondern die Menschen und ihre Rechte stehen, und das traditionelle Völkerrecht, das die Verbrechen des extremen 20. Jahrhunderts ganz erheblich begünstigt und gefördert hatte, müßte von einem Recht souveräner Staaten hin zu einem Weltbürgerrecht und einem Recht der Menschen und der Menschheit transformiert werden auf Grundlage der allgemeinen Menschenrechte, sowie zu einem Weltverfassungsrecht. In seinem Buch: „Der gespaltene Westen“ skizziert der Philosoph Jürgen Habermas ein Mehrebenensystem einer „Weltinnenpolitik ohne Weltregierung“: „Im Lichte der Kantschen Idee kann man sich eine politische Verfassung einer dezentrierten Weltgesellschaft, ausgehend von den heute bestehenden Strukturen, als ein Mehrebenensystem vorstellen, dem im Ganzen der staatliche Charakter aus guten Gründen fehlt“ (194). Dabei wird der Weg vom Staatenrecht zum Weltbürgerrecht beschritten, und die individuellen Bürger werden als unmittelbare Subjekte des Völkerrechts anerkannt, womit die Transformation des Völkerrechts in ein Weltverfassungsrecht eingeleitet wird. Auf dieser Grundlage mahnt Habermas Reformen der UNO an.
Es entsteht somit ein völlig neues Modell von Politik, das sich von historisch überholten Politikformen verabschiedet, deren Scheitern in Anbetracht des extremen 20. Jahrhunderts unübersehbar geworden ist. Es entsteht ein Modell eines Mehrebenensystem einer Weltinnenpolitik ohne Weltregierung, ein Modell einer politischen Verfassung einer dezentrierten Weltgesellschaft, einem Mehrebenensystem, dem im Ganzen der staatliche Charakter aus guten Gründen fehlt. Dieses Mehrebenensystem setzt sich zusammen aus einer Vielzahl unterschiedlicher miteinander in Wechselwirkung stehenden politischen Prozessen, Ebenen und Akteuren, wodurch eine Multiebenendiversität des Politischen im Rahmen eines Mehrebenensystems einer dezentrierten Weltgesellschaft entsteht.
Das Versagen traditioneller Diplomatie und internationaler Politik kann exemplarisch am Beispiel der Stadt Évian-les-Bains studiert werden. Die Stadt Évian-les-Bains besuchte ich am 02.12.2016 während einer Fahrradreise durch Teile der Alpenregion. Évian-les-Bains liegt am Ufer des Genfer Sees in der Nähe der Stadt Genf und ist ein mondäner Ort mit den üblichen Hotelpalästen, die viele landschaftlich attraktiv gelegene Orte in den Randbereichen der Alpenseen prägen. Es ist eine Kategorie von Orten, in denen früher die Aristokratie ihre Zeit vertrödelte und in denen heute Leute, die nicht wissen, was sie mit ihrem vielen Geld anfangen wollen, ihr Geld verschwenden. Die entsprechenden Einrichtungen, die ihnen dies vereinfachen, sind zahlreich: Teuerste Hotels, Nobelgeschäfte für teueren Schnickschnack, den niemand braucht, und ein Spielcasino. Ich hingegen gehe dort wieder auf historische Spurensuche an einem Originalschauplatz historischer Ereignisse: Vom 06.06.1938 bis zum 15.06.1938 fand in Évian-les-Bains die internationale Konferenz von Évian statt, die die damalige Flüchtlingskrise in der Zwischenkriegszeit (195) zum Thema hatte, die aber aufgrund der restriktiven Einwanderungspolitik der meisten Staaten scheiterte. Die historischen Folgen sind bekannt, doch wird dieses historische Ereignis mit seinen schwerwiegenden Folgen von der gängigen Geschichtsschreibung kaum berücksichtigt und ignoriert. Sehr wahrscheinlich wäre bei einem Erfolg dieser Konferenz in den Folgejahren ein erheblicher Teil der tragischen Entwicklungen nicht eingetreten. Ich hatte erwartet, am Ort dieser Konferenz ein Museum zu diesem Thema, eine Gedenkstätte, oder doch zumindest eine Erinnerungs- und Informationstafel zu finden, doch es gibt im gesamten Ort Évian nichts, was auf das historische Ereignis der Konferenz von Évian Bezug nimmt. Dies ist ein Beispiel für eine Dethematisierung bedeutender historischer Ereignisse, die jedoch für ein Gesamtverständnis der historischen Vorgänge und Zusammenhänge Berücksichtigung finden müssen. Dethematisierung ist ein Bestandteil von Geschichtspolitik.
Dies ist nicht das erste Mal, daß ich in Frankreich an Originalschauplätzen bedeutsamer historischer Ereignisse nichts antreffe. So mußte ich bei meinem Besuch der Stadt Vichy am 01.08.2018 feststellen, daß es in der gesamten Stadt nichts gibt, das in irgend einer Form an den Zeitraum zwischen dem 22.06.1940 und dem 25.08.1944 erinnert, als die Stadt Vichy unter besonderen historischen Umständen die Hauptstadt Frankreichs gewesen ist. Statt dessen wird mit großem Aufwand hervorgehoben, daß Vichy die Sommerhauptstadt von Kaiser Napoleon III. gewesen ist, und seine Regierungszeit wird als Bestandteil der „Belle Époque“ präsentiert. Louis-Napoléon Bonaparte (1808-1873) hatte mit einem Staatsstreich am 02.12.1851 die Macht ergriffen, eine Diktatur errichtet und sich am 02.12.1852 zum Kaiser Napoleon III. ernannt. Er verfolgte politische Gegner und errichtete zu diesem Zweck ein System von Strafkolonien, darunter die Teufelsinsel. Die Umstände des Endes der Herrschaft von Napoleon III. stellt das Bourbaki-Panorama in der Stadt Luzern dar, das ich am 15.11.2016 besucht habe.
Diese Konferenz von Évian wird auch von der Geschichtsforschung konsequent ignoriert, und selbst die 19. Auflage der 24-bändigen Brockhaus-Enzyklopädie erwähnt diese Konferenz nicht. Dieser Umstand verweist darauf, daß das durch die bestehende Gedenk- und Erinnerungskultur vermittelte Geschichtsbild unzulänglich und defizitär ist. Tatsächlich ist überall, und insbesondere in Europa die real-existierende Gedenk- und Erinnerungskultur geprägt von nationalstaatlicher Geschichtspolitik, und die konkurrierenden Geschichtskulturen der Nationalstaaten arbeiten sich antagonistisch aneinander ab (196). Der Historiker Lutz Raphael analysiert in seinem Buch „Imperiale Gewalt und mobilisierte Nation. Europa 1914-1945“ den historischen Kontext: „erst die Vertreibungen und Völkermorde des Zweiten Weltkrieges schufen jene Homogenisierungen, welche die europäischen Gesellschaften (…) zu sprachlich und kulturell homogenen Nationalgesellschaften machten. (…) Die europäischen Gesellschaften waren um 1900 sehr viel weniger homogen als in der Zeit nach 1945. Soziale Gruppen, Netzwerke und Milieus waren noch nicht zu jenem ‚Container‘ einer nationalen Gesellschaft verklammert, den Umfragedaten und Sozialstatistiken seit 1945 als quasi ‚natürliches‘ Objekt von Sozialpolitik und Sozialgeschichte präsentieren“ (197).
Eine um gesellschaftliche Aufklärung bemühte historische Forschung und Geschichtswissenschaft müßte anders aussehen. Es stellt sich die Frage nach der Wissenschaftlichkeit von Geschichte und historischer Forschung als einer Wissenschaft und wie sich diese begründen läßt. Nach Auffassung des Historikers Jürgen Kocka in seinem Text: „Geschichte als Aufklärung?“ zeichnet sich „der wissenschaftliche Umgang mit Geschichte (…) gegenüber anderen Umgängen mit Geschichte (etwa in Form von Mythen, Legenden, fiktionaler Literatur, Denkmälern, Mahnmalen, historisierenden Festen usw.) dadurch aus, daß er selbst ein Produkt der Aufklärung ist. (…) Die der Geschichte als Wissenschaft eigene Rationalität ist im Prinzip geeignet, (wenn auch nicht immer mächtig genug), der Instrumentalisierung der Geschichte zu anti-aufklärerischen Zwecken enge Grenzen zu ziehen. Am sogenannten ‚Historikerstreit‘ läßt sich das zeigen“ (198). Um in diesem Sinne einen Beitrag zu gesellschaftlicher Aufklärung zu leisten, müssen Historiker ihr Selbstverständnis als Wissenschaftler und die gesellschaftliche Relevanz von Geschichtswissenschaft überprüfen. Nach Auffassung des Historikers Theodor Schieder in seinem Text: „Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute“ macht sich „der Wissenschaftscharakter der Geschichte“ dadurch geltend, daß sie „das Ganze ihres Gegenstandes zu erfassen strebt, Erinnerungen nur dann als möglich ansieht, wenn der geschichtliche Gang der Menschheit in seiner Gesamtheit offen dargelegt werden kann“, und es besteht die „Aufgabe, das Erinnerungsvermögen des Menschen auf die Herkunft und die Entwicklung seiner Art auszudehnen. (…) Eine vergleichbare Aufgabe kann heute wohl die historische Begründung einer menschheitlichen Weltgeschichte darstellen, die den gewiß schwierigen Versuch unternimmt, für die Völker der Welt mit ihren weit auseinanderliegenden Traditionen einen gemeinsamen Rahmen geschichtlichen Selbstverständnisses zu schaffen“ (199). Meines Erachtens läßt sich eine wissenschaftlich fundierte Geschichtswissenschaft nur im Rahmen von Global- und Weltgeschichte betreiben, wie dies schon im Zeitalter der Aufklärung der Fall gewesen ist, und zudem im Rahmen einer Menschheitsgeschichte, die Bestandteil der Geschichte des Lebens auf diesem Planeten ist (200).
8. Užupis und die Relevanz von Alternativkultur in Europa
Die Unterkunft, in der Uli und ich während unseres Aufenthaltes in der Stadt Vilnius logierten, liegt im Stadtteil Užupis (201). Der Stadtteil Užupis befindet sich im Osten des historischen Stadtzentrums von Vinius, und er wird an drei Seiten vom kleinen Fluß Vilnia umflossen, der ein kurzes Stück weiter nördlich in den Fluß Neris einmündet. Im Sommer 2017 war ich während meiner Fahrradreise durch das nördliche Europa erstmals hier gewesen. Der Stadtteil Užupis gilt als ein Zentrum von Alternativkultur, und man hat hier sogar eine eigene Republik, die „Užupio Res Publica“ gegründet, ein „Freistaat“ mit eigener Verfassung, Parlament, Regierungssitz und Universität. Im Rahmen unserer Stadtexkursionen möchten wir diese „Užupio Res Publica“ näher kennenlernen. Das Zentrum des Stadtteils Užupis wird von einem Platz gebildet, auf dem eine Säule mit einem Trompetenengel steht. Diese gilt als das Wahrzeichen der „Užupio Res Publica“. In der benachbarten Straße Panpio ist die Verfassung der „Užupio Res Publica“ mit 38 Artikeln in insgesamt 45 Sprachen auf 45 spiegelnden Tafeln an einer straßenbegleitenden Mauer angebracht. Diese Verfassung kann dem Genre des Dadaismus (202) zugeordnet werden. Es stellt sich die Frage, welche dieser 38 Artikel den Verfassungskern mit unaufhebbaren Grundrechten bilden, der eine „Ewigkeitsgarantie“ hat. In der „Freistadt Christiania“ bei Kopenhagen unterhält die Republik Užupis eine Botschaft, wie ich bei meinem Besuch der „Freistadt Christiania“ am 13.09.2020 im Rahmen einer Fahrradreise feststellen konnte.
Mehrere Brücken über den kleinen Fluß Vilnia verbinden den Stadtteil Užupis mit der Stadt Vilnius. Dort gibt es Grenzpfosten und einen Grenzübergang mit einer Grenzkontrollstation. Auch hier sind die Brückengeländer der Brücken über den kleinen Fluß Vilnia mit zahlreichen Vorhängeschlössern behangen, wie man es allerorts an sehr vielen Brückengeländern antreffen kann. Die vielen Vorhängeschlösser, die man allerorts an Brückengeländern oft in großer Zahl findet, sodaß man um die Statik der jeweiligen Brücke besorgt sein muß, sind zweifellos ein Ausdruck und Indikator der sich permanent verkürzenden „Halbwertzeiten“ von Beziehungen, wobei die montierten Vorhängeschlösser mit dem Versprechen ewiger Haltbarkeit einen potentiellen Zerfall der Beziehung beschwörend aufzuhalten versuchen sollen. Diese Vorhängeschlösser vermitteln allerdings m.E. mehr den Charakter einer Zwangsveranstaltung. Zweifellos sind die sich permanent verkürzenden „Halbwertzeiten“ von Beziehungen ein Resultat einer sich permanent beschleunigenden Gesellschaft, und damit sind die allerorts anzutreffenden mit Vorhängeschlössern behangen Brückengeländer ein gesellschaftspolitisches Phänomen der fortgeschrittenen Industriegesellschaft und ein Indikator gesellschaftlichen Wandels.
Am Beispiel des Stadtteils Užupis stellt sich die Frage, welchen Kriterien Alternativprojekte genügen müssen, um als Bestandteilen von Alternativkultur Legitimität und Geltung beanspruchen zu können. Die Brockhaus-Enzyklopädie definiert „Alternativkultur“ und „Alternativbewegung“ folgendermaßen: „Die Alternativbewegung, deren primäres Ziel die Durchsetzung der Ziele der Alternativkultur ist, aktualisiert sich in der Entwicklung von neuen Lebensformen und Wertorientierungen oder Wertgewichtungen. Grundanliegen ist, der ‚Kolonisierung der Lebenswelt‘ (Jürgen Habermas), d.h. dem weiteren Übergreifen der technisch-wissenschaftlichen Rationalität auf alle nur denkbaren Lebensbereiche, entgegenzuwirken. Zentrale Bedeutung wird den kleinen sozialen Einheiten beigemessen“ (203). Als Bestandteil der Alternativbewegung werden die neuen sozialen Bewegungen (204) angesehen. Die Begriffe Alternativbewegung und Alternativkultur sind jedoch weiter, so umfassen sie z.B. auch die Lebensreformbewegung (205), die im Zeitraum um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert bestand, wobei eins der bekanntesten Projekte im Rahmen der Lebensreformbewegung das Projekt „Monte Verità“ (206) bei Ascona im Tessin gewesen ist. Bestandteile von Alternativkultur und Alternativbewegung sind Alternativprojekte. Alternativprojekte stellen eine Form von versuchter Utopie neuer Gesellschaftlichkeit dar, und ihre gesellschaftliche Relevanz bemißt sich in der kreativen Fähigkeit der Projekte, transformativ in die Gesellschaft zu wirken, sodaß wir von ihnen lernen können (207).
Da Alternativprojekte vom Mainstream abweichen, werden sie kontrovers diskutiert, und die Meinungen zu Alternativprojekten und zu Alternativkultur gehen weit auseinander. Eine Studie zur Alternativkultur aus dem Jahre 1980 der Autoren Christian Krause, Detlef Lehnert, Klaus-Jürgen Scherer mit dem Titel: „Zwischen Revolution und Resignation? Alternativkultur, politische Grundströmungen und Hochschulaktivitäten der Studentenschaft. Eine empirische Untersuchung über die politischen Einstellungen von Studenten“ stellt fest: „Je nach dem Standpunkt des Betrachters werden höchst gegensätzliche Urteile über entstehende Ansätze alternativer Lebenspraxis und Politikformen geäußert; sie reichen von der feindseligen Behauptung, dort bilde sich ein umfangreiches Potential militanter Systemgegner heraus, bis hin zu der euphorischen These, es handle sich um Keimformen eines historisch richtungsweisenden Zivilisationsentwurfes einer humanen und solidarischen Gesellschaft“ (208). Die Autoren dieser Studie zur Alternativkultur aus dem Jahre 1980 führen weiter auf: „Eine wichtige Tendenz bei den aktiven Gruppen einer neuen Studentengeneration ist deren Integration in außeruniversitäre politische Initiativen“, (…) doch „finden die von den Werten und der Realität unserer Gesellschaft enttäuschten Studenten keinen Rückhalt in den dominierenden Denktraditionen an unseren Hochschulen und versuchen sich so eigene Räume zu schaffen, in denen sie mit neuen Lebensformen experimentieren können. Häufigste Reaktion der Öffentlichkeit und der staatlichen Institutionen darauf war ein von Verständnislosigkeit geprägtes Abwehren dieser Experimente und der Versuch, die Studenten in unserer Gesellschaft zu marginalisieren“ (209).
Um wider diese Verständnislosigkeit zu einem Verständnis beizutragen, stellt sich die Frage, was die gesellschaftliche Relevanz von Alternativprojekten als Bestandteil einer Alternativkultur begründet. Nach dem Konzept des „Demokratischen Experimentalismus“ des Philosophen und Pädagogen John Dewey (1859-1952) (210) hat die moderne Demokratie experimentellen Charakter. Demokratie ist keine Frage der Regierungsform, sondern als gelebte Demokratie eine selbstbestimmte Lebensform (211). Dieses Konzept des „Demokratischen Experimentalismus“ von John Dewey erklärt der Erziehungswissenschaftler und Soziologe Hauke Brunkhorst in seinem Buch: „Demokratischer Experimentalismus“: „Unter radikaler Demokratie verstand er kein bloß politisches Herrschaftsprinzip, sondern die Idee umfassender gesellschaftlicher Selbstorganisation – Demokratie nicht nur ‚for‘, sondern ‚by the people‘. (…) Sie erschöpft sich nicht in der Selbstorganisation freier und gleicher Bürger im politischen Diskurs, sondern zielt gleichermaßen auf die Selbstorganisation aller jeweils Betroffenen (…). Der normative Sinn Deweyscher radikaler Demokratie geht deshalb weit über die republikanische Kritik an der Herrschaft von Bürgern über Bürger hinaus und impliziert eine emanzipatorische Kritik aller Herrschaft von Menschen über Menschen“ (212). Das Modell einer gelebten Demokratie als Lebensform „sprengt das Paradigma des liberalen Konstitutionalismus. Sie betont mit der aktivbürgerlichen Komponente von Politik zugleich das Engagement der Einzelnen oder auch von Gruppen“, worauf der Rechtswissenschaftler Günter Frankenberg in seinem Buch: „Autoritarismus. Verfassungstheoretische Perspektiven“ hinweist (213).
Das Konzept des Demokratischen Experimentalismus ist eine Antwort auf das Paradox der Steuerung moderner, komplexer Gesellschaften, das in der Debatte um Unregierbarkeit zum Ausdruck gelangt. Regieren verkommt zur Krisenbewältigung, denn die Politik kann den Zusammenhang nicht herstellen, weil ihr die Expertise für die Steuerung und die Mittel für die Implementation ihrer Programme fehlen, sodaß die Gesellschaft ihre Kohärenz verliert. Diese Entwicklung findet in der Dewey-Lippmann-Debatte über die Stellung der öffentlichen Meinung im Zeitalter der Massenmedien und der Massengesellschaften ihren Ausdruck (214). In Reaktion auf die Krise des repräsentativen demokratischen Regierungssystems und die Enttäuschungen der Massendemokratie und der Massengesellschaften sieht Dewey in Abgrenzung zur demokratieskeptischen Elitentheorie (215) des Journalisten und Publizisten Walter Lippmann (1889-1974) (216) eine Alternative im behutsamen Experimentieren mit immer wieder neuen Modellen gesellschaftlicher Partizipation. Der Philosoph Matthias Kettner erklärt dazu in seinem Text „John Deweys demokratische Experimentiergesellschaft“: „Die demokratische Experimentiergemeinschaft experimentiert im allgemeinen Interesse mit dem Reichtum ihrer latenten und manifesten, unterschiedlichen und gegensätzlichen Perspektiven“ (217). Dies macht die gesellschaftliche Relevanz von Alternativprojekten als Bestandteil einer Alternativkultur aus. Zudem entwirft Dewey das Konzept eines zivilgesellschaftlichen Umbaus der Wissenschaft in Abgrenzung zur Sozialtechnologie, bei der die Verwendung wissenschaftlich erzeugten Wissens in einem zweckrationalen Kontext auf das soziale Leben erfolgt, sodaß weder die Ziele, noch die Mittel von denjenigen mitbestimmt werden, für die diese Verwendung wissenschaftlich erzeugten Wissens beträchtliche Folgen birgt. Der Anwendungskontext von ziviler Forschung hingegen wird durch verständigungsorientiertes Handeln hergestellt, worauf der Philosoph Matthias Kettner hinweist: „Ihr Experimentalcharakter bezieht sich vielmehr auf die aktive, gesuchte und gewollte produktive Erweiterung der gemachten Erfahrung sowie auf einen gewaltlosen und undogmatischen Umgang mit Meinungsverschiedenheiten über die Dinge, die man untersucht“ (218).
Eine besondere Form von Alternativprojekten sind die Projektwerkstätten (219), die an der Technischen Universität Berlin seit 1985 bestehen, und die Projekttutorien, die aus dem UNiMUT-Studentenprotest des Wintersemesters 1988/89 (220) hervorgegangen sind. Das Motto dieses UNiMUT-Studentenprotest war: „Wir machen unsere Uni selbst“, und es entstanden rd. 400 selbstorganisierte Arbeitsgruppen zu den unterschiedlichsten Themen, aus denen die Projekttutorien hervorgingen. Die Projekttutorien bestanden an der Freien Universität Berlin bis zum Jahre 2002, und sie bestehen noch heute an der Humboldt Universität Berlin. Projektwerkstätten und Projekttutorien beruhen u.a. auf dem vom Zukunftsforscher Robert Jungk (1913-1994) (221) entwickelten Konzept der Zukunftswerkstatt (222). Robert Jungk stellt fest: „Unsere Gesellschaft bräuchte immer mehr Generalisten, die den Überblick über das Ganze erhalten, von allem etwas wissen und das zusammenführen können. (…) Es fehlen uns Institutionen, in denen interdisziplinär und antizipatorisch über den weiteren Gang der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung nachgedacht wird“ und „die die verschiedenen Fachdisziplinen zusammenführen und die wechselseitigen Wirkungen und Folgen der Forschungsgebiete untersuchen“. Nach Auffassung von Robert Jungk muß die Öffentlichkeit an der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung teilhaben, und dafür muß die Wissenschaftssprache so verfaßt sein, daß die Menschen verstehen, worum es geht. Robert Jungk ist davon überzeugt, daß Mut zum Vorauswurf erforderlich ist, denn „wenn man sich das Andere, das Neue und Bessere nicht vorstellen kann, dann hat es überhaupt keine Chance, je durchgesetzt zu werden“ und daher „muß der Versuch, zu anderen Modellen zu gelangen, gewagt werden.“ Wir brauchen einen neuen Entwurf einer sanften oder alternativen Technik, und um solche neuen Entwürfe zu denken, „bedarf es nicht nur der angesprochenen interdisziplinären Kenntnisse, sondern in erster Linie konkreter Phantasie und Gestaltungskraft“ (223). Zu diesem Zweck hat Robert Jungk das Konzept der Zukunftswerkstätten entwickelt. Alternativen müssen also kreativ vorausgedacht, modellhaft entwickelt und im Rahmen von Alternativprojekten experimentell erprobt werden, um einerseits auswertbare Erfahrungen und Erkenntnisse gewinnen zu können, und damit andererseits diese modellhaft entwickelten Alternativen in der Gesellschaft als potentielle Alternativen sichtbar und wahrnehmbar in Erscheinung treten können, sodaß sie das Wahrnehmen und Denken der Menschen affizieren können, um so einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über mögliche und wünschenswerte zukünftige Entwicklungspfade leisten zu können. Über die Projektwerkstätten und Projekttutorien erfährt die Alternativkultur und die Alternativbewegung eine Einbindung in einen alternativen Wissenschaftsbereich, und dieser wirkt auf die Alternativkultur und Alternativprojekte zurück.
Auf dieser Grundlage kann ein Vergleich verschiedener Alternativprojekte und Zentren von Alternativkultur erfolgen. Hierbei stellt sich die Frage nach dem Zustand der Alternativkultur in ihren diversen Erscheinungsformen und Projekten, deren Aufgabe es sein sollte, jenseits des etablierten Mainstreams undogmatische, ergebnisoffene Möglichkeitsräume für experimentelles Erfahrungslernen zu bieten, auf deren Grundlage gesellschaftliche Lernprozesse und Entwicklungen erfolgen können, die für die gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit relevant und erforderlich sein können. Der Bereich der Alternativkultur ist in der Tat sehr vielfältig und weit, und man trifft auf zahlreiche originelle Konzepte, doch es gibt auch andere, deren Sinnhaftigkeit man aus verschiedenen Gründen anzweifeln kann. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Bereich, um dieses Erfahrungswissen nutzbar zu machen, um daraus lernen zu können, ist ein unterentwickeltes Gebiet. Gibt es die Gelegenheit, Alternativprojekte kennenzulernen, nutze ich diese. Vier Beispiele verschiedener Alternativprojekte und Zentren von Alternativkultur führe ich nachfolgend auf:
a) Das Projekt „Monte Verità“ (224) auf dem gleichnamigen Berg „Monte Verità“ (322 m) bei Ascona im Tessin gilt als ein Klassiker eines Alternativprojekts, das im Rahmen der Lebensreformbewegung (225) entstanden war, doch verblieben und erhalten ist dort heute nichts mehr, wie ich im Rahmen einer Fahrradreise durch Teile der Alpenregion feststellen mußte. Die Lebensreformbewegung um die Jahrhundertwende 1900 war keinesfalls eine „Fin de Siècle“-Zeitgeistströmung (226), sondern eine Alternativbewegung, die alternative Lebensformen zur Industriegesellschaft experimentell erprobt hat, und eins der bedeutendsten Projekte der Lebensreformbewegung war „Monte Verità“ im Tessin in der Nähe der Stadt Ascona. Ein bedeutender Bestandteil der Lebensreformbewegung war die Naturheilbewegung, sodaß auch am „Monte Verità“ Naturheilkunde einen thematischen Schwerpunkt bildete. Zu naturheilkundlichen Heilmitteln gehören die Sonne, das Licht, die Luft, die Bewegung, die Ruhe, die Nahrung, das Wasser, und das gesamte Projekt „Monte Verità“ war in allen seinen Bestandteilen auf diese Aspekte ausgerichtet. Auf einer Fahrradreise im Jahre 2016, die durch Teile der Alpen-Region führte, wollte ich feststellen, was dort heute an das Projekt „Monte Verità“ noch erinnert. Entgegen dem durch die Tourismusindustrie verbreiteten Mythos vom „Sonnigen Tessin“ ist dieses jedoch tatsächlich eine der regenreichsten Regionen Europas (Jahresgesamtniederschlag Locarno: 1900 mm), und so erreichte ich am 25. November 2016 den Monte Verità (322 m) während meiner Fahrradreise durch tagelangen Dauerregen. Doch zu meiner Enttäuschung erinnert auf dem Hügel nichts mehr an das einstige Alternativprojekt im Rahmen der Lebensreformbewegung, und ich traf dort nur auf eine Einrichtung der Universität Zürich. Mittlerweile ist dort im Jahre 2017 ein Museum zum Thema „Monte Verità“ eröffnet worden, das das Museo Casa Anatta (227).
b) Der Stadtteil Užupis stellt in Vilnius eine bedeutende Touristenattraktion dar, und er präsentiert sich dem Besucher mit Gastronomie und Kleingewerbe. Die Randbereiche des Stadtteils Užupis erwecken den Eindruck eines Versuchs, ländliche Idylle und Beschaulichkeit in die Großstadt zu verpflanzen, doch welche alternativen Konzepte, Inhalte und Impulse von diesem Projekt ausgehen sollen, wurde mir bei meinem Besuch nicht deutlich.
c) Das Projekt „Freistadt Christiania“ (228) bei Kopenhagen, das ich im Sommer 2020 besuchte, befindet sich auf einem ca. 34 Hektar großen Gelände im Stadtteil Christianshavn von Kopenhagen. Es ist umgeben von Hafenanlagen sowie von frühneuzeitlichen Befestigungsanlagen, die im Jahre 1617 von König Christian IV (1588-1648) angelegt wurden und deren Bastionen zu großen Teilen erhalten sind. Auf dem brachliegenden Gelände entstand im Jahre 1971 das heutige Projekt „Freistadt Christiania“, dessen Entwicklung und Besonderheiten im Rahmen geführter Touren kennengelernt werden kann. An einer solchen Tour habe ich teilgenommen. Zu der Tour hatte sich eine kleine Gruppe Interessierter aus unterschiedlichen Ländern eingefunden, und die Tour wurde von einem langjährigen Gründungsmitglied des Projekts, daß heute ca. 1000 Teilnehmer umfaßt, durch den zentralen Südwestteil des Projektgeländes durchgeführt, und auf der ca. 1:30 Stunden Tour bleiben keine Fragen unbeantwortet. Im Anschluß an diese geführte Tour setzte ich meine Exkursion in die bewaldeten Außenbereiche des Projektgeländes fort, das sich auf zwei Reihen der historischen Bastionen nach Norden erstreckt. Dort kann man zu noch weiteren und anderen Eindrücken vom vielfältigen Projekt Christiania gelangen, als es der alleinige Besuch des Zentralbereichs im Südwesten vermittelt. Obwohl diese bewaldeten Außenbereiche des Projektgeländes bezüglich ihrer räumlichen Lage noch Teil des Stadtzentrums von Kopenhagen sind, präsentiert sich dieser Teil des Projektgeländes als eine Oase sich ungestört entfaltender Stadtwildnis, als eine Oase der Ruhe innerhalb der sie umgebenden lärmenden Hektik des pausenlosen Herumhastens der permanent mobilisierten und beschleunigten fortgeschrittenen Industriegesellschaft.
Auch heute noch sind die meisten Stadtzentren vom städtebaulichen Planungsleitbild der „autogerechten Stadt“ geprägt, das die permanente Mobilisierung, Mobilmachung und Beschleunigung aller Bereiche der Gesellschaft zum Ziel hat, die hierbei als eine große, zweckrational zu optimierende Maschine verstanden wird, einem Anspruch, dem auch die Stadt-, Verkehrs- und Bauplanung zu genügen hat. In geradezu idealtypischer Weise sind derartige Konzepte theoretisch ausgearbeitet und praktisch umgesetzt worden von Vertretern der „Charta von Athen“ (229), insbesondere von Le Corbusier und Oscar Niemeyer. Individuelle Lebensäußerungen, die nicht den funktionalen Vorgaben dieser am Modell einer Maschine orientierten Planungskonzepte entsprechen, müssen als zu behebende Störgröße und als zu sanktionierende Ordnungswidrigkeit erscheinen.
Dieser nördliche Teil des Projektgeländes der „Freistadt Christiania“ ist zugleich eine Freiluftausstellung für originelles, einfaches und naturnahes Bauen überwiegend mithilfe wiederverwendbarer gebrauchter Baumaterialien, mit dem Ergebnis einer Architektur, die sich harmonisch in die bestehende Landschaft und Natur einfügt, ohne diese nennenswert zu verändern oder diese gar beseitigt, um sie durch künstliche, technische, zweckrational optimierte, sterile Planungs- und Baulandschaften zu ersetzen. An einem dieser Gebäude verweist ein Schild darauf, daß sich hier eine „Embassy of the Republic of Užupis“ befindet. Das Projekt „Freistadt Christiania“ bietet offensichtlich weit mehr beachtenswerte Aspekte und Konzepte, als die reduzierte Berichterstattung in den Mainstream-Medien suggeriert, wo das Projekt meist nur auf Konflikte und Drogenprobleme verkürzt dargestellt wird. Doch das ist nicht nur hier der Fall, sodaß es offensichtlich eine allgemeine Strategie und entsprechende Konzepte gibt, alles vom Mainstream Abweichende zu diskreditieren und zu kriminalisieren, damit die Alternativlosigkeit des Bestehenden nicht in Frage gestellt werden kann.
d) In Berlin galt der Bezirk Kreuzberg (230) als ein Zentrum der Alternativkultur, doch davon ist heute nahezu nichts mehr übrig geblieben. Die Entwicklungen in Folge des „Mauerfalls“ 1989 haben dazu beigetragen, denn der vor 1989 in einer Nische der Berliner Mauer gelegene Bezirk Kreuzberg gelangte damit in kürzester Zeit von Rand ins Zentrum der Metropole Berlin, und heute wälzen sich permanent gewaltige Verkehrsströme durch Kreuzberg. Der Niedergang der Alternativkultur und der Alternativbewegung wurden durch die technokratische Bolognareform erheblich beschleunigt. Geblieben ist heute in Kreuzberg nicht mehr als ein Mythos, der sich bis in die Gegenwart hält, und der im Rahmen des Berlin-Tourismus vermarktet wird. Nach dem Niedergang der Alternativkultur, der selbstorganisierten Projekte und der Basisinitiativen als Bestandteilen des Konzepts eines „Demokratischen Experimentalismus“ sind in Berlin diverse Subkulturen übrig geblieben, die sich gegeneinander abgrenzen und die miteinander um Raum und Ressourcen konkurrieren. Diese Subkulturen pflegen einen oft destruktiven Aktionismus, der weitgehend ohne Analyse auskommt, ihre Akteure sind bildungsfeindlich, sie neigen zu wahllosen und beliebigen „Feinderklärungen“, und m.E. wird die Agenda dieser diversen und nicht überblickbaren Subkulturen von im Verborgenen wirkenden Akteuren, darunter in- und ausländischen Geheimdiensten, produziert und gesteuert, was jedoch von den Aktivisten dieser Subkulturen nicht reflektiert wird. Der Niedergang von Alternativkultur und die Zunahme von Subkultur bedingen sich wechselseitig. Im Gegensatz zu Alternativkultur hat Subkultur keinen gesellschaftsgestaltenden Anspruch, was nicht ohne Folgen bleibt: Nach dem Niedergang der Alternativbewegung wird die öffentliche Meinung jetzt weitestgehend nur noch „Top Down“ von oben durch großangelegte Kampagnen bestimmt, im Rahmen derer Lobbyisten die Bereiche der Massenmedien, der Politik, des Wissenschaftsbetriebs und der großen NGO für ihre Ziele gleichschalten. Bestandteil dieser Entwicklungen ist eine zunehmende Politikverdrossenheit (231).
Eine Unterscheidung und Abgrenzung von Alternativkultur und Subkultur ist somit erforderlich. Alternativkultur ist in Berlin mittlerweile nahezu vollständig verschwunden und stattdessen gibt es dort heute Subkulturen. Erscheinungen und Entwicklungen, die regelmäßig im Zusammenhang mit Protestbewegungen, Alternativkultur und Alternativprojekten für negative Schlagzeilen sorgen, wie Gewalt, Krawalle, Ausschreitungen, Drogen u.a.m. werden gezielt gefördert, um diese zu diskreditieren, damit diese keinen erfolgreichen Beitrag dazu leisten können, die herrschende Ideologie der Alternativlosigkeit des Bestehenden in Frage zu stellen. Der Begriff „Subkultur“ (232) ist in den Gesellschaftswissenschaften nicht einheitlich definiert. Zum Einen wird er synonym mit „Alternativkultur“ gebraucht, oder er wird zum Anderen verwendet für die sozio-kulturellen Teilbereiche, über die sich die Pluralität einer Gesellschaft ausdrückt. Nach us-amerikanischem Begriffsgebrauch hingegen ist „Subkultur“ durch schichten- und altersspezifische Kriminalität und abweichendes Verhalten geprägt, und „Subkultur“ wird somit Gegenstand der Kriminalsoziologie und polizeilicher Maßnahmen vorbeugender und präventiver Verbrechensbekämpfung und Strategien gesellschaftlicher „Normalisierung“.
Globalhistorisch betrachtet wurden Alternativkultur und Alternativbewegung durch die Systemkonfrontation, den Ost-West-Gegensatz und die globale Bipolarität des Staatensystems im Zeitraum von der Nachkriegszeit bis zu den Ereignissen 1989/90 begünstigt, aufgrund der tatsächlichen Alternativlosigkeit der beiden Systemalternativen der industriellen Moderne, und entgegen deren Propaganda, in der sich wechselseitig beide unisono als die einzigen möglichen Alternativen darstellten. Dies bringt die These der alternativlosen Konvergenz der westlichen und der östlichen, „realsozialistischen“ Variante der industriellen Moderne zum Ausdruck. Diese These besagt, daß beide Varianten der industriellen Moderne alternativlos bestrebt waren, die technisch-wissenschaftliche Rationalität auf alle nur denkbaren Lebensbereiche auszuweiten, um die Industrialisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Seit 1989/90 ist ein Niedergang von Alternativkultur und Alternativbewegung feststellbar, und die Gesellschaft differenziert sich seither zunehmend durch eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensstile, zu denen auch die verschiedenen Lebensstile der diversen Subkulturen zählen. Diese diversen Lebensstile sind Bestandteil der sich weltweit ausweitenden Konsumkultur (233) als der hegemonialen globalen Lebensweise in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Der Konsum von Konsumprodukten wird werbewirksam als „Lifestyle“ vermarktet, und um an den propagierten „Lifestylen“ partizipieren zu können, ist der Erwerb darauf abgestimmter Konsumprodukte erforderlich.
9. Geopolitik und die alternativlose Affirmation des Bestehenden
In der Europäischen Union wurde der Niedergang der Alternativkultur und der Alternativbewegung durch die technokratische Bolognareform (234) erheblich beschleunigt. Auch wurde im Zuge der Umsetzung der technokratischen Bologna-Reform in der Europäischen Union an der Freien Universität Berlin das Projekttutorienprogramm eingestellt. Die technokratische Bologna-Reform wurde in der gesamten Europäischen Union in kurzer Zeit durchgesetzt, ohne daß es irgendwelche Proteste (235) gegeben hat. Damit die technokratische Bologna-Reform verständlich wird, muß sie im Rahmen gegenwärtiger geopolitischer Entwicklungen analysiert werden: In den Medien wird heute das Thema Europa auf „EU“ und „Euro“ reduziert, und es gerät aus dem Blick, daß Europa, wie der Soziologe Ulrich Beck und der Politologe Edgar Grande in ihrem Buch: „Das kosmopolitische Europa“ hervorheben, ein „hochkomplexes und äußerst differenziertes, politisch bewegtes und bewegliches politisches Projekt“ ist, das sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher miteinander in Wechselwirkung stehenden politischen Prozessen, Ebenen und Akteuren zusammensetzt, die in ihrer interdependenten Gesamtheit das europäische Projekt ausmachen (236). Dies läuft auf eine Förderung einer Multiebenendiversität des Politischen im Rahmen eines Mehrebenensystems einer dezentrierten Weltgesellschaft hinaus. Es entsteht somit in Europa ein völlig neues Modell von Politik, das sich von historisch überholten Politikformen verabschiedet, deren Scheitern in Anbetracht des extremen 20. Jahrhunderts unübersehbar geworden ist.
In der Europäischen Union hingegen ist heute seit der technokratischen Bologna-Reform der gesamte Bildungs- und Wissenschaftsbereich ein gleichgeschaltetes (237) Anhängsel des Wirtschaftsprozesses im europäischen Großwirtschaftsraum, der von der Europäischen Union verwaltet wird. Diese technokratische Bologna-Reform ist mit Abstand das herausragendste Beispiel der Regulierungs- und Gleichschaltungswut, von der die Technokraten (238) der Europäischen Union angetrieben werden (239). So hat sich die EU zu einem technokratischen Imperium (240) entwickelt, in dem es an innovativen und zukunftsweisenden Konzepten sowie an Partizipation und Demokratie mangelt. Der Politologe Dirk Jörke zeigt in seinem Buch: „Die Größe der Demokratie. Über die räumliche Dimension von Herrschaft und Partizipation“ auf, daß „ab einer bestimmten Größe der Bevölkerung oder des Staatsgebietes sich die Qualität der Demokratie verschlechtert und in sehr großen Herrschaftsverbänden nur in einem schwachen Sinne von der Existenz demokratischer Institutionen und Praktiken ausgegangen werden kann“ (241). Je mehr sich die Europäische Union als ein technokratisches Imperium erweitert, umso mehr nehmen Partizipation und Demokratie ab und umso mehr wird der Mangel an innovativen und zukunftsweisenden Konzepten größer. Doch innovative und zukunftsweisende Konzepte sowie Partizipation und Demokratie sind heute in EUropa kein relevantes Thema mehr, denn die EU will sich heute als handlungs-, leistungs- und interventionsfähiger sowie durchsetzungsstarker globaler Akteur im Rahmen der erwarteten zukünftigen geopolitischen (242) Krisen und Konflikte im Weltsystem präsentieren, um erfolgreich mit anderen Welt- und Supermächten geopolitisch konkurrieren zu können, und diese neuen Krisen und Konflikte im Weltsystem haben schon begonnen, wie wir in mehrfacher Weise feststellen müssen.
Nach dem Ende des Zeitalters der Bipolarität und der Blockkonfrontation 1989/90 erfolgt eine Neuaufteilung globaler Interessen- und Einflußzonen. Es ist eine neue Zuspitzung von globalen Gegensätzen zwischen Großmächten (243), Weltmächten (244) und Supermächten (245), zwischen imperialen Machtblöcken feststellbar, vergleichbar mit dem Zeitalter des Imperialismus (246), das in zwei Weltkriegen gipfelte, und es findet gerade ein geopolitischer „Wettlauf“ (scramble) (247) um eine Neuverteilung raumrelevanter Interessen- und Einflußzonen zur zukünftigen Absicherung von Herrschaftsansprüchen statt. Im diesem neuen Zeitalter imperialer Geopolitik und Machtpolitik ist wissenschaftlich-technischer Fortschritt, die auf Hochtouren laufenden und effizienzmaximierte Industriegesellschaft, permanentes Wirtschaftswachstum und eine pausenlose Mobilisierung und Mobilmachung der Bevölkerung alternativlos, denn nur diese sind die Grundlage für erfolgreiche geoimperiale Machtpolitik, wie das Zeitalter des Imperialismus zeigt, das in zwei Weltkriegen kulminierte. Erfolgreiche geoimperiale Machtpolitik kann nur betrieben werden, wenn Alternativen erfolgreich unterdrückt werden, und der geoimperiale Akteur, der erfolgreicher und effizienter Alternativen unterdrückt, ist im Rahmen der geoimperialen Konkurrenz im Vorteil. Alternativen sind erst wieder möglich, wenn ein vollständiger Bruch mit dem extremen 20. Jahrhundert und eine vollständige Revision der dieses extreme 20. Jahrhundert ermöglichenden Ideen und Konzepte erfolgt ist und auch tatsächlich grundsätzlich anders und auf anderen Grundlagen Politik gemacht wird.
Aufgrund des Fortbestandes wesentlicher, für das extreme 20. Jahrhundert typischer Merkmale (248) hält das extreme 20. Jahrhundert jedoch bis heute weiter an, und es erfährt seine technologische Modernisierung. Es mangelt an zukunftsweisenden Alternativen, und ein Wechsel der Agenda (249) steht noch aus, sodaß der Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung (250) in seinem Text: „Geopolitik nach dem Kalten Krieg: ein Essay zur Agendatheorie“ zu der Schlußfolgerung gelangt, „daß die politische Klasse dieser Erde ein momentanes geopolitisches Agendavakuum mit unvollendeten Agenden der Vergangenheit füllt (…). Die politische Klasse hat nicht umgedacht, und das liegt nur teilweise daran, daß sie keine Zeit für kreative Aktivitäten hatte“ (251). Noch erfolgte kein vollständiger historischer Bruch mit dem extremen 20. Jahrhundert und es erfolgte keine vollständige Revision (252) der dieses extreme 20. Jahrhundert ermöglichenden Ideen und Konzepte, da wesentliche, das extreme 20. Jahrhundert prägende und konstituierende Merkmale fortbestehen, sodaß sich das extreme 20. Jahrhundert heute digitaltechnisch modernisiert ins 21. Jahrhundert verlängert und die abschließende Historisierung des extremen 20. Jahrhunderts durch den Historiker Eric Hobsbawm (1917–2012) als „Das Zeitalter der Extreme“ (253) zu früh erfolgt ist. Wie die auch nach der vermeintlichen Epochenwende 1989/90 fortbestehenden Krisen, Konflikte und Kriege zeigen, setzt sich das extreme 20. Jahrhundert als „Zeitalter der Extreme“ vielmehr im 21. Jahrhundert weiter fort, da wesentliche das extreme 20. Jahrhundert prägende Merkmale weiter fortbestehen, diese sich einem historischen Bruch verweigern und ihre Kontinuität ins 21. Jahrhundert verlängern. Nach dem Zeitalter der Bipolarität und der Blockkonfrontation bestand zu Beginn der 90er Jahre tatsächlich die Hoffnung, daß ein neues globales Zeitalter des Friedens, der Kooperation und der Entwicklung anbrechen würde, was sich jedoch als Illusion erwies, wie wir heute feststellen müssen. Warum dieses nicht gelang, werden zukünftige Historiker ergründen, erforschen und analysieren müssen.
Die Verlängerung der Vergangenheit bedeutet sowohl ein Ende der Zukunft, als auch potentiell ein Ende der Menschheitsgeschichte. In seinem Buch: „Der unterlegene Mensch“ zeigt der Physiker und Philosoph Armin Grunwald auf: „Wir verspielen das Neue, das Kreative, das Unerwartete – all das, was Zukunft eben sein kann jenseits der bloßen Verlängerung der Vergangenheit. (…) Zukunft als ein Raum unbekannter und vor allem neuer Möglichkeiten hingegen kann nicht datenbasiert erzeugt werden, sondern durch Visionen und Ideen, durch Pläne und Utopien, durch Kreativität und Phantasie und durch Vorstellungen, wie eine bessere Gesellschaft aussehen könnte. Diese Art von Überlegungen ist (…), wie die Philosophen sagen, kontrafaktisch, das Gegenteil von Fakten und Daten (…) im Sinne des Gedankens, dass die Welt nicht so sein muß, wie sie jetzt ist, sondern wir bewußt an Veränderungen arbeiten können“ (254). Grunwald hebt hervor: „Entgegen der Rhetorik des Optimierens kommt es darauf an, den Blick dahingehend offenzuhalten, dass es meist auch anders ginge und dass es Alternativen gäbe. Souveränität und Mündigkeit bedeuten, das Denken in Alternativen zu pflegen, sich um die jeweils angemessene Lösung zu streiten und sich zu guter Letzt zu entscheiden“ (255). Mit der Frage nach zukunftsfähigen Alternativen befinden wir uns im Zentrum von Zukunftsforschung (256). Doch der Bereich der Zukunftsforschung oder Futurologie wird heute von den Protagonisten und Apologeten eines Posthumanismus (257) und Transhumanismus (258) und einer Technologischen Singularität (259) dominiert, die sowohl eine Alternativlosigkeit des von ihnen definierten wissenschaftlich-technischen Fortschritts (260), als auch eine Alternativlosigkeit des gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Zustands propagieren, sodaß es an zukunftsweisenden Alternativen mangelt, das extreme 20. Jahrhundert digitaltechnisch modernisiert weiter anhält und ein Wechsel der Agenda weiterhin aussteht (261). In seinem Text: „Der Neue Mensch – ein (technik)utopisches Upgrade“ analysiert der Mediensoziologe Sascha Dickel diese Entwicklungen „in einer Epoche des ‚rasenden Stillstands‘, in der die Gesellschaft eher Sachzwängen hinterher eilt, als sich kollektiv zu gestalten“: „Die transhumanistischen Utopien werden in einer Gesellschaft artikuliert, die in sachlicher Hinsicht so komplex geworden ist, dass die Idee einer Transformation der Sozialordnung hin zu einem gesellschaftlichen Alternativmodell kaum mehr plausibel erscheint. In einer vernetzten, globalisierten Welt, die kein Außen mehr kennt, scheint selbst die Realisierung lokal begrenzter Gegenmodelle fraglich“ (262).
Nach dem extremen 20. Jahrhundert müßte grundsätzlich anders Politik gemacht werden, und alle bisherige Politik und deren Grundlagen müssen einer Revision unterworfen werden. Insbesondere muß jegliche Geopolitik und Machtpolitik ein Ende finden, und die derzeit entstehende Weltgesellschaft muß so strukturiert und organisiert sein, daß jegliche Geopolitik und Machtpolitik strukturell dauerhaft unmöglich ist. Im weltweiten Vergleich läßt sich feststellen, daß meist in kleinen Ländern beachtenswerte Alternativen entwickelt werden, die aber kaum wahrgenommen und beachtet werden, wohingegen die großen Länder, die überwiegend Machtpolitik und Geopolitik betreiben, im Zentrum der öffentlichen Medien-Aufmerksamkeit stehen, was ein Beispiel für das Wirken von „Soft Power“ (263) ist.
10. Minsk, eine Heldenstadt des real-existierenden Sozialismus
Der Fernbusbahnhof der Stadt Vilnius liegt neben dem Hauptbahnhof. Hier verkehren in großer Zahl Reisebusse zu den unterschiedlichsten Zielen im In- und Ausland, darunter auch 35 tägliche Busverbindungen nach Minsk in Belarus. Diese Fahrstrecke wird überwiegend, aber nicht ausschließlich von „Eurolines“ befahren. „Eurolines“ unterhält im Busbahnhof von Vilnius ein Ticketbüro, wo Uli und ich schon am Vortag Bustickets für unsere Weiterreise nach Minsk gekauft haben Dafür ist die Vorlage des Reisepasses erforderlich, denn die Tickets werden auf den Namen der Reisenden ausgestellt.
Am Donnerstag dem 14.11.2024 setzen Uli und ich per Reisebus unsere Reise von Vilnius zur Metropole Minsk in Belarus fort. Die Gesamtdistanz der Fahrtstrecke von Vilnius nach Minsk beträgt ca. 180 Kilometer. Nach kurzer Fahrtzeit erreicht der Reisebus die Grenze zwischen Litauen und Belarus. Diese Grenze ist zugleich Teil der östlichen Außengrenze der EU. Die Grenzstation von Litauen passiert der Reisebus ohne jegliche Kontrollen. An der Grenzstation von Belarus gibt es insgesamt zwei Paßkontrollen, wobei die zweite zugleich eine Zollkontrolle beinhaltet, und die Passierenden erhalten einen Einreisestempel in den Reisepaß. Auch werden biometrische Daten erfaßt. Einen weiteren längeren Aufenthalt gibt es, bis der Reisebus den Grenzraum verlassen und die Fahrt fortsetzen kann. Insgesamt hat das Passieren der Grenze ca. 3:30 Stunden gedauert.
Die Weiterfahrt verläuft durch eine Agrarlandschaft, in der sich Waldgebiete und Landnutzungsflächen abwechseln. Kurzzeitig gibt es leichten Schneefall. Schon bald setzt Abenddämmerung ein. Abrupt erheben sich die Hochbauten der Metropole Minsk (264), die mit heute rd. 2 Millionen Einwohnern die zehntgrößte Stadt in Europa ist, mit ausgeprägter Siedlungs- und Bebauungsgrenze aus dem umgebenden ländlichen Raum. Mit dem ländlichen Raum kontrastieren die gewaltigen Dimensionen und Proportionen der Metropole Minsk sowie der Monumentalismus der die gewaltigen Verkehrsachsen einrahmenden Hochbauten. In vielen sowjetischen Großstädten, besonders in Moskau, aber auch in Minsk wurden Monumentalgebäude errichtet. Der Baustiel der repräsentativen Bauten in der Sowjetunion in der Zeit des Machthabers Josef W. Stalin (1878–1953) wird als „Sozialistischer Klassizismus“ bezeichnet. Der „Sozialistischer Klassizismus“ ist Bestandteil des „Sozialistischen Realismus“, der etwa ab Anfang der 1930er Jahre der offiziell propagierte Kunststil in der Sowjetunion war. Geprägt ist der Stil durch palastartige Gebäude, die zahlreiche Verzierungen an den Fassaden, Säulen, Säulenhallen und Turmaufbauten enthalten.
Minsk ist eine der Städte, deren historisches Stadtbild (265) nach immensen Kriegszerstörungen im Zweiten Weltkrieg nicht rekonstruiert wurde, sondern als Planstadt (266) nach dem Konzept der „sozialistischen Stadt“ (267) völlig neu gestaltet worden ist. Auch das Konzept der „sozialistischen Stadt“ hat die „Charta von Athen“ (268) zur Grundlage, deren Bestandteil das Planungsleitbild der „autogerechten Stadt“ (269) ist. Der Bereich der Stadtplanung ist somit ein Beispiel für die These der alternativlosen Konvergenz der westlichen und der östlichen, „realsozialistischen“ Variante der industriellen Moderne (270). Die These besagt, daß beide Varianten der industriellen Moderne alternativlos bestrebt waren, die technisch-wissenschaftliche Rationalität auf alle nur denkbaren Lebensbereiche auszuweiten, um die Industrialisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Die Kritik von Stadtplanung und den dieser zugrundeliegenden Konzepte und Planungsleitbilder ist Bestandteil von Architekturkritik (271). Gegenstand von Architekturkritik ist insbesondere Herrschaftsarchitektur (272).
Der Fernbusbahnhof der Metropole Minsk liegt neben dem Hauptbahnhof im Süden des Stadtzentrums. Die bedeutendste Straße im Stadtzentrum ist der Unabhängigkeitsprospekt (Praspekt Niezalieznasci) (273), und dieser erstreckt sich vom Hauptbahnhof Richtung Nordosten durch das gesamte Stadtzentrum. Diese Verkehrsachse hieß in den 50er Jahren Stalin-Prospekt, von 1961 bis 1991 hieß sie Lenin-Prospekt, und im Jahre 2005 erhielt sie den heutigen Namen Unabhängigkeitsprospekt. Viele bedeutende Gebäude und Einrichtungen befinden sich an dieser Straße und in ihrer Umgebung, sodaß Uli und ich bei unseren Stadtexkursionen wiederholt den Unabhängigkeitsprospekt passieren. Dabei gelangt man zum weitläufigen Unabhängigkeitsplatz (274), um den sich Verwaltungs- und Regierungsgebäude gruppieren, und ein kurzes Stück weiter befindet sich das Hauptpostamt. Neben dem ehemaligen Gebäude des KGB gibt es eine zentrale Buchhandlung, wo man Stadtpläne von Minsk kaufen kann (Vulitca Niezalieznasci 19). In der Nachbarstraße Vulitca Marksa 12 besuchen wir das Nationale Historische Museum. Die Ausstellung des Museums hat die Vorgeschichte und Geschichte auf dem Territorium des heutigen Belarus zum Gegenstand. Im Keller des Gebäudes gibt es zudem ein kleines Museum für Natur und Ökologie, dessen Besuch im Eintrittspreis eingeschlossen ist. Auf dem Oktoberplatz (275), dem früheren Neuen Markt, befindet sich der Palast der Republik und ein Kulturpalast der Gewerkschaften. Folgt man dem Unabhängigkeitsprospekt weiter, gelangt man vorbei am Belarussischen Staatszirkus und über den Fluß Swislatsch zum Siegesplatz.
Nordwestlich des Oktoberplatzes liegt am Ufer des Flusses Swislatsch das historische Stadtzentrum von Minsk. Die Anfänge der Stadt lassen sich auf das 9. Jahrhundert zurückführen, und die erste bekannte urkundliche Erwähnung von Minsk stammt aus dem Jahre 1067. Im Jahre 1242 war die Stadt Minsk freiwillig dem Großfürstentum Litauen beigetreten. Aufgrund der immensen Kriegszerstörungen im Zweiten Weltkrieg und des nachfolgenden Umbaus von Minsk zur Planstadt der „real-sozialistischen“ Moderne nach dem Konzept der „Sozialistischen Stadt“, war jedoch vom historischen Gebäudebestand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt Minsk kaum mehr etwas erhalten. Doch am Rathausplatz, der heute „Platz der Freiheit“ heißt, sind die wenigen verbliebenen Gebäude in den wenigen zurückliegenden Jahrzehnten instand gesetzt worden. Hier gibt es einige Touristen, die man ansonsten in Minsk nicht antrifft. Ebenfalls gibt es hier eine Touristeninformation.
Auch das Rathaus von Minsk aus dem Jahre 1598 ist im Jahre 2003 wieder aufgebaut worden (276). Infotafeln verweisen auch in englischer Sprache darauf, daß die Stadt Minsk im Jahre 1499 das Magdeburger Stadtrecht (277) erhalten hat. Im Mittelalter gewährten Stadtrechte (278) den Städten Selbstverwaltung und Autonomie, und im Rahmen der mittelalterlichen Stadtgründungsphase (279) weitete sich das Modell der Freien Stadt (280) über weite Teile Europas aus, insbesondere des mittleren Europas. Die Stadtrechte einzelner Städte, wie z.B. Magdeburg, Lübeck (Lübisches Recht), Köln, Nürnberg bildeten Stadtrechtsmodelle, die von zahlreichen weiteren Städten, auch in der östlichen Hälfte Europas übernommen wurden. Als Institution der Selbstverwaltung wurde in den Städten ein Rathaus gebaut. Im Jahre 1795 wurde der Stadt Minsk das Stadtrecht entzogen, als die Stadt Minsk nach der Auflösung des Polnisch-Litauischen Staates im Jahre 1795 (281) nun vom Kaiserreich Rußland (282) verwaltet wurde, und im Jahre 1851 ließ Kaiser Nikolaus I. das Rathaus der Stadt Minsk als Symbol der Selbstverwaltung zerstören. Heute erinnert auf dem Rathausplatz ein Denkmal mit einer Marktszene an die durch das Magdeburger Recht im Jahre 1499 erlangte Selbstverwaltung der Stadt Minsk. Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ist vom Niedergang der freien und selbstverwalteten Städte geprägt und vom Aufstieg des zentralistischen absolutistischen Staates, und bis heute haben die Städte ihre frühere Unabhängigkeit und Selbstverwaltung nicht wieder erlangt.
Das historische Stadtzentrum von Minsk setzt sich nördlich vom Rathausplatz auf der linken Uferseite des Flusses Swislatsch mit der sogenannten „Dreifaltigkeitsvorstadt“ fort, die im 12. Jahrhundert entstanden ist und die auf dem „Dreifaltigkeitshügel“ liegt. Der Name stammt von einer Dreifaltigkeitskirche, die der Großfürst von Litauen Jogaila (1362-1434) (283), der ab dem 14.03.1384 als Władysław II. Jagiełło zudem König von Polen war, hier einst gestiftet hat. Beim Wiederaufbau der Stadt Minsk nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hier ein großer Teil der noch vorhandenen historischen Bausubstenz zerstört und durch moderne Hochbauten ersetzt. In den 80er Jahren wurde dieser Vorort wieder aufgebaut, wofür teilweise Bauten aus dem 17. Und 18. Jahrhundert abgerissen wurden. Was man heute in der „Dreifaltigkeitsvorstadt“ sieht, ist eine Nachbildung historischer Gebäude. Vor der „Dreifaltigkeitsvorstadt“ wurde auf der „Träneninsel“ im Fluß Swislatsch im Jahre 1996 eine Gedenkstätte eingerichtet, die an die Kriegstoten im Afghanistan-Krieg von 1979 bis 1989 (284) erinnert.
Schon Mitte 1979, sechs Monate vor der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan am 25.12.1979, begann die CIA-Operation „Cyclone“ mit dem Ziel der Destabilisierung der Sowjetunion durch die Verbreitung des militanten Islams in Zentral-Asien und der Ausbildung von Guerilla-Kämpfern. Nach Aussage des Politikwissenschaftlers Zbigniew Brzeziński hatte diese Geheimoperation „den Zweck, die Russen in die afghanische Falle zu locken“ um „der UDSSR ihren Vietnamkrieg zu bescheren“. Der Afghanistan-Krieg in den 1980ern wird als Beginn der heutigen transnationalen Dschihadisten-Bewegungen angesehen, in denen viele der ehemaligen Afghanistan-Kämpfer Schlüsselstellungen einnahmen. Dieser Konflikt markierte für die arabische Welt den Übergang vom Arabischen Nationalismus zum Islamismus. Die ausländischen Freiwilligen kehrten radikalisiert in ihre Heimatländer zurück, um den „nahen Feind“, die säkularen Regime z.B. in Ägypten und Algerien zu stürzen oder schlossen sich Guerillakämpfen z.B. in Bosnien oder Tschetschenien an.
Folgt man dem Unabhängigkeitsprospekt über den Fluß Swislatsch nach Nordosten Richtung Siegesplatz, gelangt man zu einem in der Nähe des Fußufers am Rande eines Parks gelegenen kleinen Museum, das sich dort in einem kleinen traditionellen, regionaltypischen Holzhaus befindet (Vulitca Niezalieznasci 31a). Es ist das „Museum der Ersten Tagung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands“. Die Ausstellung dieses Museums ist offensichtlich erst kürzlich neu bearbeitet und neu gestaltet worden, und sämtliche Informationen werden jetzt dreisprachig angeboten (Belarussisch, Russisch, Englisch). Nach Angaben meines Reiseführers soll dies vor wenigen Jahren noch nicht der Fall gewesen sein, als die Ausstellung nur in russischer Sprache konzipiert war. Gegenstand der Ausstellung ist die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (285), die hier in diesem Haus in Minsk auf deren ersten Tagung vom 01. bis zum 03.03.1898 erfolgte, sowie die damaligen historischen Umstände. Dargestellt wird die damalige Stadt Minsk zum Zeitpunkt der Parteigründung. Kurzbiografien beteiligter Personen werden präsentiert, und es wird die gesellschaftliche und politische Situation im damaligen Kaiserreich Rußland dargestellt. Die diesem historischen Ereignis der Parteigründung nachfolgenden und weiteren Entwicklungen, wie z.B. die Februarrevolution (286) und die Oktoberrevolution (287) des Jahres 1917 sind nicht Gegenstand der Ausstellung. So erfahren wir auch nichts zur Finanzierung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands und deren Nachfolgeorganisationen sowie zur Finanzierung der Oktoberrevolution 1917, ohne die die historischen Ereignisse nicht hätten erfolgen können (288). Die Oktoberrevolution hatte mehr den Charakter eines aus dem Ausland finanzierten Putsches oder Staatsstreiches, und erst nachträglich wurde der Mythos einer Revolution geschaffen.
Auf dem Unabhängigkeitsprospekt erreicht man nordöstlich des Flusses Swislatsch den Siegesplatz (289). Dieser Platz ist ein Relikt aus der Zeit der Sowjetunion, und er hat den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, dem sogenannten „Großen Vaterländischen Krieg“ (290) zum Gegenstand. In dieser Hinsicht hat die Stadt Minsk und ganz Belarus den Charakter eines großen Freilichtmuseums, da anders als in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion und des ehemaligen Warschauer Paktes eine große Anzahl an Gebäuden und Monumenten aus der Ära der Sowjetunion auch heute noch erhalten ist. Dazu zählt auch der Siegesplatz. In dessen Zentrum steht ein 40 Meter hoher Obelisk aus Granit aus dem Jahre 1954. Unter diesem Monument befindet sich in einem Tiefgeschoß eine Ring-Galerie mit einer „Ewigen Flamme“ in deren Zentrum sowie einem Memorial mit 566 „Helden der Sowjetunion“ (291). Der Siegesplatz bildet mit den umgebenden Gebäuden und den umgebenden Parkanlagen einen monumentalen baulichen Komplex. Auf den den Platz umgebenden Gebäuden befindet sich die Aufschrift: „Die Heldentat des Volkes ist unsterblich“. Obwohl in der Stadt Minsk und in Belarus eine große Anzahl an Gebäuden und Monumenten aus der Ära der Sowjetunion wie z.B. der Siegesplatz auch heute noch erhalten sind, unterscheidet sich hingegen das Leben der Menschen in Minsk und Belarus nicht wesentlich von den Nachbarländern, wie z.B. den Baltischen Ländern. Diesen Eindruck hatte ich auch schon zuvor bei meiner Reise durch den Nordwesten von Rußland im Jahre 2017 gehabt.
Das Thema Sieg im Zweiten Weltkrieg des Siegesplatzes ist in der Stadt Minsk noch ein weiteres Mal präsent, denn es ist Gegenstand des „Belarussischen staatlichen Museums des Großen Vaterländischen Krieges“ (292). Dieses Museum befindet sich ca. 2,5 Kilometer nordwestlich des Oktoberplatzes, und man erreicht es von dort entlang der Vulitca Lenina und des Pieramožcou Prospekts. Das auf einem Hügel liegende Museumsgebäude bildet mit der umgebenden Stadtlandschaft eine monumentale Einheit, und diese kann als ein Beispiel für Herrschaftsarchitektur angesehen werden. Vom Museumshügel bietet sich ein Panoramablick über die umgebende Stadtlandschaft. Auf einem großen Gebäude steht dort in großer Schrift: „Minsk – Heldenstadt“. In der Ära des Stalinismus (293) wurde der Titel „Heldenstadt“ (294) in der Sowjetunion im Jahre 1945 vier Städten verliehen (Leningrad, Odessa, Sewastopol, Stalingrad) „für das massenhafte Heldentum ihrer Verteidiger im Großen Vaterländischen Krieg“. Die Ära des Stalinismus endete mit dem Tod von Josef W. Stalin (295) am 5. März 1953 und der Wahl von Nikita S. Chruschtschow (296) am 7. September 1953 zum neuen Ersten Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU. Chruschtschow leitete eine Entstalinisierung (297) ein. Nach der Absetzung von Nikita S. Chruschtschow am 14.10.1064 hat man im Zeitraum von 1965 bis 1985 erneut begonnen, weitere, insgesamt neun Städte zu „Heldenstädten“ zu ernennen, so auch die Stadt Minsk am 26.06.1974. Dies kann als Folge und Ausdruck des Endes der Entstalinisierung in der Sowjetunion und als Erscheinungsform einer Restalinisierung bzw. eines Neostalinismus (298) angesehen werden. Die Ära des Neostalinismus endet in der Sowjetunion mit der Reformpolitik von Michail S. Gorbatschow. Überraschend ist, daß das aktuelle „Belarussische staatliche Museum des Großen Vaterländischen Krieges“ nicht ein Relikt aus der Epoche des Neostalinismus ist, wie etwa das Stalinmuseum (299) in der Stadt Gori in Georgien, das ich am 03.06.2012 besucht hatte, sondern daß es in seiner heutigen Gestalt erst vor zehn Jahren dort errichtet worden ist.
Das „Belarussische staatliche Museum des Großen Vaterländischen Krieges“ hat die militärischen Kriegsereignisse im Zweiten Weltkrieg mit Schwerpunkt der Ereignisse in Belarus zum Gegenstand. Diese militärischen Kriegsereignisse im Zweiten Weltkrieg werden monoperspektivisch aus der Perspektive der Sowjetunion (UDSSR) als der siegreichen Macht im Großen Vaterländischen Krieg dargestellt. Es gibt größere Ausstellungshallen, in denen Kriegsgerät ausgestellt ist, sowie mehrere Ausstellungsräume, die sich am chronologischen Ablauf der Ereignisse orientieren. Diese Ausstellungen sind sehr materialreich, insbesondere werden zahlreiche Fotografien gezeigt, und es werden zahlreiche Zahlen und Fakten aufgeführt. Die Informationen zu den Exponaten und weitere Informationen zu den jeweiligen Ereignissen werden dreisprachig (Belarussisch, Russisch, Englisch) präsentiert. Auf die Umstände des Beginns des Zweiten Weltkriegs wird zu Beginn der Ausstellung nur kurz eingegangen. Erwähnt werden dabei u.a. die Folgen des Versailler Vertrags (300), die Etablierung autoritärer und faschistischer Regime in der Zwischenkriegszeit, der Anti-Komintern-Pakt 1936 (301), die Appeasement-Politik (302), des Weiteren die Mandschurei-Krise ab 1931 (303), der Abessinien-Krieg 1935-36 (304), der Spanische Bürgerkrieg 1936-39 und der Sowjetisch-Japanische Grenzkrieg 1938/39 (305). Der Beginn des Zweiten Weltkriegs wird auch hier wie in den meisten Museen zum Thema Zweiter Weltkrieg am 01.09.1039 verortet. Es stellt sich die Frage, wo man mit welcher Begründung den Beginn und das Ende des Zweiten Weltkrieges als einer historischen Epoche verortet. Wie jede Kategorienbildung in der Wissenschaft, muß auch die Kategorienbildung in der Geschichtswissenschaft, d.h. die Abgrenzung von historischen Zeitaltern und Epochen, nach signifikanten, nachvollziehbaren und gut begründeten Kriterien erfolgen. Für die damaligen Zeitgenossen begann am 01.09.1939 lediglich ein Krieg zwischen Deutschland und Polen (306), keinesfalls aber ein Weltkrieg (307). In Europa neigen wir dazu, beim Thema Zweiter Weltkrieg lediglich den europäischen Kriegsschauplatz zu betrachten, sodaß der Zweite Weltkrieg mehr als ein europäischer Krieg und weniger als ein Weltkrieg erscheint. Doch im historischen Gesamtgeschehen des Zweiten Weltkriegs haben die beiden Kriegsschauplätze Europa und Ostasien annähernd eine gleiche Bedeutung und Relevanz (308). So gelingt z.B. dem Museum „Mémorial de la Bataille de Normandie“ (309) in der Stadt Caen eine historisch und geografisch erweiterte Perspektive zum Thema Zweiter Weltkrieg, indem man dort den Zweiten Weltkrieg am Kriegsschauplatz in Ostasien beginnen läßt mit dem Beginn des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges am 07.07.1939 (310).
Es stellt sich die Frage, wo man den Beginn und das Ende des Zweiten Weltkrieges als einer historischen Epoche eines Weltkrieges verortet in Abgrenzung zum Ereignis des Kriegsgeschehens. In der Geschichtswissenschaft erfolgt eine Kategorienbildung insbesondere in Form der Bestimmung und Abgrenzung von historischen Zeitaltern, Epochen und Ären und deren Gliederung im Rahmen einer Periodisierung, und das muß nach signifikanten, nachvollziehbaren und überzeugend begründeten Kriterien erfolgen, wenn die Geschichtswissenschaft die Legitimität und Geltung als einer Wissenschaft haben will. Kategorien sind offene Begriffssysteme zur Strukturierung der erfahrbaren Welt. Eine jede Kategorienbildung ist eine notwendige Reduktion der in ihrer unendlichen Komplexität und Interdependenz für die Wahrnehmung über die menschlichen Sinne und den menschlichen Verstand nicht in Gänze erfaßbaren, letztlich unendlichen Wirklichkeit der Welt, um diese begreifen zu können. Begriffsbildung ist eine Form der Kategorienbildung. Kategorienbildung ist sowohl Bestandteil als auch Voraussetzung für Erkenntnis durch die menschliche Vernunft.
Bei einer Beantwortung der Frage, wo man den Beginn und das Ende des Zweiten Weltkrieges als einer historischen Epoche in Abgrenzung zum Ereignis des Kriegsgeschehens verortet, gehe ich von zwei Voraussetzungen aus, 1. einer zeitlichen Voraussetzung: Der Zweite Weltkrieg ist Bestandteil des Zeitalters des Imperialismus, das in zwei Weltkriegen kulminiert, und 2. einer räumlichen Voraussetzung: Der Zweite Weltkrieg besteht aus zwei Schauplätzen, Europa und Ost-Asien, die im Gesamtgeschehen annähernd die gleiche Bedeutung und Relevanz haben. Auf Grundlage dieser beiden Voraussetzungen lasse ich den Zweiten Weltkrieges als einer historischen Epoche in Ost-Asien beginnen mit der Mandschurei-Krise von 1931, und in Europa mit dem Abessinienkrieg 1935. Das Ende des Zweiten Weltkrieges als einer historischen Epoche beinhaltet die gesamte unmittelbare Nachkriegszeit bis etwa 1950, sodaß die historische Epoche des Zweiten Weltkrieges die geopolitische und ethnografische Neuordnung Europas in der Nachkriegszeit mit Ethnischen Säuberungen umfassen, von denen in der Nachkriegszeit in Europa ca. 30 Millionen Personen betroffen waren, etwa doppelt so viele, wie bei den Ethnischen Säuberungen, die während des Zweiten Weltkrieges stattfanden. Genauere Zahlen zu den Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen der Jahre 1939 bis 1943 im Vergleich zum Zeitraum der Jahre 1944 bis 1948 nennt der Historiker Karl Schlögel in seinem Text: „Bugwelle des Krieges“: So „wurden zwischen 1939 und 1943 rund 15,1 Millionen und zwischen 1944 und 1948 rund 31 Millionen Menschen zeitweise oder für immer zwangsweise umgesiedelt oder vertrieben. (…) Insgesamt sind in den ersten fünf Jahren des Zweiten Weltkriegs an die 16 Millionen Menschen ‚verschoben‘ worden, eine Zahl, die von den Umsiedlungen und Vertreibungen zwischen 1944 und 1948 noch weit übertroffen wurde.“ (310a). Diese Ethnischen Säuberungen sind kein Thema des „Belarussischen staatlichen Museums des Großen Vaterländischen Krieges“.
In der Ausstellung des „Belarussischen staatlichen Museums des Großen Vaterländischen Krieges“ nur kurz erwähnt wird der Hitler-Stalin-Pakt 1939 (311). Die Existenz des Hitler-Stalin-Paktes und des geheimen Zusatzprotokolls ist von der Sowjetunion bis 1989/90 geleugnet worden und wurde erst Anfang der 90er Jahre offiziell zugegeben. Der größte Teil der Ausstellungen dient der Darstellung und Glorifizierung der heldenhaften Siege der Sowjetunion im „Großen Vaterländischen Krieg“. Zahlreiche „Helden der Sowjetunion“ werden in den Ausstellungen vorgestellt. Kriegsentscheidend waren jedoch nicht die heldenhaften Heldentaten dieser glorreichen „Helden der Sowjetunion“, sondern die umfangreichen Lieferungen von Rohstoffen, sowie zivilen und militärischen Industrieprodukten durch die westlichen Alliierten, insbesondere der USA an die Sowjetunion gewesen, ohne die die Sowjetunion den „Großen Vaterländischen Krieg“ als einem totalen industriellen Krieg militärisch nicht hätte gewinnen können (312). Im totalen industriellen Krieg siegen nicht glorreiche Helden und ihre heldenhaften Heldentaten, sondern es siegt alleine die überlegene industrielle Produktion und die überlegene Technik und ihr rücksichtsloser Gebrauch. Schon im Zuge der gewaltsam vorangetriebenen forcierten Industrialisierung (312a) und Modernisierung hatte die Sowjetunion in der Zwischenkriegszeit mit dem Ziel, eine überlegene Weltmachtgeltung zu erlangen, ein gewaltiges militärisches Aufrüstungsprogramm betrieben, und sie hatte am Beginn des Zweiten Weltkriegs das damals weltgrößte Arsenal an industriellen militärischen Rüstungsgütern angehäuft (312b). Insbesondere übertraf die Anzahl der Panzer der Sowjetunion die damalige Anzahl der Panzer sämtlicher anderer Staaten zusammen. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war die Wehrmacht nur sehr unzureichend über diesen tatsächlichen Rüstungsstand der Sowjetunion informiert und sie hatte diesen erheblich unterschätzt. Im Rahmen der Frage, ob die Sowjetunion mit ihrem immensen angehäuften Rüstungsarsenal einen Angriffskrieg plante, wird die „Präventivkriegsthese“ (312c) kontrovers diskutiert. Zum Thema der Angriffskriegsabsichten Stalins haben die Bücher von Viktor Suworow in Rußland einen Historikerstreit ausgelöst (312d).
Kein Thema ist im „Belarussischen staatlichen Museums des Großen Vaterländischen Krieges“ hingegen die durch Stalin als militärischem Führer im deutsch-sowjetischen Krieg bewirkte Brutalisierung der Kriegsführung, die erheblich zu den extrem hohen Zahlen an Kriegstoten im östlichen Europa beigetragen hat. Da weder Hitler noch Stalin sich an das Kriegsvölkerrecht (313) gebunden fühlten, wurde der Konflikt zu einer historisch beispiellosen Gewaltorgie. Der von Stalin initiierte Terror führte zum Einsatz von Menschenwellen gegen die angreifende Wehrmacht, die dadurch entstehenden exorbitant hohen Verluste der Roten Armee interessierten weder Stalin, noch die Generäle der Roten Armee. Institutionalisiert wurde dieses Vorgehen am 16. August 1941 durch Stalins berüchtigten Befehl Nr. 270 (“Feiglinge und Deserteure müssen vernichtet werden”) (314) und am 28. Juli 1942 durch den Befehl Nr. 227 (“Keinen Schritt zurück”) (315). Diesen Befehlen Stalins lag das Konzept „Mehr Angst von hinten als von vorn“ zugrunde. Hinter der Front erschossen Sperrabteilungen zurückweichende Soldaten.
Zweifellos wäre der Krieg gegen die Sowjetunion anders verlaufen, wenn er nicht als Eroberungskrieg, sondern von Beginn an als Krieg zur Befreiung der Menschen im östlichen Europa von der Herrschaft Stalins und mit deren Beteiligung geführt worden wäre, doch dies ließ die Weltanschauung Hitlers (316) nicht zu. Die noch kurz vor der Kriegsniederlage der Achsenmächte aufgestellte Russische Befreiungsarmee (317) konnte folglich nichts mehr erreichen.
Auf der Konferenz von Jalta vom 04. bis 11.02.1945 wurde ein Abkommen mit der Sowjetunion unterzeichnet, das eine Repatriierung sowjetischer Displaced Persons vorsah, die in der Obhut der Westalliierten waren. Dies betraf nicht nur die sowjetischen Zwangsarbeiter in Deutschland und kriegsgefangene Soldaten der Roten Armee, sondern auch ehemalige Soldaten der Roten Armee, die in deutschen Uniformen gefangen genommen worden waren, wie z.B. Angehörige der Russischen Befreiungsarmee. Folge war, daß in großem Umfang Personen im Zuge einer Zwangsrepatriierung (317a) gegen ihren erklärten Willen in die Sowjetunion deportiert worden, wo sie oft erschossen oder zu langen Lagerhaftstrafen verurteilt wurden. Im Rahmen der Operation Keelhaul wurden zwischen 1943 und 1947 rund zweieinhalb Millionen Personen, die aus dem Gebiet der Sowjetunion stammten, von den britischen und us-amerikanischen Streitkräften in die Sowjetunion zwangsrepatriiert. Derartige Zwangsrepatriierungen müssen als Kriegsverbrechen bewertet werden.
Eine Glorifizierung erfahren auch die sowjetischen Partisanen (318), die während des Zweiten Weltkrieges insbesondere in Belarus in großer Zahl aktiv waren. Auch diese Partisanen haben erheblich zur Brutalisierung der Kriegsführung und den extrem hohen Zahlen an Kriegstoten im östlichen Europa beigetragen. Zur Bekämpfung der Partisanenaktivitäten wandte das Besatzungsregime in exzessiver Form Repressalien (319) auch gegen unbeteiligte Zivilisten an. Vergleichbare Partisanen- und Widerstandsaktivitäten gab es in nahezu allen besetzten Ländern (320), und diese waren Bestandteil der Kriegsführung der Alliierten. Schon während des Ersten Weltkriegs und danach waren dem Besatzungsregime des Kaiserreiches Deutschland in Belgien Besatzungsverbrechen vorgeworfen worden, die auf Grundlage von Repressalien erfolgt waren. Repressalien waren ein Bestandteil des Kriegsvölkerrechtes. Im Rahmen von Repressalien sollte die Festnahme von Geiseln und die Androhung ihrer Tötung das Wohlverhalten der Bevölkerung insbesondere in besetzten Gebieten erzwingen. „Sühnegefangene“ dagegen wurden erst nach einer Widerstandshandlung der Bevölkerung festgenommen und getötet, um die Bevölkerung von weiteren Widerstandshandlungen abzuschrecken. Aufgrund dieser Vorwürfe und Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges stellt sich die Frage, warum die Zwischenkriegszeit nicht dafür genutzt wurde, Repressalien im Kriegsvölkerrecht zu verbieten und abzuschaffen. Aufgrund der Erfahrungen im Ersten Weltkrieg wurden lediglich im Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 Repressalien gegen Kriegsgefangene ausdrücklich verboten. Es ist naheliegend, daß das generelle Verbot von Repressalien in der Zwischenkriegszeit nicht erfolgte, weil die Kolonialmächte dieses Instrument zur Repression der von ihnen beherrschten Kolonialbevölkerungen weiterhin nutzen wollten. Im Zweiten Weltkrieg wurden Repressalien insbesondere vom NS-Besatzungsregime exzessiv angewandt. Dies stützt die These des Politikers Jawaharlal Nehru (1889-1964), die besagt, daß der Nationalsozialismus die Anwendung des Kolonialismus und kolonialer Unterdrückungsmethoden auf Europa selbst ist.
Doch schon mit dem Ersten Weltkrieg hatte die Anwendung kolonialer Unterdrückungsmethoden in Europa selber begonnen, und Europäer wurden Gegenstand kolonialer Unterdrückungsmethoden, was erheblich dazu beitrug, daß der Erste Weltkrieg zur „Urkatastrophe“ des extremen 20. Jahrhunderts werden konnte. „Der Erste Weltkrieg war ein wichtiges Laboratorium für das, was kommen sollte“, erklärt der Historiker Karl Schlögel in seinem Text:“ Bugwelle des Krieges“: „Hier wurden die Methoden und Praktiken des totalen Krieges erstmals in großem Stil erprobt. (…) Hier wurden Praktiken vervollkommnet, die man zuvor schon an der Peripherie des Imperialismus, in den Kolonien, erprobt hatte – vom Konzentrationslager über Grenzziehung mit dem Rasiermesser bis zur lässigen Routine der Massenexekution; der Rassismus wanderte, wie Hannah Arendt gezeigt hatte, von der Peripherie ins Mutterland zurück“ (319a). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auf Initiative des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Folge der Erfahrungen mit den verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf die Zivilbevölkerung im Genfer Abkommen IV „über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten“ von 1949 Geiselnahme generell untersagt.
Die Partisanen werden als Bestandteil des Widerstandes gegen die NS-Herrschaft angesehen. Hierbei stellt sich die Frage, wo die Grenze zwischen „Widerstand“ sowie Terrorismus und Kriminalität zu verorten ist. Zweifellos ist diese Grenze überschritten, wenn das Leben von Soldaten gefährdet wird, die als Wehrpflichtige unter Todesandrohung gezwungen werden, als Soldaten in einen verbrecherischen Krieg zu ziehen, und die Hitler zudem seit 1934 nötigte, nicht mehr wie zuvor einen Eid auf die Verfassung, sondern auf seine Person und deren bedingungslose Gefolgschaft zu leisten. Insbesondere um diese fatale Eidbindung auf die Person Hitlers aufzuheben und Widerstand zu ermöglichen, gab es ca. 50 Attentatsversuche auf Hitler (321), darunter das Attentat bei Rastenburg im Rahmen des versuchten Staatsstreiches am 20. Juli 1944 (Unternehmen Walküre) (322). Daher wäre der Umsturzversuch am 20.07.1944 insbesondere aus diesem Grund erfolgreich gewesen, wenn das Attentat in Rastenburg gelungen wäre.
Tatsächlich wäre ein gelungener 20. Juli 1944 (Unternehmen Walküre) der denkbar erfolgreichste Widerstand gewesen, denn der Zweite Weltkrieg wäre sofort beendet worden und es hätte keine weiteren Kriegstoten und Zerstörungen mehr gegeben. Unter dem Aspekt der Schadensbegrenzung des durch den Zweiten Weltkrieg bislang eingetretenen Gesamtschadens waren die Beteiligten am 20. Juli 1944 die einzigen der insgesamt am Zweiten Weltkrieg beteiligten Akteure, die eine sofortige Kriegsbeendigung und sofortige Schadensbegrenzung und Schadensbeendigung zum Ziel hatten, während sämtliche anderen Akteure den Zweiten Weltkrieg weiter führen und weiter radikalisieren wollten. Ein sehr erheblicher Teil der Kriegstoten und der Kriegszerstörungen entstand erst in der radikalisierten Endphase des Zweiten Weltkriegs nach dem 20. Juli 1944. Kriegsziel der Alliierten war nicht das Ende der NS-Herrschaft, sondern die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, worauf sich diese auf der Konferenz von Casablanca (14.-28.01.1943) (323) geeinigt hatten. Jede Verhandlung, auch mit einer „Nach-Hitler-Regierung“ wurde ausgeschlossen. Erst diese Forderung der bedingungslosen Kapitulation schweißte die Bevölkerung und das NS-Regime zu der Schicksalsgemeinschaft zusammen, die das NS-Regime als „Volksgemeinschaft“ gefordert hatte, und was die Planung und Durchführung eines Staatsstreiches zum Sturz der NS-Herrschaft erheblich erschwerte.
Die Frage, wie die weitere Geschichte bei einem erfolgreichen 20. Juli 1944 und insbesondere bei der beabsichtigten Umsetzung des sogenannten „Herman-Planes“ (324) verlaufen wäre, ist eine Frage „Kontrafaktischer Geschichte“ (325). Die Frage nach in der Geschichte angelegten alternativen Entwicklungspfaden und deren Herauspräparation, sowie eine Analyse, aus welchen Umständen und Gründen mögliche, im historischen Prozeß angelegte historische Entwicklungspfade zum Zuge gelangten und andere nicht, wird als „Kontrafaktische Geschichte“ denunziert und vom Mainstream als angeblich „unwissenschaftlich“ abgelehnt, da es nicht dem herrschenden geschichtsdeterministischen (326) Dogma entspricht, das den gegenwärtigen Zustand als das quasi alternativlose naturgesetzliche Ergebnis geschichtlicher Entwicklung auffaßt, so, wie bei Isaak Newton (1642-1727) der Apfel immer nur nach unten vom Baum fällt. Andere Möglichkeiten sind ausgeschlossen und undenkbar. Geschichte dient dem Zweck der alternativlosen Affirmation des jeweiligen, letztlich beliebigen Bestehenden. Die Gegenwart wird als alternativloses, determiniertes Ergebnis des historischen Prozesses dargestellt und vermittelt, dessen zwangsläufiges, unausweichbares und alternativloses Ergebnis der jeweilige gegenwärtige Zustand ist.
Bezüglich der Partisanenaktivitäten ist im „Belarussischen staatlichen Museum des Großen Vaterländischen Krieges“ nicht zu erkennen, ob in Belarus jemals eine Debatte über Sinnhaftigkeit, Angemessenheit und Methoden von „Widerstand“ stattgefunden hat. In anderen europäischen Ländern, darunter Frankreich und Polen, ist der Befund ähnlich. Im Gegensatz dazu hat es in Deutschland eine intensive und gehaltvolle Debatte zu diesem Themenkomplex gegeben. Jeglicher Widerstand begründet sich auf dem Widerstandsrecht (327). Hierbei hat der Jurist Fritz Bauer eine abschließende und möglicherweise zeitlos endgültige Definition des Begriffes „Widerstand“ formuliert: „Widerstand meint Verwirklichung eigener oder fremder Menschenrechte. Widerstand ist ein Spezialfall der Notwehr oder – wenn Widerstand zugunsten Dritter ausgeübt wird – der Nothilfe. Er setzt einen Angriff oder Eingriff in Grundrechte oder ihre Vorenthaltung voraus“ (328).
11. Hrodna/Grodno und die Auflösung des Staates Polen-Litauen
Von Minsk aus reisten Uli und ich am 20.11.2024 per Reisebus zur Stadt Hrodna/Grodno weiter. Die Distanz zwischen Minsk und Hrodna/Grodno beträgt ca. 280 km, und die Busfahrt erfolgte zügig auf der autobahnähnlich ausgebauten Straße M6. Die Stadt Hrodna/Grodno (329) hat heute ca. 330.000 Einwohner, sie liegt am Fluß Nioman/Memel (330) und im Dreiländereck von Belarus, Litauen und Polen, nur 20 bis 30 Kilometer entfernt von den EU-Außengrenzen. Hrodna/Grodno gilt als eine der historisch bedeutsamsten und gemessen an den erhaltenen Baudenkmälern und der historischen Altstadt als eine der interessantesten und schönsten Städte in Belarus, weswegen Uli und ich diese Stadt in unser Reiseprogramm aufgenommen hatten.
Die Stadt Hrodna/Grodno wurde im Jahre 1128 zum ersten Mal urkundlich erwähnt, und sie war im Mittelalter ein bedeutendes Kultur- und Handelszentrum. Ab dem 13. Jahrhundert gehörte die Stadt zum Großfürstentum Litauen. 1376 machte der Großfürst von Litauen, Vytautas (Vitaŭt) (1354-1430) (331) die Stadt zu seiner Residenz. Ende des 14. Jahrhunderts baute Vitautas am Ufer des Flusses Nioman/Memel ein gotisches oberes Schloß, die Fürstenresidenz, die wir heute als Altes Schloß (332) kennen. Die baulichen Anfänge des Alten Schlosses stammen aus dem 11. Jahrhundert. Im Jahre 1386 wurde das Großfürstentum Litauen und das Königreich Polen (333) in einer Personalunion (334) zusammengeführt, der Union von Krevo (335), und es entstand der Staat Polen-Litauen (336), der als eine Adelsrepublik (337) bezeichnet wird. In diese Union von Krevo brachte das Großfürstentum Litauen ca. zwei Drittel des Territoriums ein, und diese Union von Litauen und Polen war damals der flächengrößte Staat in Europa. Später konnte das Zarentum Rußland (338) zum flächengrößten Staat in Europa expandieren, da es als östlichster Anrainer in Europa das mit dem Ende der mongolischen Herrschaft (339) entstandene Machtvakuum im nördlichen Eurasien ausfüllen konnte. Die Gesellschaft des Staates Polen-Litauen war eine Ständegesellschaft (340), eine hierarchisch geordnete Gesellschaft mit voneinander abgegrenzten sozialen Gruppierungen – den Ständen. Zudem war diese Gesellschaft eine Feudalgesellschaft (341), wobei das Land Eigentum der Grundherrn (342), den Adeligen war, und die Bauern befanden sich im Zustand der Hörigkeit (343), sie waren also persönlich abhängig vom Grundherrn und unfreie Leibeigene (344).
Im Jahre 1569 wurde diese Personalunion in eine Realunion (345), die Union von Lublin (346) umgewandelt, die „Rzeczpospolita“ (347) genannt wurde. Diese Realunion war eine Wahlmonarchie (348) mit gemeinsamem Monarchen und gemeinsamem Parlament, dem Sejm (349), sowie mit gemeinsamer Währung, die den Charakter einer parlamentarischen Monarchie (350) hatte. Zum Kompetenzbereich des Sejms gehörte u. a. die Wahl des Königs und die Steuerpolitik. In seiner heutigen Form ist das Alte Schloß in den Jahren 1580 bis 1588 von Stephan Báthory (1533-1586) (351), Fürst von Siebenbürgen und ab 1576 König von Polen und Großfürst von Litauen, auf den Ruinen des alten Vitautas-Schlosses errichtet worden.
Eine Stadtexkursion in Hrodna/Grodno beginnt man am besten im Südwesten des historischen Stadtzentrums beim Alten Schloß und beim Neuen Schloß, die nebeneinander am Ufer des Flusses Nioman/Memel liegen und nur durch eine Brücke voneinander getrennt sind. Das Gelände fällt dort zum Fluß Nioman/Memel hin steil ab, und es bietet sich ein Panoramablick über die Flußlandschaft. Das Alte Schloß ist offensichtlich erst kürzlich umfangreich baulich instandgesetzt worden. Da unser zeitlich begrenzter Reiseplan einen Aufenthalt von nur einem ganzen Tag in Hrodna/Grodno vorsah, besuchten Uli und ich aus Zeitgründen nicht das Historisch-Archäologische Museum (352) im Alten Schloß.
Das Neue Schloss (353), das sich in direkter Nachbarschaft zum Alten Schloß befindet, wurde in den Jahren 1734 bis 1751 durch August III. (1696-1763) (354), Herzog von Sachsen und ab 1734 König von Polen und Großfürst von Litauen errichtet. Es ist der Königspalast, in dem jeder dritte Sejm der Adelsrepublik Polen-Litauen stattfand. Stanislav II. August Poniatowski (1732-1798) (355), der am 07.09.1764 gewählte König von Polen und Großfürst von Litauen, unterzeichnete hier die dritte Teilung des Polnisch-Litauischen Staates, der damit aufgelöst wurde, und dankte hier am 25. November 1795 ab. Stanislav II. August Poniatowski war der letzte König von Polen und der letzte Großfürst von Litauen. Verschiedene innenpolitische und außenpolitische Aspekte bilden bei dieser Auflösung des Staates Polen-Litauen einen komplexen und komplizierten Zusammenhang, der nicht leicht zu verstehen ist. Die Auflösung des Staates Polen-Litauen ist von Geschichtsmythen (356) umgeben, wie zahlreiche weitere Themen der Geschichte Polens, sodaß historische Aufklärung erforderlich ist.
Hrodna/Grodno war neben Krakau (357) und Vilnius die dritte Hauptstadt des Staates Polen-Litauen, und hier fand ab 1678 jeder dritte Sejm, der polnisch-litauische Reichstag statt. In der Adelsrepublik Polen-Litauen war an den Wahlen zum Parlament, dem Sejm, der Adel beteiligt, der zeitweilig ungefähr 10 % der Bevölkerung ausmachte, deutlich mehr als in den meisten übrigen europäischen Staaten, sowie des Weiteren das Bürgertum der Städte. Der gesamte Adel des Staates Polen-Litauen, die sogenannte Szlachta (358), umfaßte Mitte des 16. Jahrhunderts etwa 500.000 Angehörige. Die Mehrheit der Bevölkerung waren hingegen leibeigene Bauern. Das System der „Goldenen Freiheit“ (359) sicherte jedem Adeligen außerordentliche Rechte und Privilegien zu. Eine Besonderheit des Sejms war das „Liberum Veto“ (360), das es jedem Abgeordneten erlaubte, sein Veto einzulegen und die Sitzung des Sejms abzubrechen bzw. zu vertagen. Im Rahmen der „Goldenen Freiheit“ war es ein Recht des Adels, Konföderationen (361) zu bilden. Diese Konföderationen waren militärische Organisationen, die gebildet wurden, um ein politisches Ziel zu erzielen. Faktisch handelte es sich dabei fast immer um einen Aufstand gegen den gewählten König von Polen und Großfürsten von Litauen. Diese innenpolitischen Verhältnisse führten dazu, daß in zunehmendem Maße Akteure aus dem Ausland auf die innenpolitischen Verhältnisse in Polen-Litauen Einfluß nehmen konnten, darunter auf die Abstimmungen und Entscheidungen des Sejms und die Wahl des Königs von Polen und Großfürsten von Litauen.
Stanislav II. August Poniatowski (1732-1798) war von den Ideen des Zeitalters der Aufklärung inspiriert, und im Jahre 1764 war er als König von Polen und Großfürst von Litauen mit einem ambitionierten Reformprogramm angetreten, insbesondere, um die oben dargestellten problematischen innenpolitischen Verhältnisse zu verändern, die den Staat Polen-Litauen zunehmend innen- und außenpolitisch handlungsunfähig gemacht hatten. U.a. beauftragte er die Erstellung der Verfassung vom 03.05.1791 (362), die als eine der ersten modernen Verfassungen in Europa gilt. Allerdings sah die Verfassungswirklichkeit, d.h. die real-existierenden gesellschaftspolitischen Verhältnisse, anders aus, es fand keine Bauernbefreiung (363) statt, die Bauern blieben weiterhin Leibeigene und waren im Parlament nicht vertreten, was ein Zugeständnis an die Privilegien des Adels war. Dennoch sahen die Adeligen durch die Reformen ihre Privilegien der „Goldenen Freiheit“ bedroht. Es bildete sich die Konföderation von Bar (364), die einen fünfjährigen Bürgerkrieg mit 60.000 Toten gegen den König führte. Stanislav II. August Poniatowski konnte sich in diesem Bürgerkrieg nur mithilfe der militärischen Unterstützung des durch Kaiserin Katharina II. (1729-1796) (365) regierten Kaiserreiches Rußland behaupten. Ca. 6000 Vertreter der Konföderation von Bar wurden nach Sibirien verbannt, was Thema des nachfolgenden Kapitels ist.
Die Auflösung des Polnisch-Litauischen Staates findet nach dem gescheiterten Kościuszko-Aufstand (366) ihren Abschluß in der Unterzeichnung der dritten Teilung des Polnisch-Litauischen Staates durch Stanislaus II. August Poniatowski, was sich in Hrodna/Grodno ereignete, und seiner Abdankung bzw. seinem Rücktritt am 25.11.1795 als nunmehr letztem König von Polen und letztem Großfürsten von Litauen, insbesondere aufgrund der Unreformierbarkeit und der Unregierbarkeit des Landes, dessen Territorium nun von den Nachbarstaaten, dem Kaiserreich Rußland, dem Kaiserreich Österreich-Ungarn und dem Königreich Preußen verwaltet wurde.
Katharina II. regierte das Kaiserreich Rußland mit einer Politik des aufgeklärten Absolutismus (367). Diese Politik des aufgeklärten Absolutismus wurde ebenfalls im Kaiserreich Österreich-Ungarn und im Königreich Preußen praktiziert. Diese drei Nachbarstaaten Polen-Litauens bildeten die Teilungsmächte der drei Teilungen des Staates Polen-Litauen (368). Diese Teilungen erfolgten unter dem Vorwand, die sogenannte „Polnische Anarchie“ zu beseitigen, die die Monarchen der Teilungsmächte insbesondere in Anbetracht der Vorgänge im revolutionären Frankreich (369) als Bedrohung ihrer Herrschaft, als auch als Bedrohung des Mächtegleichgewichts (370) in Europa ansahen. Mit ihren Befürchtungen müssen sie Recht gehabt haben, denn 125 Jahren später existierten diese drei Monarchien des aufgeklärten Absolutismus und ihre Vielvölkerimperien nicht mehr.
Die drei Teilungsmächte, das Kaiserreich Rußland, das Kaiserreich Österreich-Ungarn und das Königreich Preußen bildeten nach dem Sieg über Napoleon Bonaparte (371) im Anschluß an den Wiener Kongress (372) auf Initiative von Kaiser Alexander I. (1777-1825) (373) die „Heilige Allianz“ (374). Alexander I. war von den Ideen des Zeitalters der Aufklärung inspiriert, und im Jahre 1801 war er nach der Ermordung seines Vaters, dem Kaiser Paul I. (1754-1801) (375) als Kaiser des Kaiserreiches Rußland mit einem ambitionierten Reformprogramm angetreten. Zudem entstand auf Initiative von Kaiser Alexander I. auf Grundlage des Herzogtums Warschau (376) das Königreich Polen (377) mit Kaiser Alexander I. als Staatsoberhaupt. Kaiser Alexander I. war Staatsoberhaupt von insgesamt drei autonomen und selbstständigen Staaten: Dem Kaiserreich Rußland, dem Königreich Polen und dem Großfürstentum Finnland (378), ein für die damalige Zeit beachtenswertes Regierungsmodell. Anders als im Großfürstentum Finnland wurde die Selbstständigkeit und Autonomie im Königreich Polen jedoch durch den Novemberaufstand (379) und den Januaraufstand (380) verspielt. Da es für die Bauernschaft keine Aussichten auf soziale Verbesserungen gab, verfolgte sie das Geschehen weitgehend unbeteiligt. Die Aufstände wurden insbesondere von den Adeligen geführt, denen es um die Widerherstellung ihrer Privilegien der „Goldenen Freiheit“ ging. Polen erwies sich auch nach den Teilungen weiterhin als unreformierbar und unregierbar.
Kerngedanke der auf Initiative von Kaiser Alexander I. entstandenen „Heiligen Allianz“ war die Sicherung eines „Ewigen Friedens“ durch konsequente Selbstverpflichtung aller europäischen Monarchen auf die Grundsätze der christlichen Nächstenliebe. Die „Heilige Allianz“ brach im Krim-Krieg (381) auseinander. Der Krimkrieg in den Jahren 1853 bis 1856 wird im Allgemeinen kaum beachtet, doch seine Bedeutung ist erheblich. Er war der größte Krieg zwischen den Napoleonischen Kriegen (382) und dem Ersten Weltkrieg, und schon der Krimkrieg wäre ein Weltkrieg (383) geworden, wenn das Königreich Preußen und das Kaiserreich Österreich-Ungarn im Krimkrieg nicht neutral geblieben wären. Zuvor hatte schon der Siebenjährige Krieg (384) in den Jahren 1756 bis 1763 den Charakter eines Weltkrieges gehabt, da er unter Beteiligung aller europäischen Großmächte weltweit auf mehreren Kontinenten geführt wurde, sodaß sich mit dem Siebenjährigen Krieg das Zeitalter des Imperialismus ankündigte, das in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts kulminierte. Der Krimkrieg führte zum Ende des Mächtegleichgewichtes der Pentarchie und zum Zerfall der sogenannten „Heiligen Allianz“ was eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, daß später der Erste Weltkrieg entstehen konnte. Während im Krimkrieg das Kaiserreich Rußland isoliert war, sodaß eine Kriegsniederlage unvermeidlich war, waren im Ersten Weltkrieg die Kaiserreiche Deutschland und Österreich-Ungarn isoliert mit den gleichen Folgen. Dies verweist auf die Rolle, die Bedeutung und den Erfolg von Geheimdiplomatie (385).
Das „Dreikaiserabkommen“ (386) vom 22.10.1873 knüpfte an die „Heilige Allianz“ an mit dem Ziel, „den gegenwärtig in Europa herrschenden Friedenszustand zu befestigen“, um ihn „gegen alle Erschütterungen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, zu sichern, und wenn nötig zu erzwingen“. Der „Dreikaiserbund“ (387) vom 18.06.1881 setzte das „Dreikaiserabkommen“ fort. Das Ende des „Dreikaiserbundes“ ist die wesentliche Voraussetzung, daß der Erste Weltkrieg entstehen konnte, der zum Untergang dieser drei Monarchien führte. Der Erste Weltkrieg ist die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, und auf ein „langes“, vergleichsweise friedliches 19. Jahrhundert folge nun ein „kurzes“ und extremes 20. Jahrhundert.
Vom Alten und Neuen Schloß führt die Schloßstraße (Vulitca Zamkavaja) direkt ins Stadtzentrum zum Platz Savieckaja, dem Sowjetplatz. Auf diesem ehemaligen Marktplatz stand früher ein Holzrathaus aus dem Jahre 1496. Heute befindet sich hier im Norden des langestreckten Platzes die in den Jahren 1678 bis 1703 erbaute barocke Franz-Xaver-Kathedrale (388) sowie der sowjetische Kulturpalast der Textilarbeiter aus den 50er Jahren. Im Süden des Platzes steht das Gebietstheater und auf einem Sockel ein alter Panzer T-34. Die Hauptstraße im Stadtzentrum ist die Vulitca Savieckaja, die Sowjetstraße, die sich vom Sowjetplatz durch das Stadtzentrum nach Norden zum Lenin-Platz erstreckt. Auf dem Lenin-Platz befindet sich noch eins der wenigen, heute noch in Eurasien erhaltenen Lenin-Denkmäler, die im Raum zwischen Magdeburg und Wladiwostok vor 1989/90 beinahe so zahlreich gewesen sind wie Buddha-Statuen im buddhistischen Asien.
Gemäß unserem Reiseplan stand die Weiterreise von Hrodna/Grodno zur Stadt Białystok an. Unsere Recherchen hatten ergeben, daß es aktuell keine Personenbeförderung per Bahn von Hrodna/Grodno nach Białystok gibt, obwohl eine Bahnlinie existiert, die beide Städte auf direktem Wege miteinander verbindet. Am Busbahnhof von Hrodna/Grodno erfuhren wir, daß es aktuell täglich drei Busfahrten nach Białystok gibt mit Abfahrten um 1:00 Uhr, 8:00 Uhr und 14:00 Uhr. Auf dieser Strecke eingesetzt sind kleine Busse mit Sitzen für 16 Personen, und diese haben Autonummernschilder aus Polen. Am Busbahnhof von Hrodna/Grodno verkehren überwiegend solche kleinen Busse. Schon am Vortag unserer Fahrt nach Białystok kauften wir dort Bustickets für die Busfahrt am 22.11.2024 um 14:00 Uhr. Ich war überrascht über die Höhe des Fahrpreises von 130,40 BYN pro Person, zumal die Distanz zwischen Hrodna/Grodno und Białystok lediglich ca. 80 Kilometer beträgt. Das Bezahlen der Bustickets am Busbahnhof per Bankkarte (EC-Karte) funktionierte nicht, sodaß Barzahlung erforderlich ist. In den meisten Fällen hatte das Bezahlen per EC-Bankkarte während unseres achttägigen Aufenthalts in Belarus funktioniert. Allerdings haben Bankautomaten in den meisten Fällen EC-Bankkarten nicht akzeptiert, sodaß an den meisten Bankautomaten in Belarus eine Bargeldauszahlung in Belarussischen Rubeln (BYN) nicht möglich war. Die Touristeninformation am Rathausplatz in Minsk kann Bankautomaten benennen, an denen Bargeldauszahlung per EC-Karte möglich sind. Ansonsten ist in Belarus ein Geldwechsel in Banken möglich.
An der Grenze zwischen Belarus und Polen gibt es mehrere Grenzübergänge (389), darunter den Grenzübergang Bruzhi zwischen den Städten Hrodna/Grodno und Białystok. Da die Distanz von Hrodna/Grodno zur Nachbarstadt Białystok lediglich ca. 80 Kilometer beträgt, erwarteten wir eine kurze Fahrtzeit bis zum Eintreffen in Białystok. Lediglich die Zeit zum Passieren der Grenze zwischen Belarus und Polen ist schwer kalkulierbar. Überraschenderweise mußten wir bei der Busfahrt durch eine leicht verschneite frühwinterliche Agrarlandschaft bald feststellen, daß der Bus offensichtlich nicht die direkte Strecke nach Białystok fährt, die parallel zur Eisenbahnlinie verläuft, die Hrodna/Grodno mit Białystok verbindet. Zu unserer Verwunderung brachten wir in Erfahrung, daß der Bus einen großen Umweg zur Stadt Brest (390) fährt, um dort den Grenzübergang von Belarus nach Polen zu nutzen, und um danach weiter nach Białystok zu fahren. Nun wurde uns bewußt, daß wir anders als geplant erst spät in der Nacht in Białystok eintreffen werden.
Nach ca. vier Stunden Fahrt war der Grenzübergang bei der Stadt Brest erreicht. Auf der Seite von Belarus ging es jetzt schneller voran, als bei der Hinfahrt. Bei der Einfahrt in den Grenzraum erfolgte eine erste kurze Paßkontrolle im Bus. Danach erfolgte eine Paßkontrolle an der belarussischen Grenzstation, wo wir einen Ausreisestempel in den Reisepaß erhielten. Weitere Kontrollen, wie z.B. Zollkontrollen fanden hier nicht statt. Lange Wartezeiten entstanden nun an der Grenzstation von Polen. Die Grenze von Polen zu Belarus ist zugleich die östliche Außengrenze der EU. An der Grenzstation von Polen wurden bei der Paßkontrolle die Reisepässe elektronisch eingelesen, und zudem wurden von zahlreichen Passanten biometrische Daten erhoben (Fingerabdrücke wurden elektronisch eingelesen, zudem erfolgte ein Iris-Scan). Derzeit werden überall weltweit, und auch in Deutschland und in der EU neue elektronische bzw. biometrische Reisepässe (391) eingeführt. Deren weltweite ubiquitäre Verbreitung geht auf die Initiative der USA infolge der Ereignisse des 11.09.2001 zurück. Es ist eine der feststellbaren Entwicklungen hin zur Totalüberwachung und Kontrolle der gesamten Menschheit, die die Grundlage eines technologisch modernisierten Totalitarismus des digitaltechnischen Zeitalters bildet, der die Totalitarismen des extremen 20. Jahrhunderts als rückständige, technologisch unausgereifte Frühformen totalitärer Vergesellschaftung erscheinen lassen wird (392).
Anschließend wurde bei einer Zollkontrolle das Reisegepäck durchleuchtet mit dem Verfahren, wie man es von Flughäfen kennt. Plakate weisen darauf hin, daß aus seuchenpolizeilichen Gründen keine Lebensmittel, insbesondere Fleisch- und Wurstwaren, Milchprodukte u.a. von außerhalb in die EU eingeführt werden dürfen. Ähnlich wie zuvor bei unserer Einreise von Litauen nach Belarus benötigten wir zum Passieren der Grenze von Belarus nach Polen insgesamt etwa 3:30 Stunden. Später erfuhren wir bei Recherchen den Grund für den unerwarteten zeitaufwändigen Umweg über Brest: Aufgrund einer seit Mitte 2021 bestehenden Migrationskrise (393) ist in Polen entlang der Grenze zu Belarus ein 4,5 Meter hoher Grenzzaun (394) errichtet worden, und zudem sind sämtliche Grenzübergänge von Polen nach Belarus bis auf den Grenzübergang Brest-Terespol für den Personenverkehr geschlossen worden. Der so erforderliche lange Umweg erklärt auch die vergleichsweise hohen Fahrtpreise für die Busfahrt von Hrodna/Grodno nach Białystok.
12. Białystok oder: Sibirien als wahrnehmungsgeographische Kategorie
Die Stadt Białystok (395) wurde im 16. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt, und sie hat heute rd. 300.000 Einwohner. Im Jahre 1692 erhielt Białystok das Stadtrecht. Meine Stadtexkursion in Białystok begann ich an der Kirche „St. Rochus“, in deren Nähe sich der Hauptbahnhof und der Busbahnhof befindet. Von dort folgte ich der Ulica Lipowa nach Osten ins historische Stadtzentrum von Białystok. Ich gelangte zum Rathausplatz und zum Dom. Von dort setzte ich meine Stadtexkursion zum Branicki-Palast im Osten des historischen Stadtzentrums fort.
Hauptanliegen meines Besuchs der Stadt Białystok war der Besuch des Sibirischen Gedenkmuseums/ Muzeum Pamieçi Sybiru (396). Auf die Existenz dieses Museums war ich während meiner Recherchen zur Vorbereitung der Reise aufmerksam geworden. Zuerst gestaltete es sich jedoch als schwierig, dieses Museum aufzufinden, denn die touristischen Informationen verschiedener Infotafeln in Białystok lieferten unterschiedliche und offensichtlich nicht mehr aktuelle Informationen. Letztlich orientierte ich mich an einem Wegweiser, der vom historischen Stadtzentrum in die Straße „Henryka Sienkiewicza“ mit der Entfernungsangabe von 1750 Metern hinein weist. Tatsächlich traf ich dort auf das Sibirische Gedenkmuseum/Muzeum Pamieçi Sybiru. Offensichtlich ist das Museum erst vor kurzem an diesem Standort neu errichtet worden.
Schilder heben hervor, daß das Sibirische Gedenkmuseum/ Muzeum Pamieçi Sybiru vom Europarat (Council of Europe) mit einem Museumspreis des Europarates im Jahre 2024 als das beste Museum („The best Museum“) prämiert worden ist. Es stellt sich die Frage nach den Kriterien einer derartigen Bewertung. Dafür muß eingangs die Frage nach Sinn und Zweck von Museen als Bestandteilen von Gedenk- und Erinnerungskultur gestellt werden. Faktisch ist Gedenk- und Erinnerungskultur nahezu überall ein Bestandteil von Geschichtspolitik, wie in Kapitel 5 dargestellt. Geschichtspolitik dient der nationalen Identitätsbildung und der Legitimation des eigenen Staates und seiner Gesellschaftsordnung, und sie zielt darauf ab, imaginierte Gemeinschaften durch einheitsstiftende historische Narrative, Symbole und Praktiken herzustellen. Dahingegen zielt das Konzept eines Museums als Lernort ab auf „die Befähigung zu einem reflektierten Umgang mit Objekten, zu einer kritischen Analyse ihrer Präsentation und zu Multiperspektivität. Bildung in diesem Sinne (ist) nicht als nationale oder kulturelle Identitätsbildung, sondern umfassend als Menschenbildung zu verstehen, die auf Freiheit, Mündigkeit und Autonomie abzielt“, worauf der Historiker Habbo Knoch in seinem Buch „Geschichte in Gedenkstätten“ hinweist (397). Hierbei müssen sich Museumspädagogik und Gedenkstättenpädagogik mit drei Herausforderungen auseinandersetzen: „Die Vermittlung kognitiven Wissens unterliegt erstens beträchtlichen Einschränkungen aufgrund begrenzter Vorkenntnisse, der begrenzten Zeit des Besuchs und der Komplexität des Gegenstands. Zweitens sehen sie sich Erwartungen und Zielen der politischen Bildung gegenüber, die Gedenkstätten als Orte einer politisch-moralischen Wertevermittlung ansehen, was aber im Widerspruch zu reflexiven, ergebnisoffenen und autonomen Lernprozessen stehen kann. Die Bildungsarbeit in Gedenkstätten wird drittes von außen vielfach als Beitrag zu einer nationalen Identitätsbildung gesehen, während die Gedenkstätten wie auch die Geschichtsdidaktik dem Postulat eines individuellen, historisch fundierten und zugleich reflektierten Geschichtsbewusstseins folgen“ (398). Museen müssen sich daher entscheiden, ob sie Geschichtspolitik oder Aufklärung betreiben wollen, d.h. ob sie dem Publikum ein vorgefertigtes Geschichtsbild vorsetzen, oder ob sie das Publikum darin unterstützen möchten, sich auch zu historischen Themen selbstständig eine eigene Meinung zu bilden. Diesen Anspruch einer Aufklärung habe ich bislang in ganz Europa explizit nur im Staatlichen Museum für politische Geschichte Rußlands in St. Petersburg angetroffen bei meinem Besuch am 29.07.2017.
Die Ausstellung des Sibirischen Gedenkmuseums erstreckt sich über zwei Etagen, und sie besteht aus neun thematischen Teilen. Sämtliche Informationen werden zweisprachig angeboten (Polnisch, Englisch). Gegenstand der Ausstellung ist die Deportation und Verbannung von Polen nach Sibirien (399) als einem Verbannungsraum (400) und einer Strafkolonie (401). Hierbei werden zwei Zeitabschnitte unterschieden: Zum Einen den Ereignissen im Kaiserreich Rußland im 18. und 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Der zweite Zeitabschnitt hat die Ereignisse in der insbesondere durch Josef W. Stalin (1878-1953) geprägten Sowjetunion (UDSSR) zum Thema, der den größten Teil der Ausstellung einnimmt.
Im Kaiserreich Rußland erfolgte die Verbannung und Deportation nach Sibirien im Rahmen der Verbannungsstrafe „Katorga„, bei der der Sträfling Zwangsarbeit zu leisten hatte. Meist erfolgte eine Deportation in die unwirtlichen Gebiete des Landes, insbesondere nach Sibirien. Ebenfalls verloren die Häftlinge sämtliche Bürgerrechte (Bürgerlicher Tod), und sie durften auch nach Ablaufen der Strafzeit nicht ins europäische Russland zurückkehren, sondern mussten den Rest ihres Lebens in der Verbannung verbringen. Das Jahr 1807 markierte den Beginn statistischer Erhebungen, doch auch schon davor kam es zu solchen Deportationen und Verbannungen. Im Jahresschnitt wurden von 1807 bis 1863 8213 Personen nach Sibirien deportiert. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 336.737 Personen nach Sibirien deportiert. 1862 wurden 9570 Personen nach Sibirien deportiert, 1863 waren es 10.108 Personen. Zwischen 1865 und 1881 stieg die durchschnittliche jährliche Rate der Deportierten nach Sibirien auf 15.733 Personen an. Von dieser Verbannung und Deportation nach Sibirien im Rahmen der Verbannungsstrafe „Katorga“ waren betroffen insbesondere Vertreter der Konföderation von Bar, sowie die Beteiligten des Novemberaufstandes 1830/1831 und des Januaraufstandes 1863/1864. Infolgedessen kam es insbesondere zwischen 1863 und 1880 zu Massendeportationen von Polen nach Sibirien als Folge der polnischen Aufstände, die 1863 in dem Januaraufstand gipfelten. Sibirien wurde zu einem Synonym für Verbannung.
Der zweite in der Ausstellung des Sibirischen Gedenkmuseums behandelte Zeitabschnitt hat die Ereignisse in der Sowjetunion (UDSSR) während der Herrschaft von Josef W. Stalin (1878-1953) zum Thema. Der sogenannte „Große Terror“ von 1936 bis 1938, der auch als „Große Säuberung“ bezeichnet wird, war eine von Herbst 1936 bis Ende 1938 dauernde umfangreiche Verfolgungskampagne in der Sowjetunion. Die Durchführung dieser von Josef W. Stalin veranlassten und vom Politbüro des Zentralkomitees der KPdSU gebilligten Terrorkampagne lag bei den Organen des Innenministeriums der UdSSR (NKWD) unter der Leitung des Volkskommissars für Inneres, Nikolai I. Jeschow (1885-1940). Der Terror richtete sich vor allem gegen mutmaßliche Gegner der stalinistischen Herrschaft und als unzuverlässig angesehene „Elemente“ oder Gruppen. Plan-Solls zur Liquidierung und Verhaftung von Staatsfeinden wurden festgesetzt, die mit fortschreitender Dauer der Verfolgungen immer weiter erhöht wurden. Die regionalen und lokalen NKWD-Kräfte fürchteten, bei Nichterfüllung der Sollzahlen selbst der Verschwörung verdächtigt zu werden, und trieben durch die Übererfüllung der Forderungen die Anzahl der festgenommenen Personen noch weiter in die Höhe. Als Zeit des Großen Terrors im engeren Sinn werden die Monate von Juli 1937 bis Mitte November 1938 verstanden. Allein in diesem Zeitraum kam es zur Verhaftung von etwa 1,5 Millionen Personen, von denen etwa die Hälfte erschossen, und die anderen, bis auf wenige Ausnahmen, in die Lager des Gulag gebracht oder in Gefängnissen inhaftiert wurden. Die Massenrepressionen gelten als Höhepunkt einer Kette von Säuberungswellen der Stalin-Ära. Die Gesamtzahl der Opfer der „Großen Säuberung“ und des „Großen Terrors“ ist nicht bekannt und schwer zu verifizieren. Schätzungen von Historikern reichen von einer Million bis 60 Millionen Toten. Um die historische Aufarbeitung der politischen Gewaltherrschaft in der UDSSR während der Herrschaft von Josef W. Stalin bemüht sich die Organisation „Memorial“.
Diese Stalinschen Säuberungen lassen sich unterteilen in Politische Säuberungen, die Personen oder Personengruppen aus politischen Organisationen und Institutionen, insbesondere aus Parteien, Regierungen und öffentlicher Verwaltung betrafen, sowie in Ethnische Säuberungen. Bestandteil dieser Ethnischen Säuberungen in der Sowjetunion waren die Ethnischen Deportationen in der UdSSR, die zahlreiche ethnische Minderheiten der Sowjetunion betrafen, die in die Lager des Gulag und Verbannungsregionen deportiert wurden. In der UdSSR wurden zehn Völker vollständig deportiert: Russlandkoreaner, Russlanddeutsche, Ingermanland–Finnen, Karatschaier, Kalmücken, Tschetschenen, Inguschen, Balkaren, Krimtataren und kleinere Minderheiten der Krim sowie meskhetische Türken.
Ein weiterer Bestandteil dieser Ethnischen Säuberungen waren die sogenannten „nationalen Operationen“ des NKWD. Auf Beschluss des Politbüros des Zentralkomitees der KPdSU vom 31. Januar 1938 wurden insgesamt zwölf ethnisch definierte „nationale Operationen“ vom NKWD durchgeführt: Neben Polen, Letten und Deutschen waren auch Esten, Finnen, Griechen, Iraner, Charbiner, Chinesen, Rumänen, Bulgaren und Mazedonier von ethnischen Säuberungen betroffen. Im Zuge dieser „nationalen Operationen“ des NKWD wurden in allen nichtrussischen Unionsrepubliken die gesamten Führungsschichten entmachtet und ermordet. Die Zahl der im Rahmen „nationaler Operationen“ ermordeten Personen wird auf 350.000 bis 365.000 geschätzt. Damit haben die „nationalen Operationen“ des NKWD in ihrer Gesamtheit etwa die Größe und den Umfang der sogenannten „Kulaken-Operation“ des NKWD, die auf Grundlage des NKWD-Befehls Nr. 00447 vom 30. Juli 1937 erfolgte. Von August 1937 bis November 1938 wurden dabei 800.000 bis 820.000 Personen verhaftet, davon mindestens 350.000 – eventuell bis zu 445.000 – erschossen, die übrigen in Straflager des Gulags eingewiesen. Diese „Kulaken-Operation“ des NKWD ist eine Fortsetzung der sogenannten „Entkulakisierung“ von 1929 bis 1933 während der Zwangskollektivierung, die im Rahmen des ersten Fünfjahresplans im Zuge der Industrialisierung der Sowjetunion durchgeführt wurde, was eine schwere Hungersnot zur Folge hatte. Die Unterdrückung der Bauern und deren Ausbeutung als einer „Inneren Kolonie“ ermöglichte die forcierte Industrialisierung und Modernisierung der Sowjetunion. Die brutal vorangetriebene Industrialisierung machte die Sowjetunion zu einer Weltmacht, und zeitgleich erfolgte eine umfangreiche militärische Aufrüstung.
Die Größte dieser „nationalen Operationen“ des NKWD war die 14 Monate andauernde sogenannte „Polnische Operation“ des NKWD auf Grundlage des NKWD-Befehls Nr. 00485 vom 11.08.1937 „Über die Liquidierung polnischer Sabotage- und Spionage-Gruppen und Unterorganisationen der Polnischen Militär-Organisation (POW)“. Im Zuge der „Polnischen Operation“ des NKWD wurden 143.810 Sowjetbürger polnischer Abstammung, mit polnisch klingenden Namen, mit Kontakten nach Polen oder mit Wohnort in Grenznähe verhaftet. Von ihnen wurden 139.885 verurteilt, und von diesen wurden 111.091 erschossen. Weitere bedeutende „nationalen Operationen“ des NKWD waren die „Deutsche Operation“ des NKWD auf Grundlage des NKWD-Befehl Nr. 00439 vom 25.07.1937 und die „Lettische Operation“ des NKWD auf Grundlage des NKWD-Befehls Nr. 49990.
Weitere Repressionen und Deportationen von Polen erfolgten in Folge des „Hitler-Stalin-Paktes“ vom 24.08.1939 und dem geheimen Zusatzprotokoll. Nach der sowjetischen Besetzung Ost-Polens, ), d.h. des östlichen Teils des Territoriums der Zweiten Polnischen Republik ab dem 17.09.1939 wurden durch vom Volkskommissar und Chef des NKWD Lawrenti Beria (1899-1953) geführte Sonderkommandos des NKWD zwischen Februar 1940 und Juni 1941 in vier großen Wellen insgesamt 330.000 Personen aus den östlichen Gebieten des Territoriums der Zweiten Polnischen Republik in Viehwaggons nach Sibirien und Zentralasien in die vom NKWD überwachten Sonderansiedlungsgebiete und in Gulag-Lager deportiert. In diesem Zeitraum ereignete sich auch das Massaker von Katyn, bei dem vom NKWD vom 03.04.1940 bis zum 11.05.1940 etwa 4400 gefangene Polen, größtenteils Offiziere, in einem Wald bei Katyn, einem Dorf 20 Kilometer westlich von Smolensk, erschossen wurden. Diese Tat gehörte zu einer Reihe von Massenmorden, die im Frühjahr 1940 an mindestens fünf verschiedenen Orten in den Unionsrepubliken Russland, Ukraine und Weißrussland an 22.000 bis 25.000 Berufs- und Reserveoffizieren, Polizisten, Priestern der katholischen Kirche und Intellektuellen verübt wurden. Die Opfer zählten überwiegend zu den Vorkriegseliten der Zweiten Polnischen Republik. Diese und weitere Maßnahmen ähnelten den „nationalen Operationen“ des NKWD während des Großen Terrors (1936–1938), mit denen in allen nichtrussischen Unionsrepubliken die gesamten Führungsschichten entmachtet und ermordet wurden. Eine davon war die „Polnische Operation“ des NKWD.
Aus diesem, auf Grundlage des „Hitler-Stalin-Paktes“ vom 24.08.1939 und dem geheimen Zusatzprotokoll von der Sowjetunion besetzten östlichen Teils des Territoriums der Zweiten Polnischen Republik gab es in den Jahren 1944 bis 1946 weitere Zwangsumsiedlungen von Polen.
Die Ausstellung des Sibirischen Gedenkmuseums beginnt im ersten Teil mit einer Vorstellung Sibiriens als einer wahrnehmungsgeographischen Kategorie mit dem Namen “Sybir“ (402). Diese wahrnehmungsgeographische Kategorie „Sybir“ beinhaltet neben der geografischen Region Sibirien zudem das gesamte östlich gelegene Europa, und diese wahrnehmungsgeographische Kategorie „Sybir“ wird mit einem (extralegalen) Raum der Barbarei und der Gewalt assoziiert. Tatsächlich ist diese wahrnehmungsgeographische Vorstellung von Sibirien im gesamten westlichen Europa verbreitet, so beginnt z.B. für viele Bewohner des Rheinlands Sibirien als einer wahrnehmungsgeografischen Kategorie schon östlich der Elbe. In Polen hingegen läßt man dieses wahrnehmungsgeographische Sibirien ein wenig weiter östlich beginnen.
In seinem Buch „Marjampole oder Europas Wiederkehr aus dem Geist der Städte“ stellt der Historiker Karl Schlögel den Romanschriftsteller Edwin Erich Dwinger (1898-1981) und dessen wahrnehmungsgeografische Kategorie Sibirien vor (403), die die Grundlage seiner autobiografischen Romane bildet, die Dwinger auf Basis eigenen Erlebens und eigener Zeitzeugenschaft geschrieben hat: „Dwingers Osten ist eine empirische Landschaft mit Namen von Ortschaften und Städten, von Flüssen und Eisenbahnknotenpunkten, die in der Erinnerung von Millionen Kriegsteilnehmern an der Ostfront und dann Hunderttausender von Kriegsgefangenen von zentraler Bedeutung gewesen sein mußten. Dwinger spannt einen Raum auf, der für Hunderttausende zum alles entscheidenden Schauplatz geworden ist: zum Ort einer Lebenserfahrung, deren Intensität aus der Nähe zum jederzeit möglichen Tod herrührte. (…) Dwingers Erfahrungsraum ist nicht der Westen, nicht das Schlachtfeld von Verdun, nicht der Stellungskrieg und die Materialschlacht, sondern die Region, in der der Weltkrieg in den Bürgerkrieg übergegangen war. (…) Der Osten ist so eine Schule der Grausamkeiten, des Verlustes an zivilisatorischen Hemmungen und der Verrohung. Aber diese Ausnahmesituation lehrt auch einen neuen Blick auf die Welt. (…) Die ganze Welt ist ihnen ‚durch diesen Krieg ein einziges Sibirien geworden‘“ (404). Dwinger zeichnet das Panorama eines Weltkrieges, der in den Bürgerkrieg übergeht und des Bürgerkriegs, der zum Weltkrieg wird. Dabei ist die wahrnehmungsgeografische Kategorie Sibirien dramatischer Schauplatz im Zweiten Dreißigjährigen Krieg (405) als einem Weltbürgerkrieg. Dwinger will der Chronist dieser Zeit sein, ihr, wie er sagt, Simplicius Simplicissimus.
Die Ausstellung des Sibirischen Gedenkmuseums beschränkt ihren Focus gänzlich auf Sibirien, doch Sibirien ist lediglich ein, wenn auch herausragendes Beispiel für Verbannungsräume und Strafkolonien, und diese können als eine Form „Totaler Institutionen“ begriffen werden. Eine derartige geographische und zeitliche Erweiterung der Perspektive kann zu einer Erklärung und zur Aufklärung des Phänomens „Sibirien“ beitragen. In der Neuzeit unterhielten die meisten Kolonialmächte (extralegale) Verbannungsräume und Strafkolonien, in die sie die sozial und politisch unerwünschten Bevölkerungsteile abschoben. Im NS-Staat war das „Generalgouvernement“ ein extralegaler Abschieberaum, der dort eine analoge Funktion zum Sibirien der stalinistischen Sowjetunion hatte, jedoch mangelte es diesem Raum an der territorialen Größe und Weite Sibiriens. Die NS-Konzentrationslager können als eine räumlich konzentrierte Form extralegaler Verbannungsräume und Strafkolonien angesehen werden.
Den neun thematischen Teilen der Ausstellung ist ein weiterer abschließender Teil zum Thema „Rememberance/Panieç“ angegliedert. „Rememberance“ ist ein Begriff, der insbesondere an Gedenkstätten zum Thema Erster Weltkrieg in Flandern anzutreffen ist. „Rememberance“ kann als ein Reflektions- und Entwicklungsstand von Gedenk- und Erinnerungskultur aufgefaßt werden. Er überwindet eine „Heldenverehrung“ und löst diese ab. Es läßt sich in Europa feststellen, daß die Gedenk- und Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg mittlerweile weitgehend das Stadium von „Rememberance“ erreicht hat, nicht jedoch die Gedenk- und Erinnerungskultur zum Thema Zweiter Weltkrieg, die vielerorts noch nicht über das Stadium der Heldenverehrung hinaus gelangt ist, und dies nicht nur in der östlichen Hälfte Europas, sondern gleichfalls in der westlichen Hälfte Europas, wie das Beispiel der „Landungsstrände“ in der Normandie zeigt (Vgl. Kapitel 5). Es gilt, den Schritt von Geschichtspolitik zur Geschichtswissenschaft zu beschreiten.
Die Rückfahrt von Uli und mir von Białystok nach Berlin erfolgte am 24.11.2024 per Reisebus. Diese Fahrt hatte ich schon vor dem Reisebeginn gebucht. Dieser Reisebus kam aus Vilnius und setzte seine Fahrt nach dem Halt in Białystok nach Berlin fort mit weiteren Zwischenhalten in Warschau, Posen und Schwiebus/Swiebodzin. An der Grenze zwischen Polen und Deutschland gab es auf der Autobahn einen langen Rückstau insbesondere von LKW, sodaß der Reisebus über Landstraßen weiterfuhr. Überquert wurde die Grenze dann in der „Doppelstadt“ Frankfurt an der Oder/Słubice. Derartige Teilungen von Städten sind ein weit verbreitetes Phänomen der Neuzeit, und sie ereigneten sich insbesondere im Zeitalter des Nationalismus und der Herausbildung von Nationalstaaten. Immer wieder gelangte ich bei meinen Fahrradreisen in Europa durch zahlreiche dieser eigenartigen „Doppelstädte“ (406), die es im heutigen Europa in großer Zahl gibt. Insbesondere interessiert mich an diesen „Doppelstädten“ die jeweilige Teilungssituation, sodaß ich stets beide Teile einer „Doppelstadt“ besuche. Diese geteilten Städte können auch als Ausdruck des Niedergangs der Städte seit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit angesehen werden, und sie sind somit ein Ausdruck der in der Neuzeit erlangten Dominanz des zentralistischen absolutistischen Staates über die zuvor weitgehend selbstständigen und freien Städte. Bis heute haben die Städte ihre frühere Bedeutung und Selbstständigkeit nicht wieder erlangt, und sie sind weiterhin ein Spielball der von Nationalstaaten zur Machtbehauptung der Nation betriebenen Machtpolitik.
Nach der Überquerung der Oderbrücke erfolgte in Frankfurt/Oder durch die Grenzpolizei der Bundesrepublik Deutschland eine Paßkontrolle im Reisebus. Mit geringer Verspätung traf der Reisebus am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Berlin ein.
13. Anmerkungen:
1) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Mauer
2) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/19._Jahrhundert
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Langes_19._Jahrhundert
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/20._Jahrhundert
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurzes_20._Jahrhundert
Vgl. des Weiteren: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, 1995.
3) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Mauer#Mauerfall
4) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Reisefreiheit
Den aktuellen weltweiten Zustand der Reisefreiheit dokumentiert und kommentiert mein Text: „Ende der ‚Corona-Krise‘ – Aktuelle Reisebedingungen im weltweiten Vergleich“. Zu lesen ist dieser Text auf meiner Internetseite:
https://manfred-suchan.jimdosite.com
5) Als charakteristische Elemente, die das 20. Jahrhundert in seiner gesamten historischen Tiefe und geografischen Breite als ein extremes Jahrhundert mit Alleinstellungsmerkmal charakterisieren und prägen können aufgeführt werden: Die Ethnische Säuberung, die Totale Institution des Lagers als die Totale Institution zur zweckrationalen Verwaltung von Menschenmassen in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, der Ausnahmezustand, der Doppelstaat (Dual State), die totale Mobilmachung, der totale industrielle Krieg, und weitere. Als charakteristische und prägende Elemente haben sie den Gehalt von analytischen Kategorien, die deshalb im Zentrum einer jeden Analyse zum extremen 20. Jahrhundert stehen müssen.
6) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Agenda_Setting
7) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Johan_Galtung
8) Siehe: Johan Galtung: Geopolitik nach dem Kalten Krieg: ein Essay zur Agendatheorie. S. 143 und 145. In: Derselbe: Die andere Globalisierung. Perspektiven für eine zivilisierte Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert. Münster, 1998. S. 125-145.
9) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Revisionismus
10) Vgl.: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, 1995.
11) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geopolitik
12) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/KSZE
Der KSZE-Prozeß ist dokumentiert in: Europäische Menschenrechtsdokumente und der KSZE-Prozeß. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen. Bonn, 1995. S. 219-457. Wenn man heute die Dokumente des gesamten KSZE-Prozesses noch einmal liest, wird deutlich, wie erheblich die heutige Politik in Europa vom KSZE-Prozeß und dessen Intentionen abgewichen ist. Die Beendigung des KSZE-Prozesses Mitte der 90er Jahre korreliert signifikant mit der Zunahme von Krisen, Konflikten und Kriegen in Europa, die wir seither feststellen müssen.
13) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kalter_Krieg
Zur Entstehung des neuen Kalten Krieges vgl.: Johan Galtung: Die NATO-Osterweiterung oder: Der Beginn des Zweiten Kalten Krieges. In: Derselbe: Die andere Globalisierung. Perspektiven für eine zivilisierte Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert. Münster, 1998. S. 68-80.
14) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Eiserner_Vorhang
15) Vgl.: https://www.mauerfall35.berlin
16) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Überwachungsstaat
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Gläserner_Mensch_(Datenschutz)
17) Vgl. meinen Text: „Herausforderungen der digitaltechnischen Revolution – Ist ein Szenario einer globalen totalitären Vergesellschaftung vermeidbar?“. In dieser herrschaftskritischen historisch-anthropologischen Analyse vertrete ich die These, daß sowohl die Ausprägungsform als auch die Intensität von Herrschaft abhängig ist vom jeweiligen technologischen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung: Demnach ist despotische Herrschaft eine Folge der Neolithischen Revolution, und die totalitäre Herrschaft des 20. Jahrhunderts eine Folge der Industriellen Revolution, sodaß folglich die Digitaltechnische Revolution zu einer neuartigen Herrschaftsform führen wird, die die Totalitarismen des extremen 20. Jahrhunderts als rückständige, technologisch unausgereifte Frühformen totalitärer Vergesellschaftung erscheinen lassen wird.
Zu lesen ist dieser Text auf meiner Internetseite:
https://manfred-suchan.jimdosite.com/digitaltechnische-revolution/
18) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Belarus
19) Vgl.: https://germany.mfa.gov.by/de/konsularwesen/visaerteilung/visa_free_35_DE/
20) Vgl.: https://www.germany.mfa.gov.by/de/embassy/news/a05f207627348264.html
21) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Entspannungspolitik
Sowie: Gottfried Niedhart: Entspannung in Europa. Die Bundesrepublik Deutschland und der Warschauer Pakt 1966 bis 1975. Bonn, 2014.
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Wandel_durch_Annäherung
22) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wende_und_friedliche_Revolution_in_der_DDR
23) Ein bekanntes Beispiel für einen geopolitisch, machtpolitisch und wirtschaftspolitisch motivierten „Wettlauf“ (scramble) von Großmächten
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Großmacht
und Weltmächten
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltmacht
ist der sogenannte „Wettlauf um Afrika“ (Scramble for Africa):
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wettlauf_um_Afrika
im Zeitalter des Imperialismus
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Imperialismus#Zeitalter_des_Imperialismus_(ca._1870-1914)
Das Zeitalter des Imperialismus kulminierte in zwei Weltkriegen.
23a) In der Mauerstadt Berlin wird eine eigenartige Besonderheit der politischen Kultur
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Kultur
der berliner Mauergesellschaft deutlich: Insbesondere in Berlin ist es übliche Praxis, jedes Thema in das antagonistische Schema eines eindimensionalen Rechts-Links-Gegensatzes
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Rechts-links-Schema
zu zwängen und jedes gesellschaftspolitische Phänomen und Problem als eine Erscheinung und Ausprägung dieses eindimensionalen Rechts-Links-Gegensatzes darzustellen und zu vermitteln. Dieses ist Ausdruck und Erscheinungsform eines reduzierten, manichäischen und dualistischen Weltbildes und einer durch diesen Dualismus geprägten Weltanschauung. Dieses dualistische Weltbild ist eine bis heute nachwirkende Altlast aus dem Zeitalter der Bipolarität und der Blockkonfrontation während des Ost-West-Konflikts, der in der Mauerstadt Berlin aufgrund der geografischen Lage der Stadt in besonderem Maße präsent war. Daher prägte der Ost-West-Konflikt das Denken der Menschen der berliner Mauergesellschaft in der Mauerstadt Berlin in besonderem Maße, und das daraus resultierende reduzierte, manichäische und dualistische Weltbild bestimmt nachhaltig bis in die Gegenwart das Denken und die Weltsicht der berliner Mauergesellschaft (vgl. Anmerkung 40). Das insbesondere in der Mauerstadt Berlin ausgeprägte dualistische Weltbild spiegelt die beschränkte Weltsicht der Weltanschauung einer piefigen, bornierten und latent bildungsfeindlichen Mauergesellschaft wider, wobei der Horizont der Weltsicht dieser Mauergesellschaft an der Berliner Mauer endete. Heute wird der Rechts-Links-Gegensatz identitätspolitisch
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Identitätspolitik
instrumentalisiert, was dessen Fortbestand begünstigt. Dieses einfache eindimensionale Schema kommt nahezu ohne Analyse aus, es basiert auf Abgrenzungen und Feinderklärungen, und es hat eine verkürzte und reduktionistische Sichtweise zur Folge. Das dualistische Weltbild und eine durch diesen Dualismus geprägte Weltanschauung verweigern sich jeglicher Aufklärung und sie sind ein durch das extreme 20. Jahrhundert verursachter langfristiger Schaden, der sich in der Mauerstadt Berlin offensichtlich kaum begrenzen läßt.
24) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Sergejewitsch_Gorbatschow
25) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Jugoslawienkriege
26) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung#Kontroversen
Der erste Generalsekretär der NATO, Hastings L. Ismay, 1. Baron Ismay (1887-1965) prägte die bekannte Kurzcharakteristik für die NATO, deren primäre Aufgabe es sei: „to keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down“.
Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Hastings_Ismay,_1._Baron_Ismay#Über_die_Funktion_der_NATO
27) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tiananmen-Massaker
28) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Volksrepublik_China
29) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tiananmen-Massaker#Internationale_Reaktionen_und_Rezeptionsgeschichte
30) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zentraler_Runder_Tisch
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Runder_Tisch
31) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialkredit-System
32) Siehe: Kai Strittmatter: Die Neuerfindung der Diktatur. Wie China der digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert. München, 2020. S. 215.
33) Siehe: Yvonne Hofstetter: Der unsichtbare Krieg. Wie die Digitalisierung Sicherheit und Stabilität in der Welt bedroht. Bonn, 2020. S. 216-217.
34) In Folge der Ereignisse des 11.09.2001 wurden in den USA Tendenzen eines neuen Totalitarismus im digitaltechnischen 21. Jahrhundert erkennbar. Aus Anlaß der Ereignisse vom 11.09.2001 wurde in den USA unter dem Vorwand eines „War on Terror“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_gegen_den_Terror
ein weltweites Massenüberwachungsprogramm begonnen
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/PRISM
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Echelon
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Tempora
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/ENFOPOL
Des Weiteren: https://de.wikipedia.org/wiki/INDECT
zudem wurde am 14.09.2001 der Ausnahmezustand verhängt, es erfolgte eine vorher nicht dagewesene Ausweitung der präsidentiellen Macht und einer faktischen Aufhebung der Gewaltenteilung, am 26.10.2001 wurden mit dem „USA Patriot Act“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/USA_PATRIOT_Act
die Bürgerrechte eingeschränkt, erstmals seit ihrem Bestehen rief die NATO den Bündnisfall aus, und am 07.10.2001 begann der Krieg in Afghanistan
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_Afghanistan_2001-2021
sowie am 20.03.2003 der Irakkrieg
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Irakkrieg
mit einer „Koalition der Willigen“.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Koalition_der_Willigen
Dies erfolgte auf Grundlage der „Busch-Doktrin“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Bush-Doktrin
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Sicherheitsstrategie_der_Vereinigten_Staaten
und im Zuge einer Politik des Unilateralismus.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Unilateralität
Im „Krieg gegen den Terror“ wurden Geheimgefängnisse
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geheimgeängnis
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Verschwindenlassen
und sogenannte „Black Sites“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Black_Site
errichtet, in denen ebenso wie im Gefangenenlager Guantanamo
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenenlager_der_Guantanamo_Bay_Naval_Base
Folter angewandt wurde:
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Folter
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Abu-Ghuraib-Folterskandal
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Weiße_Folter
Vgl. auch: Alfred W. McCoy: Foltern und Foltern lassen. 50 Jahre Folterforschung von CIA und US-Militär. Frankfurt am Main, 2006.
Folge dieser Politik der Bush-Administration war ein „gespaltener Westen“, und der Philosoph Jürgen Habermas
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Habermas
stellte in seinem Buch „Der gespaltene Westen“ im Jahre 2004 fest: „Nicht die Gefahr des internationalen Terrorismus hat den Westen gespalten, sondern eine Politik der gegenwärtigen US-Regierung, die das Völkerrecht ignoriert, die Vereinten Nationen an den Rand drängt und den Bruch mit Europa in Kauf nimmt.“ Dieser Entwicklung stellt Habermas das „Kantsche Projekt der Abschaffung des Naturzustandes zwischen den Staaten“ entgegen, das der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804)
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Immanuel_Kant
in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zum_ewigen_Frieden
im Jahre 1795 vorentworfen hatte, und Habermas führt aus: „Mit dem Entwurf eines ‚weltbürgerlichen Zustands‘ hat Kant den entscheidenden Schritt über das allein auf Staaten bezogene Völkerrecht hinaus getan. Inzwischen hat sich das Völkerrecht nicht nur als juristische Fachdisziplin ausdifferenziert; nach zwei Weltkriegen hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts auf dem von Kant zugewiesenen Wege zum Weltbürgerrecht Fortschritte gemacht und in internationalen Verfassungen, Organisationen, Verfahren institutionelle Gestalt angenommen“. Habermas skizziert ein Mehrebenensystem einer „Weltinnenpolitik ohne Weltregierung“: „Im Lichte der Kantschen Idee kann man sich eine politische Verfassung einer dezentrierten Weltgesellschaft, ausgehend von den heute bestehenden Strukturen, als ein Mehrebenensystem vorstellen, dem im Ganzen der staatliche Charakter aus guten Gründen fehlt“. Dabei wird der Weg vom Staatenrecht zum Weltbürgerrecht beschritten, und die individuellen Bürger werden als unmittelbare Subjekte des Völkerrechts anerkannt, womit die Transformation des Völkerrechts in ein Weltverfassungsrecht eingeleitet wird. Auf dieser Grundlage mahnt Habermas Reformen der UNO an.
Vgl.: Jürgen Habermas: Der gespaltene Westen. Frankfurt am Main, 2004. S. 7, S. 114, S. 134.
Diese Spaltung des Westens findet in dem vom US-amerikanischen Kriegsminister Donald Rumsfeld
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Donald_Rumsfeld#Verteidigungsminister_unter_Präsident_George_W._Bush
bezeichneten „Alten Europa“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Das_alte_Europa
und dem „Neuen Europa“ ihre Entsprechung. Die Länder des „Neuen Europa“ bildeten die „Koalition der Willigen“, den Vasallen, mit denen die USA im Zentrum Eurasiens in den Krieg gezogen sind, womit die USA unübersehbar der geopolitischen „Heartland-Theorie“ folgen:
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heartland-Theorie
Die Länder der „Koalition der Willigen“ des „Neuen Europas“ bilden im Wesentlichen die EU-Beitrittsländer der großen EU-Osterweiterung der Jahre 2004 und 2007, doch faktisch sind diese neuen EU-Beitrittsländer in der östlichen Hälfte Europas mehr den USA, als der EU, dem vom US-amerikanischen Kriegsminister Donald Rumsfeld bezeichneten „Alten Europa“ beigetreten. Die EU-Beitrittsländer des „Neuen Europa“ sind seither in der erweiterten Europäischen Union Empfänger von Leistungen, die das „Alte Europa“ leisten muß. Die EU-Osterweiterung erfolgte zeitgleich und parallel zur NATO-Osterweiterung, und faktisch ist eine Mitgliedschaft in der NATO eine Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in der EU.
Im Falle des aktuellen Krieges in der Ukraine, der im Wesentlichen ein Produkt der Geopolitik der USA ist, bilden heute allerdings sowohl das „Neue Europa“ als auch das „Alte Europa“ gemeinsam eine „Koalition der Willigen“.
35) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Chinesisches_Jahrhundert
Des Weiteren: https://de.wikipedia.org/wiki/Sinozentrismus
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Seidenstraße
36) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Bipolare_Welt
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Kalter_Krieg#Bipolare_Welt
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Polarität_(Internationale_Beziehungen)
Des Weiteren: https://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-Lager-Theorie
37) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_einzige_Weltmacht:_Amerikas_Strategie_der_Vorherrschaft
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Zbigniew_Brzeziński
Siehe: Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Frankfurt am Main, 1999. S. 15-16, S. 58, S. 41, S. 64 und S. 65-66.
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Amerikanisches_Jahrhundert
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Project_for_the_New_American_Century
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfowitz-Doktrin
38) Siehe: Matthias Platzeck: Wir brauchen eine neue Ostpolitik. Russland als Partner. Berlin, 2020. S. 97 und 99.
40) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ost-West-Konflikt
Unzulässigerweise wird der Begriff „Ost-West-Konflikt“ und der Begriff „Kalter Krieg“ bei Wikipedia synonym gebraucht. Dies ist Ausdruck eines weit verbreiteten eingeschränkten Geschichtsbewußtseins
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsbewusstsein
und eines eingeschränkten Geschichtsbildes,
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsbild
das insbesondere eine piefige Berliner Mauergesellschaft prägt, bei der der Horizont des Geschichtsraumes
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsraum
und des Weltbildes
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltbild
an der Berliner Mauer endet, und der es nicht gelingt, den begrenzten Blick und die beschränkte Perspektive über Berlin im „Kalten Krieg“ hinaus zu erweitern.
Während der Begriff „Kalter Krieg“ auf den historischen Zeitabschnitt der Blockkonfrontation und der Bipolarität des Staatensystems zwischen der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs und den Ereignissen 1989/90 beschränkt und begrenzt ist, ist der Begriff „Ost-West- Konflikt“ hingegen weit umfassender: Der „Ost-West-Konflikt“ ist in Form des „Ost-West-Gegensatzes“ ein Narrativ, das die gesamte europäische Geschichte seit ihren Anfängen bestimmt und gestaltet; dieses Narrativ wird immer wieder neu reproduziert, und es erscheint in immer wieder neuer Gestalt. Schon bei den alten Griechen gab es einen Ost-West-Gegensatz zwischen der Welt des antiken Griechenlands
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Antikes_Griechenland
und dem Persischen Imperium
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Perserreich
als der Orientalischen Despotie. Der Ost-West Gegensatz in Europa fand eine Neuauflage mit der Aufteilung des Imperium Romanum
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsteilung_von_395
in einen lateinischen weströmischen Teil und einen von griechischer Kultur dominierten oströmischen Teil, der in der Aufteilung der christlichen Kirche in einen lateinischen römisch-katholischen und einen griechisch-orthodoxen Teil seine Entsprechung fand:
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Morgenländisches_Schisma
Aus diesem Gegensatz wurde der Gegensatz zwischen Abendland
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Abendland
und Morgenland. Diese Spaltung wurde durch die Eroberungen der Mongolen und der Osmanen vertieft. Der Historiker Dittmar Dahlmann stellt fest: „Was einst als der Norden Europas verstanden wurde, wandelte sich mit der Aufklärung und verstärkt im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Osten Europas, wobei der Osten mit der Barbarei identifiziert wurde, während der Westen sich im Selbstverständnis als Hort der Zivilisation begriff. Die Grundlage dafür ist in einer Verschiebung des europäischen Zentrums vom Süden zum Westen hin zu sehen. Der Osten löste den bis dahin barbarischen Norden ab.“ Siehe: Dittmar Dahlmann: Osteuropäische Geschichte. S. 211. In: Christoph Cornelißen (Hg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung. Frankfurt am Main, 2000. S. 206-220.
Dieses Narrativ des „Ost-West-Gegensatzes“ ist offensichtlich mittlerweile durch jahrtausendelange Einübung so mächtig geworden, sodaß seine Überwindung und Ablösung nicht gelingt, was am Beispiel der Entwicklungen seit 1989/90 aufgezeigt werden kann, denn entgegen ersten Hoffnungen auf ein endgültiges Ende des Ost-West-Konflikts und ein neues Zeitalter des Friedens und der Kooperation befindet sich Europa heute faktisch wieder in einem neuen „Kalten Krieg“ und ist durch einen neuen „Eisernen Vorhang“ gespalten, und die Welt ist von neuen geopolitisch motivierten Konflikten und Kriegen geprägt. Die USA und China zeichnen sich als die Hauptakteure eines neuen globalen Ost-West-Konflikts der Zukunft ab.
41) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wandel_durch_Annäherung
42) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Charta_von_Paris
43) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Warschauer_Pakt#Auflösung
44) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-plus-Vier-Vertrag
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Aufenthalts-_und_Abzugsvertrag
45) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung#Kontroversen
46) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Erweiterung
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung
47) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Erweiterung_der_Europäischen_Union
48) Siehe: Thomas Kunze, Thomas Vogel: Das Ende des Imperiums. Was aus den Staaten der Sowjetunion wurde. Bonn, 2016. S. 109.
49) Siehe: Matthias Platzeck: Wir brauchen eine neue Ostpolitik. Russland als Partner. Berlin, 2020. S. 46-47.
50) Siehe: Thomas Kunze, Thomas Vogel: Das Ende des Imperiums. Was aus den Staaten der Sowjetunion wurde. Bonn, 2016. S. 80.
51) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Studentendorf_Schlachtensee
52) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Volksrepublik_Polen
53) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tartu
54) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturhauptstadt_Europas
55) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Narva_(Stadt)
56) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hansestadt
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Stadt
Vgl. auch Anmerkung 280.
57) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tallinn
58) Vgl.: https://www.hotelsinminsk.com/de/
Sowie: https://www.minsk-hotels.org/de/
59) André Böhm, Maryna Rakhlei: Weissrussland. Mit Minsk, Brest, Hrodna, Homiel, Mahiliou und Viciebsk. Berlin, 2. Auflage 2029 (Treschner Verlag).
Ein weiterer Reiseführer zu Belarus wird vom Verlag „Bradt Travel Guides“ herausgegeben: Nigel Roberts: Belarus. Chesham, Edition 4, 2018.
Vgl.: https://www.bradtguides.com/destinations/europe/belarus/
60) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wiedergewonnene_Gebiete
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Polnischer_Westgedanke
61) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnische_Säuberung
Die Idee der Ethnischen Säuberung hat ihre Grundlage im Ideal homogener Nationen und Nationalstaaten, und bei Ethnischen Säuberungen geht es um Minderheiten, die sowohl diesem Ideal, als auch dem Recht der Nation, das eigene Territorium zu beherrschen, im Weg stehen. Auf Grundlage des Ideals homogener Nationen und Nationalstaaten errichtet der Nationalismus ein System der Apartheit, das jeder Nation ein Reservat oder „Homeland“ zuweist. Die Ethnische Säuberung schafft das Faktum einer Terra Nullius,
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Terra_Nullius
die nun in Besitz genommen, kolonisiert und besiedelt werden kann.
In der internationalen Politik schuf die während der Konferenz von Lausanne am 30.01.1923 vereinbarte Konvention zum Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei,
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Bevölkerungsaustausch_zwischen_Griechenland_und_der_Türkei
die Bestandteil des Vertrags von Lausanne
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Lausanne
vom 24.07.1923 war, als „Modell Lausanne“ einen Präzedenzfall für nachfolgende Vertreibungen im extremen 20. Jahrhundert. Das „Modell Lausanne“ diente von 1937 bis 1947 als Referenzpunkt für ca. ein Dutzend internationaler Abkommen, in denen massenhafte Bevölkerungsverschiebungen vereinbart und geregelt wurden. Ethnische Säuberungen wurden zu einem international akzeptablen Mittel, das versprach, innen- und außenpolitische Probleme wirksam und nachhaltig zu lösen, und immer häufiger und in wachsendem Umfang wurde darauf zurückgegriffen.
62) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Frieden_von_Moskau
63) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Karelien#Zwischen_Finnland_und_der_Sowjetunion
64) Die Ostseeregion als einer geografischen Region war Gegenstand und Ziel mehrerer meiner Fahrradreisen, darunter meiner Fahrradreise im Sommer 2014 durch die mittlere Ostseeregion. Lesen Sie meinen Reiseerlebnisbericht auf meiner Internetseite: https://manfredsuchan.net/fahrradreise-mittlere-ostseeregion
65) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesautobahn_12#Autobahn_der_Freiheit
66) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Voie_de_la_Liberté
67) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Neptune
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/D-Day
68) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Flandernschlachten
69) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_an_der_Somme
70) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_um_Verdun
71) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Herodot
72) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Perserkriege
73) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Thukydides
74) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Peloponnesischer_Krieg
75) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsbewusstsein
76) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte
77) Siehe: Friedrich A. Brockhaus (Hg.): Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Achter Band. 19. Auflage, 1989, Mannheim. S. 391.
78) Siehe: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. 1995, München. S. 17.
78a) Siehe: Ebenda. S. 19.
79) Siehe: Theodoer Schieder: Ohne Geschichte sein? Geschichtsinteresse, Geschichtsbewußtsein heute. 1973, Köln. S. 13-15.
Sowie: Theodor Schieder: Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute. S. 78-81. In: Carl J. Burckhardt: Geschichte zwischen Gestern und Morgen. 1974, München. S. 73-102.
80) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtskultur
81) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kollektives_Gedächtnis
82) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsbild
83) Siehe: Friedrich A. Brockhaus (Hg.): Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Achter Band. 19. Auflage, 1989, Mannheim. S. 393.
84) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenbild
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Mensch
85) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltanschauung
86) Siehe: Lynn Margulis: Der symbiotische Planet oder Wie die Evolution wirklich verlief. 2021, Frankfurt am Main. S. 9.
87) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerungskultur
88) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda
89) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtspolitik
90) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Identitätspolitik
91) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Belagerung_von_Przemyśl
92) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Abenteuer_des_braven_Soldaten_Schwejk
93) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltkrieg
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Dreißigjähriger_Krieg
94) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Irakkrieg
95) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Koalition_der_Willigen
Europa ist heute gespalten, und dies insbesondere aufgrund der Politik der USA seit den Ereignissen des 11.09.2001. Diese Ereignisse lieferten den Vorwand, daß die USA mit ihren Vasallen einer „Koalition der Willigen“ im Zentrum Eurasiens in den Krieg gezogen sind. Nicht zufällig erfolgten die großen EU-Osterweiterungen der Jahre 2004 und 2007 im Zuge dieser Ereignisse. Die neuen Beitrittsländer in der östlichen Hälfte Europas, das „Neuen Europa“, sind faktisch mehr den USA, als der EU, dem vom US-amerikanischen Kriegsminister Donald Rumsfeld bezeichneten „Alten Europa“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Das_alte_Europa
beigetreten. Seit 1989/90 erfolgt eine geopolitisch motivierte Neuaufteilung globaler Interessenzonen, und die verbliebene „Einzige Weltmacht“ (Zbigniew Brzezinski) folgt unübersehbar der geopolitischen „Heartland-Theorie“:
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heartland-Theorie
Vgl. auch Anmerkung 34.
96) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtswissenschaft
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_Geschichte
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Geschichtswissenschaft
97) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gefallenenmahnmal_Notre-Dame-de-Lorette
98) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Aufklärung
Aufklärung kann nach Willi Oelmüller verstanden werden als ein „Prozeß von Traditionskritik und Traditionsbewahrung, der den jeweils geschichtlich erreichten Stand öffentlich anerkannter und teilweise bereits institutionalisierter sittlich-politischer Errungenschaften verteidigt und durchsetzt. Aufklärung sollte so (…) eine Orientierungshilfe bei der Bewältigung ungelöster Lebens- und Handlungsprobleme sein.“ Siehe: Willi Oelmüller: Die unbefriedigte Aufklärung. Beiträge zu einer Theorie der Moderne von Lessing, Kant und Hegel. Frankfurt am Main, 1979. S. I.
99) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Literaturkritik
100) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kunstkritik
101) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Architekturkritik
102) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Theaterkritik
103) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Filmkritik
104) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Religionskritik
105) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturkritik
106) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaftskritik
107) Vgl. hierzu meinen Text: „Der moderne Nationalismus als eine politische Religion – Über die Konstruktion der Nation im Zeitalter des modernen Nationalismus“. In dem Text vertrete ich die These, daß nicht nur die radikalisierten Ideologien des extremen 20. Jahrhunderts den Charakter einer Politischen Religion haben, sondern daß darüber hinaus die Idee der Nation, des Nationalismus und des Nationalstaats den Charakter einer Politischen Religion hat, deren Radikalisierung eine wesentliche Grundlage sowohl der totalitären Ideologien, als auch der Verbrechen des extremen 20. Jahrhunderts bildet. Das Aufkommen der Politischen Religion des Nationalismus und deren erlangter kulturellen Hegemonie bedeuten das Ende des Zeitalters der Aufklärung. Das dem Text zugrundeliegende Erkenntnisinteresse ist es, zu einer Überprüfung und Revision von politischen Ideen anzuregen, die sich im historischen Prozeß als problematisch erwiesen haben, und um den Möglichkeitsraum für die Entwicklung von Alternativen für eine zukünftige friedliche Weltgesellschaft jenseits der Idee der Nation und des Nationalstaates zu eröffnen. Nach der Unterbrechung durch das extreme 20. Jahrhundert ist eine Wiederaufnahme und Neubegründung des Projekts der Aufklärung angesagt, und auf einem neuen und erweiterten Wissens- und Erkenntnisfundament kann ein neues, zweites und nun globales Zeitalter der Aufklärung begründet werden. Ebenso wie im Zeitalter der Aufklärung stellt sich auch heute die Frage: „Wie klärt man Menschen so auf, dass sie aufgeklärt sein wollen?“
Zu lesen ist dieser Text auf meiner Internetseite:
https://manfred-suchan.jimdosite.com/geschichtspolitik
108) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Identität
109) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vilnius
110) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/UNESCO-Welterbe
111) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Klassizismus
112) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Griechischer_Tempel
113) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Technischer_Fortschritt
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Fortschritt
113a) Die Utopie vom „Neuen Menschen“ ist Bestandteil des wissenschaftlich-technischen Fortschrittsglaubens des Zeitalters der Moderne und des Glaubens der unbegrenzten Beherrschbarkeit und Gestaltbarkeit der Natur und der Gesellschaft einschließlich der inneren und äußeren Natur des Menschen im Industriezeitalter. Diese haben den Charakter eines Heilserwartungskultes
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heilserwartung
und einer Erlösungsreligion
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Erlösung
mit eschatologischer
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Eschatologie
Endzeiterwartung und können somit als eine Religion
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Religion
des technischen Zeitalters auf Grundlage technischer Rationalität und Instrumenteller Vernunft angesehen werden.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Instrumentelle_Vernunft
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Horkheimer#Kritik_der_instrumentellen_Vernunft
Und: Max Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. 1974, Frankfurt am Main. Die instrumentelle Vernunft und ihre Kritik bildet die analytische Schlüsselkategorie der Kritischen Theorie der vom Sozialphilosophen Max Horkheimer (1895-1973) gegründeten Frankfurter Schule, die auf Grundlage interdisziplinärer geistes- und gesellschaftswissenschaftlicher Analysen eine Synthese von Gesellschaftskritik und Kulturkritik leistet.
Eine Kritik des Zeitalters der Moderne und insbesondere des Industriezeitalters muß daher nicht nur Kulturkritik und Gesellschaftskritik, sondern auch Religionskritik umfassen.
Vgl. Anmerkung 200.
114) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Technologische_Singularität
Vgl. auch Anmerkung 200.
115) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weisheit
116) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tugend
117) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Großfürstliches_Schloss_Vilnius
118) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Großfürstentum_Litauen
119) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gediminas
120) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/19._Jahrhundert
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Langes_19._Jahrhundert
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/20._Jahrhundert
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurzes_20._Jahrhundert
Vgl. des Weiteren: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, 1995.
121) Die Gesamtzahl der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft im extremen 20. Jahrhundert schätzt Uwe Friesen auf insgesamt mehr als 150 Millionen Tote.
Vgl.: Uwe Friesen: Der Krieg als Mittel für den Frieden, oder: Mit Gewalt gegen Gewalt? S. 5. In: Der Chacokrieg. Reflexionen zum 80. Jubiläum des Friedensschlusses, 1935 – 2015 (= Jahrbuch für Geschichte und Kultur der Mennoniten in Paraguay, Jahrgang 16, Oktober 2015). S. 5-10.
Der Politikwissenschaftler Zbigniew Brzezinski schätzt die Gesamtzahl der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft im extremen 20. Jahrhundert auf 187 Millionen.
Zitiert nach: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, 1995. S. 26.
122) Siehe: Habbo Knoch: Geschichte in Gedenkstätten. Theorie-Praxis-Berufsfelder. Tübingen, 2020. S. 190 und 196.
123) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Museum_der_Okkupationen_und_Freiheitskämpfe
124) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Litauisch-Weißrussische_Sozialistische_Sowjetrepublik
125) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zweite_Polnische_Republik
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Polnisch-Litauischer_Krieg
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Mittellitauen (Staat)
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Litauisch-polnische_Beziehungen#Zwischenkriegszeit
Des Weiteren: https://de.wikipedia.org/wiki/Zweite_Polnische_Republik#Litauen_und_Ukraine
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Międzymorze
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Zwischenkriegszeit#Bewaffnete_Auseinandersetzungen
126) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/NKWD
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Großer_Terror_(Sowjetunion)#Ethnische_Säuberungen
Auf Wikipedia fehlt ein Artikel zu den sogenannten „nationalen Operationen“ des NKWD.
127) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geheime_Staatspolizei
128) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sicherheitsdienst_des_Reichsführers_SS
129) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/KGB
130) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Staatliches_Jüdisches_Museum_Gaon_von_Vilnius
131) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust_in_Litauen
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust
Das Thema „Holocaust“ wird in verschiedenen Ländern, darunter auch der Bundesrepublik Deutschland zum Vorwand genommen, die Meinungsfreiheit
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Meinungsfreiheit
und die Wissenschaftsfreiheit
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftsfreiheit
auf juristischem Wege einzuschränken, indem eine sogenannte „Holocaustleugnung“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Holocaustleugnung
zu einem strafrechtlich relevanten Verbrechen deklariert wird.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetze_gegen_Holocaustleugnung
Das Thema „Holocaust“ erhält so den Charakter eines geschichtspolitischen Dogmas, bei dem ein bestimmtes, vorgefertigtes Geschichtsbild vorgegeben wird, und ein allgemeiner herrschaftsfreier Diskurs wird erheblich eingeschränkt. Eine geschichtswissenschaftliche Bearbeitung des Themas ist so kaum möglich, denn die Grundlage jeden wissenschaftlichen Vorgehens ist die permanente Infragestellung und Überprüfung des bisherigen, als sicher geglaubten Wissens- und Erkenntnisstandes. Die gilt ausnahmslos auch für die Geschichtswissenschaft. Das bedeutet, daß sämtliche vorgetragenen Argumente sorgfältig geprüft werden müssen und gegebenenfalls mit gut begründeten, nachvollziehbaren und überzeugenden Argumenten widerlegt werden müssen.
Wie ideale Kommunikationsbedingungen und Kommunikationsverhältnisse aussehen können, dazu erteilt der Philosoph Jürgen Habermas Auskunft.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Habermas
Im Zentrum der „Theorie des kommunikativen Handelns“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_des_kommunikativen_Handelns
Sowie: Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt am Main, 1981.
von Jürgen Habermas steht der allgemeine herrschaftsfreie Diskurs,
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Diskurs
in dem ausschließlich der zwanglose Zwang des besseren und überzeugenderen Arguments gilt, nicht jedoch die Anpassung an und die Unterordnung unter den Konsens eines Mainstreams. Nach Auffassung des Philosophen Jürgen Habermas unterscheidet sich der wahre gesellschaftliche Konsens vom falschen durch die symmetrische Verteilung der Chancen aller möglichen Beteiligten an dessen Teilnahme und das Fehlen jeglicher Art von Zwängen, sodaß „durch eine Gleichverteilung der Chancen, Deutungen, Behauptungen, Erklärungen und Rechtfertigungen aufzustellen und deren Geltungsansprüche zu begründen oder zu widerlegen, die Grundlage dafür geschaffen werden, daß keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt“.
Siehe: Jürgen Habermas: Zur Konsenstheorie der Wahrheit. Wahrheit von Aussagen, Wahrhaftigkeit von Äußerungen, Richtigkeit von Handlungen. S. 137. In: Jürgen Habermas, Niklas Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung? Frankfurt am Main, 1971. S. 123-141.
Gemäß der von Jürgen Habermas vertretenen deliberativen Demokratietheorie
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Deliberative_Demokratie
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratietheorie
sind nur solche gesellschaftlichen Entwicklungen zustimmungsfähig und können Geltung beanspruchen, die das Resultat eines Deliberationsprozesses sind, der den Bedingungen der Gleichheit aller Teilnehmer, der Offenheit der Agenda und der Möglichkeit der Infragestellung geltender Diskursregeln unterliegt.
Vgl.: Hubertus Buchstein: Jürgen Habermas. In: Peter Massing, Gotthard Breit (Hg.): Demokratie-Theorien. Von der Antike bis zur Gegenwart. Bonn, 2005. S. 253-260.
Die deliberative Demokratietheorie postuliert, daß die politischen Überzeugungen von Bürgern zugleich aufklärungsbedürftig als auch aufklärungsfähig sind, was durch die politische Kommunikation der Bürger untereinander erfolgt. Damit gründet sie auf dem diskurstheoretischen Grundsatz der „Theorie des kommunikativen Handelns“ von Jürgen Habermas, nach dem genau die Regelungen Legitimität beanspruchen dürfen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten.
Ein juristisches Vorgehen schafft hingegen ein Gesinnungsstrafrecht:
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gesinnungsstrafrecht
Geschichtliche Ereignisse sollten von Historikern und Wissenschaftlern bearbeitet werden, und nicht von Juristen und Gerichten. Zwischen Beiden besteht ein grundsätzlicher Unterschied bezüglich des methodischen Vorgehens und des Erkenntnisinteresses.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Erkenntnisinteresse
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Erkenntnis_und_Interesse
Aufgabe und Erkenntnisinteresse der Geschichtswissenschaft ist nicht die Beurteilung, sondern das Verstehen, einschließlich des Verstehens all dessen, was völlig unverständlich erscheint. Das Erkenntnisinteresse der Jurisprudenz ist ein gänzlich anderes, aufgrund ihrer Entstehung in den frühen Hochkulturen als Herrschaftstechnik, und ihre Aufgabe liegt in der Zuweisung individueller Schuld mit dem Ziel individueller Bestrafung zum Zweck der Machtdemonstration des Herrschers und der Unterwerfung des Delinquenten unter die cephale und hierarchische Herrschaft des Staates.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Frühe_Hochkulturen
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Keilschriftrecht#Gesetzgebung
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Halsgerichtsbarkeit
Die von Gerichten und Tribunalen gewonnenen Informationen sind für die Geschichtswissenschaften unbrauchbar und wertlos. Zudem beseitigen Gerichte und Tribunale in zahlreichen Fällen durch Justizmord
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Justizmord
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Todesstrafe
Zeitzeugen, die für die geschichtswissenschaftliche Forschung von großem Wert sind.
Im Rahmen der Studentenbewegung ist noch die Abschaffung des Strafrechts und jeglichen Bestrafens gefordert worden, doch heute wird die Herrschaftstechnik das Bestrafen wieder ausgeweitet.
Juristen sind davon überzeugt, eine dogmatische Lehre zu beherrschen, die es ihnen gestattet, sich zu allen nur denkbaren Themen kompetent zu äußern, und auf dieser Grundlage sämtliche Probleme allgemeinverbindlich regeln und lösen zu können, doch tatsächlich haben sie von nichts wirklich eine Ahnung.
132) https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Ponary
133) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kollaboration
134) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Einsatzgruppen_der_Sicherheitspolizei_und_des_SD
135) Vgl.: https://de.metapedia.org/wiki/Einsatzgruppen_der_Sicherheitspolizei_und_des_SD
136) Siehe: Habbo Knoch: Geschichte in Gedenkstätten. Theorie-Praxis-Berufsfelder. Tübingen, 2020. S. 63.
137) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ghetto#Jüdische_Wohnbezirke/Ghettos_unter_dem_Nationalsozialismus
138) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Völkermord
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Demozid
139) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vergleichende_Völkermordforschung
140) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Holocaustforschung
141) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialismus
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/NS-Forschung
142) Eigenartigerweise existiert auf Wikipedia kein Artikel zum Thema NS-Verbrechen, obwohl es heute gerade die NS-Verbrechen sind, die beim Thema NS-Herrschaft in besonderem Maße wahrgenommen und thematisiert werden. Tatsächlich werden die NS-Verbrechen überwiegend zergliedert in unzusammenhängende Einzelteile dargestellt. Die NS-Verbrechen müssen so unbegreifbar und unverstehbar bleiben. Doch die Aufgabe der Geschichtswissenschaft ist das Verstehen, insbesondere all dessen, was völlig unverständlich erscheint. Der Geschichtswissenschaftler Eric Hobsbawm definiert die Aufgabe „des Historikers, dessen eigentliche Aufgabe nicht die Beurteilung ist, sondern vielmehr das Verstehen – sogar das Verstehen all dessen, was völlig unverständlich erscheint. (…) Es ist das Verstehen, das uns allen schwerfällt.“
Siehe: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, 1995. S. 19.
Verstehbar werden die NS-Verbrechen in ihrer Gesamtheit, wenn man zu deren Analyse die Kategorie des „Maßnahmenstaates“ des Juristen und Politikwissenschaftlers Ernst Fraenkel (1898-1975) verwendet. Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Fraenkel_(Politikwissenschaftler)
Sowie: Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat. Recht und Justiz im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main, 1984.
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Doppelstaat
In dieser Analyse der Herrschaft im NS-Staat, die zum Jahreswechsel 1940/1941 erstmals veröffentlicht wurde, unterscheidet Fraenkel die fortexistierenden Institutionen eines legalen „Normenstaates“, dessen Handeln sich an Gesetzen orientiert, von den neu geschaffenen Institutionen eines extralegalen „Maßnahmenstaates“ als Instrument willkürlicher Machtentfaltung und enthemmter Gewaltausübung. Als historische Beispiele für Institutionen des „Maßnahmenstaates“ können aufgeführt werden insbesondere die Konzentrationslager, des Weiteren die SS, die Gestapo, der SD, das RSHA, die „Aktion T4“, die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. Der „Maßnahmenstaat“ kann als eine radikalisierte Form „Totaler Institutionen“ und der in diesen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“ angesehen werden, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen.
Fast nirgendwo wird in der Geschichtswissenschaft dieses Modell von Ernst Fraenkel für die geschichtswissenschaftliche Analyse der NS-Herrschaft und insbesondere der NS-Verbrechen verwendet, was mir unverstehbar erscheint.
143) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Machtergreifung
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie_der_nationalsozialistischen_Machtergreifung
Entgegen dem Mythos einer „legalen Revolution“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Legalitästaktik
hatte der Prozeß der Etablierung der NS-Herrschaft tatsächlich den Charakter einer Folge zahlreicher Staatsstreiche gegen den Text, die Intention und den Geist der Verfassung.
144) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Novemberpogrome_1938
145) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Sachsenhausen
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Konzentrationslager
Das Konzentrationslager Sachsenhausen war Musterlager und Prototyp sämtlicher NS-KZ, und zudem hatte es eine zentrale Funktion und Sonderstellung im gesamten System der NS-KZ, denn es war zugleich Ausbildungs- und Übungslager für das KZ-Personal sämtlicher NS-KZ, sowie Sitz der zentralen Verwaltung sämtlicher NS-KZ. In Gebäude 17, einem im Jahre 1936 errichteten ehemaligen Gestapo- und Lagergefängnis, gibt es eine Ausstellung zur Geschichte des KZ Sachsenhausen und dessen Disziplinar- und Strafregime. Das KZ Sachsenhausen war im Juli 1936 auf Befehl Heinrich Himmlers
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Himmler
als „vollkommen neuzeitliches und modernes und jederzeit erweiterbares“ Lager errichtet worden. Mit seinem dreieckigen Grundriß wurde das Lager nach dem architektonischen Modell einer panoptischen Anlage entworfen. Trotz des dem KZ Sachsenhausen zugedachten Modellcharakters wurde der dreieckige Grundriß nicht auf weitere KZ übertragen, denn entgegen Himmlers Erwartungen erwies sich das Modell als nicht beliebig erweiterbar.
Das Zentrum der panoptischen Anlage des Konzentrationslagers Sachsenhausen bildet der Turm A über dem Eingangstor. Im Turm A gibt es eine Ausstellung, in der dargestellt wird, daß sich das NS-Regime mit dem KZ Sachsenhausen als „vollkommen neuzeitlichem und modernem und jederzeit erweiterbarem“ Musterlager der gesamten Welt präsentieren und empfehlen wollte, einer Welt, in der das Lager im extremen 20. Jahrhundert als Totaler Institution zur zweckrationalen Verwaltung von Menschenmassen in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen schon längst zum globalen Standard geworden war, und als Bestandteil des extralegalen „Maßnahmenstaates“ erlangt die Totale Institution des Lagers in Gestalt des NS-KZ ihre idealtypische Vollendung, denn wir können in der Ausstellung lesen: „Das Muster-KZ Sachsenhausen sollte auf die vielen Besucher einen gepflegten Eindruck machen. Nicht nur internationale Delegationen von Politikern, Militärs, Journalisten, Wirtschaftsvertretern oder aber auch Forschern suchten das `KZ bei der Reichshauptstadt‘ auf. Entsprechend repräsentativ waren auch die Büroräume des höheren Lagerpersonals gestaltet“. In der Ausstellung werden Fotos gezeigt, auf denen zu sehen ist, wie insbesondere ausländische Delegationen durch das Musterlager geführt werden. Offensichtlich war das NS-Regime davon überzeugt, insgesamt in seinem Herrschaftsbereich ein „vollkommen neuzeitliches und modernes“ Zukunftsmodell des Regierens moderner Massengesellschaften zur Nachahmung für die gesamte Welt zu entwickeln, wobei den KZ eine herausragende Bedeutung zukam.
Daher sollte das KZ-Sachsenhausen bei einer Befassung mit dem Thema NS-KZ-System in besonderem Maße Berücksichtigung finden, und idealerweise beginnt man hier mit einem Einstieg in diesen Themenkomplex. Tatsächlich bietet die Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen eine vergleichsweise große Vielzahl von Ausstellungen zu Teilaspekten des Themenkomplexes, wie man sie in dieser Vielzahl, Umfang und Qualität in den meisten weiteren Gedenkstätten zum Thema NS-KZ in Europa nicht findet. Eine Befassung mit dem Thema NS-KZ ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich: Wir befinden uns im Zentrum des NS-Maßnahmenstaates, der das Wesen und die Essenz der NS-Herrschaft bildet, und im Wesentlichen fanden hier die NS-Verbrechen statt.
Zudem sind die NS-KZ ein idealtypisches Beispiel für das Lager als einer Totalen Institution zur zweckrationalen Verwaltung, Kontrolle und Zurichtung von Menschenmassen, und die Totale Institution des Lagers in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen ist ein charakteristisches und konstituierendes Element des 20. Jahrhunderts als einem extremen Jahrhundert, ein Alleinstellungsmerkmal neben weiteren (wie die Ethnische Säuberung, der Ausnahmezustand, der „Doppelstaat“, die totale Mobilmachung, der totale industrielle Krieg) die dieses 20. Jahrhundert von anderen Jahrhunderten unterscheiden. Somit ist das NS-KZ ein idealtypisches Beispiel für die Totale Institution als solche, denn durch die bis ins Extrem gesteigerte Radikalisierung der Funktionsprinzipien Totaler Institutionen und des diese charakterisierenden „Besonderen Gewaltverhältnisses“, das generell auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielt, wird die Totale Institution zur Karrikatur zugespitzt, vor der Geschichte bloßgestellt und unrettbar diskreditiert. Aufgabe der Gedenk- und Erinnerungskultur ist jedoch überall die alternativlose Affirmation des jeweiligen, letztlich beliebigen Bestehenden, und dazu gehören Totale Institutionen, die für den „Normalbetrieb“ der Industriegesellschaft als unerläßlich und unverzichtbar angesehen werden. Deswegen muß die Gedenk- und Erinnerungskultur überall so gestaltet sein, daß die Verbrechen des extremen 20. Jahrhunderts, unter denen die NS-Verbrechen herausragen, nicht die Gegenwart affizieren. Die Verbrechen müssen als das grundsätzlich Andere, Erratische, Unerklärliche und Unverstehbare dargestellt und vermittelt werden, das die gesellschaftspolitische Gegenwart nicht affiziert. Meine These ist hingegen, daß das Zeitalter der Moderne und insbesondere die Industriegesellschaft im extremen 20. Jahrhundert kulminieren, diese in den Extremen ihre „vollkommen neuzeitliche und moderne“ idealtypische Ausprägung erlangen und daß deren Geschichte aufgrund deren Funktionslogik darauf hinausläuft. Konsequenz aus dieser Geschichte wäre also, sämtliche bisherigen Grundlagen der Gesellschaft und der Politik einer Revision zu unterziehen, mit dem Ziel, daß ein konsequenter historischer Bruch mit dem extremen 20. Jahrhundert erfolgt und die Gesellschaft und die Politik auf andere, neue Grundlagen gestellt werden.
146) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gedenkstätte_und_Museum_Sachsenhausen
147) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konferenz_von_Évian
148) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Madagaskarplan
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Britisches_Uganda-Programm
149) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Generalgouvernement
150) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Einsatzgruppen_der_Sicherheitspolizei_und_des_SD
151) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Völkermord
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Demozid
Die wissenschaftliche Erforschung von Genoziden leistet die Vergleichende Völkermordforschung:
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vergleichende_Völkermordforschung
152) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wannseekonferenz
153) Siehe: https://www.ghwk.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Konferenz/protokoll-januar1942_barrierefrei.pdf
Auf Grundlage einer geschichtswissenschaftlichen Dokumentenkritik werden ernstzunehmende Zweifel an der Echtheit dieses Dokuments erhoben.
Vgl.: https://de.metapedia.org/wiki/Quelle_/_Das_Wannsee-Protokoll_-_Anatomie_einer_Fälschung
Sowie: Das „Wannsee-Protokoll“. In: Rolf Kosiek, Olaf Rose (Hg.): Der große Wendig. Richtigstellungen zur Zeitgeschichte. Band 2. (= Wigbert Grabert (Hg.): Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Nachkriegsgeschichte, Band 37). Tübingen, 2. Auflage 2006. S. 102 – 107.
Im Internet ist dieses Buch als PDF-Datei erhältlich:
154) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Endlösung_der_Judenfrage
155) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_Reinhardt
Die „Aktion Reinhard“ kann angesehen werden als die Anwendung der „Aktion T4“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Krankenmorde_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4#Personelle_Kontinuitäten
auf den Fall einer Ethnischen Säuberung unter besonderen Begleitumständen während des Zweiten Weltkrieges.
156) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager
157) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Mémorial_de_la_Shoah
158) Wikipedia versucht, auf diese Frage eine Antwort zu finden:
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wer_ist_Jude?
Im Gegensatz zu anderen Religionen verstehen sich Juden nicht nur als Religions- und Glaubensgemeinschaft
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Religion
sondern zudem als ein (von Gott auserwähltes) Volk. Juden werden jedoch nicht geboren, sondern gemacht, und dies ist eine Frage von Identitätspolitik
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Identitätspolitik
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Identität#Politische_und_soziologische_Identitätsbegriffe
Der Ägyptologe und Religionswissenschaftler Jan Assmann erklärt in seinem Buch: „Totale Religion“ die Besonderheiten der jüdischen Identitätskonstruktion: „so schwankt die jüdische Identität zwischen politischer, religiöser und ethnischer Definition. Das ist, soweit ich sehe, ein ziemlich einzigartiger Fall in der Menschheitsgeschichte. Ethnische Identität ist eine Frage der Abstammung (…), politische Identität ist eine Frage von Assoziation und Dissoziation, des Zusammenschlusses und des Ausschlusses, der Gruppenbildung und der Abgrenzung nach außen, und religiöse Identität ist eine Frage des Kultes und der Sitte (…). Das Besondere der jüdischen Situation ist die Verschmelzung dieser drei Identitätskriterien. Die Symbolfigur Abraham steht für die Verschmelzung von religiöser und ethnischer, die Symbolfigur Mose für die Verschmelzung von religiöser und politischer Identität. Durch die mosaische Verschmelzung wird auch die Religion eine Frage von Assoziation und Dissoziation. Dadurch entsteht eine Religion völlig neuen Typs, die dann zum Modell für die neuen Weltreligionen wird. Das charakteristische Kennzeichen dieser neuen Religionsform ist ihr politischer Charakter.“ Siehe: Jan Assmann: Totale Religion. Wien, 2. Auflage 2017. S. 145.
Somit hat die jüdische Identitätskonstruktion eines jüdischen Volkes als einer imaginierten quasi-natürlichen transhistorischen Einheit Ähnlichkeiten mit dem modernen Nationalismus als einer politischen Religion. Vgl. hierzu meinen Text: „Der moderne Nationalismus als eine politische Religion – Über die Konstruktion der Nation im Zeitalter des modernen Nationalismus“. Zu lesen ist dieser Text auf meiner Internetseite:
https://manfred-suchan.jimdosite.com/geschichtspolitik/
Religionen berufen sich auf die Religionsfreiheit, die den Rang eines Grund- und Menschenrechtes erlangt hat.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Religionsfreiheit
Die Religionsfreiheit verstehen die Religionen als einen Freibrief, der ihnen alles erlaube. Unter dem Vorwand der Religionsfreiheit pflegen die Religionen absurde und irrationale Glaubensvorstellungen, Rituale und Kulte, sie halten ihre Anhänger in geistiger Unfreiheit, und insbesondere sind sie zunehmend Ursache von Gewalt. Zudem mißachten Religionen in vielen Fällen Grund- und Menschenrechte, Beispiel Genitalverstümmelung.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision#Kontroversen_um_die_Beschneidung_Minderjähriger
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Weibliche_Genitalverstümmelung#Religion
Die Kritik von Religionen ist Aufgabe und Gegenstand der Religionskritik.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Religionskritik
159) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Juden_in_Osteuropa
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Ostjuden_und_Westjuden
160) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ansiedlungsrayon
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Juden_in_Russland
161) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nation
Sowie: Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. 2001, München.
162) Vgl.: Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalstaat
163) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zionismus
Des Weiteren: https://de.wikipedia.org/wiki/Balfour-Deklaration
164) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Palästina_(Region)
165) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Antisemitismus
Die Historikerin und Philosophin Hannah Arendt
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt
hebt in ihrem Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Elemente_und_Ursprünge_totaler_Herrschaft
Antisemitismus als bedeutendsten Aspekt zur Erklärung der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hervor. Zweifellos findet diese Sichtweise und Gewichtung in den persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen Arends als Zeitzeugin und ihrer persönlichen Betroffenheit von den historischen Entwicklungen ihre Begründung. So wurde im Jahre 1937 Arendt die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1940 wurde sie in Frankreich als „Unerwünschte Person“ und als „Feindliche Ausländerin“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Enemy_Alien
in dem Internierungslager
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Internierungslager
„Camp de Gurs“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Camp_de_Gurs
interniert. In ihrem Essay „Wir Flüchtlinge“ schreibt sie dazu, daß „die Zeitgeschichte eine neue Gattung von Menschen geschaffen hat – Menschen, die von ihren Feinden ins Konzentrationslager und von ihren Freunden ins Internierungslager gesteckt werden“. Nach etwa einem Monat gelang ihr mit wenigen anderen die Flucht aus dem Internierungslager Gurs.
Zweifellos kann man zur Erklärung der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts auch andere Aspekte hervorheben und andere Gewichtungen vornehmen und somit eine andere Sichtweise auf die historischen Ereignisse entwickeln. Bei meiner historischen Analyse der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hebe ich Nationalismus als bedeutendsten Aspekt zur Erklärung der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hervor. Vgl. hierzu meinen Text: „Der moderne Nationalismus als eine politische Religion – Über die Konstruktion der Nation im Zeitalter des modernen Nationalismus“. Zu lesen ist dieser Text auf meiner Internetseite:
https://manfred-suchan.jimdosite.com/geschichtspolitik/
Heute ist der Begriff „Antisemitismus“ zu einem populären Modebegriff geworden, der zur Erklärung nahezu sämtlicher gesellschaftspolitischen Phänomene und Entwicklungen herangezogen wird.
166) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Imperium Romanum
167) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdischer_Krieg
168) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Eroberung_von_Jerusalem_(70_n._Chr.)
169) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnische_Säuberung
170) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Totale_Institution
Der Begriff der „Totalen Institution“ wurde insbesondere vom Soziologen Erving Goffmann (1922-1982) geprägt, der in seiner Studie: „Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen“ Merkmale totaler Institutionen aufführt. Vgl.: Erving Goffmann: Über die Merkmale totaler Institutionen. In: Derselbe: Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt am Main, 1972. S. 13-23.
Beispiele Totaler Institutionen sind: das Gefängnis, das Lager in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen, die Kaserne, die Wehrpflicht, die Fabrik, die Krankenanstalt, die Schule. Totale Institutionen schaffen einen Raum der Inklusion und der Exklusion und sie sind insbesondere charakterisiert durch die in ihnen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen. Der „Maßnahmenstaat“ nach Ernst Fraenkel kann als eine radikalisierte Form Totaler Institutionen und der in diesen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen, angesehen werden.
In ihren verschiedenen Varianten sind „Totale Institutionen“ überall anzutreffen, und sie werden als selbstverständliche Grundlage der Gesellschaft und als Bestandteil gesellschaftlicher und staatlicher Herrschaft akzeptiert und hingenommen, wobei im Rahmen der totalitären Gesellschafts- und Staatsidee das Funktionsprinzip der Totalen Institutionen aus diesen heraus auf potentiell sämtliche Bereiche der Gesellschaft übertragen und angewendet wird. Ein Ende des Zeitalters des Totalitären und des Totalitarismus ist somit ohne die Überwindung und Abschaffung des Konzepts der Totalen Institutionen nicht zu haben, denn sie sind die Quellen, aus denen sich die Idee des Totalitären und die Praxis des Totalitarismus immer wieder neu über die gesamte Gesellschaft ausbreiten und die Menschen entsprechend zurichten kann. Die Abschaffung Totaler Institutionen bedeutet nichts anderes als aus dem extremen 20. Jahrhundert Konsequenzen zu ziehen und dessen Grundlagen einer Revision zu unterziehen. Totale Institutionen werden auch heute noch als selbstverständlich, als erforderlich und alternativlos für den „Normalbetrieb“ der Industriegesellschaft angesehen, aber tatsächlich sind sie Formen von organisiertem Verbrechen. Daß sich bestehende gesellschaftliche Zustände und Verhältnisse auch verändern und humanisieren lassen, zeigt das Beispiel der Ächtung und Abschaffung der Sklaverei,
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Abolitionismus
und mit einer entsprechenden Politik eines Abolitionismus lassen sich auch Totale Institutionen, insbesondere Gefängnisse, das Strafrecht und das Bestrafen abschaffen.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Abolitionismus_(Kriminologie)
171) Die Totale Institution des Lagers in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen ist die Totale Institution zur zweckrationalen Verwaltung, Überwachung, Kontrolle und Zurichtung von Menschenmassen, sie ist eine Erfindung des Zeitalters der Moderne, und sie ist ein Instrument der Industriegesellschaft.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Internierungslager
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Lager_(Camp)#Unfreiwilligkeit
Seinen Ursprung hat das Internierungslager in den Kolonien, wo es als Repressionsinstrument genutzt wurde. Im Ersten Weltkrieg wurden die zuvor diskreditierten Internierungslager der Kolonien erstmals in Europa eingesetzt. Mit dem Ersten Weltkrieg beginnt die Anwendung kolonialer Unterdrückungsmethoden in Europa selber, und Europäer werden nun Gegenstand kolonialer Unterdrückungsmethoden. „Der Erste Weltkrieg war ein wichtiges Laboratorium für das, was kommen sollte“, erklärt der Historiker Karl Schlögel in seinem Text:“ Bugwelle des Krieges“: „Hier wurden die Methoden und Praktiken des totalen Krieges erstmals in großem Stil erprobt. (…) Hier wurden Praktiken vervollkommnet, die man zuvor schon an der Peripherie des Imperialismus, in den Kolonien, erprobt hatte – vom Konzentrationslager über Grenzziehung mit dem Rasiermesser bis zur lässigen Routine der Massenexekution; der Rassismus wanderte, wie Hannah Arendt gezeigt hatte, von der Peripherie ins Mutterland zurück“. Siehe: Karl Schlögel: Bugwelle des Krieges. S. 185-186. In: Stefan Aust, Stephan Burgdorff (Hg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. 2003, Bonn. S. 194-195.
So kann die Strafkolonie als Ursprung und Prototyp des Konzentrationslagers angesehen werden.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Strafkolonie
Als ein rezentes Beispiel für ein Konzentrationslager kann das Gefangenenlager Guantanamo aufgeführt werden.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenenlager_der_Guantanamo_Bay_Naval_Base
Die Totale Institution des Lagers als moderne Form terroristischen Zwangs gegen große Menschengruppen durchzieht und prägt die Geschichte des 20. Jahrhunderts, und sie ist eins der wesentlichen und charakteristischen Elemente, die das 20. Jahrhundert zu einem extremen Jahrhundert machen. Die Totale Institution des Lagers entstand am Vorabend des 20. Jahrhunderts, und seine Laufbahn ist noch nicht zuende, und es liefert ein Beispiel, daß „die Moderne gerade in ihrer Normalität Ziehvater der Exzesse dieses Jahrhunderts ist“, wie der Gesellschaftswissenschaftler Gerhard Armanski in seinem Buch: „Maschinen des Terrors. Das Lager (KZ und GULAG) in der Moderne“ analysiert. Siehe: Gerhard Armanski: Maschinen des Terrors. Das Lager (KZ und GULAG) in der Moderne. Münster, 1993. S. 18.
172) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ausnahmezustand
Eine kurze Studie zum Thema „Ausnahmezustand“ hat der Philosoph Giorgio Agamben vorgelegt: Derselbe: Ausnahmezustand. Frankfurt am Main, 2004. Es fehlt jedoch bislang noch eine umfassende Weltgeschichte des Ausnahmezustands.
173) Vgl.: Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat. Recht und Justiz im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main, 1984.
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Doppelstaat
In dieser Analyse der Herrschaft im NS-Staat, die zum Jahreswechsel 1940/41 erstmals veröffentlicht wurde, unterscheidet der Jurist und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel (1898-1975) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Fraenkel_(Politikwissenschaftler)
die fortexistierenden Institutionen eines legalen „Normenstaates“, dessen Handeln sich an Gesetzen orientiert, von den neu geschaffenen Institutionen eines extralegalen „Maßnahmenstaates“ als Instrument willkürlicher Machtentfaltung und enthemmter Gewaltausübung. Als historische Beispiele für Institutionen des „Maßnahmenstaates“ können aufgeführt werden insbesondere die Konzentrationslager, des Weiteren die SS, die Gestapo, der SD, das RSHA, die „Aktion T4“, die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. Der „Maßnahmenstaat“ kann als eine radikalisierte Form „Totaler Institutionen“ und der in diesen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“ angesehen werden, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen.
174) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_totale_Mobilmachung
175) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Totaler_Krieg
176) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Auswanderung
177) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hapag-Hallen
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Steubenhöft
178) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Auswandererhaus
179) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Red_Star_Line_Museum
180) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/La_Cité_de_la_Mer
181) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Immigration_Act_von_1924
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Enemy_Alien#Zweiter_Weltkrieg_3
182) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konferenz_von_Évian
183) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Évian-les-Bains
184) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Diplomatie
185) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Beziehungen
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Politik
Die Begriffe „Internationale Politik“ und „Internationale Beziehungen“ sind staatsfixiert und setzen die Idee der Nation und des Nationalstaats als eine quasinatürliche Tatsache voraus.
Der Begriff „Global Governance“ bzw. „Weltinnenpolitik“ oder „Erdpolitik“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Global_Governance
bietet dahingegen ein anderes Modell eines Mehrebenensystem einer Weltinnenpolitik ohne Weltregierung, ein Modell einer politischen Verfassung einer dezentrierten Weltgesellschaft, einem Mehrebenensystem, dem im Ganzen der staatliche Charakter aus guten Gründen fehlt. Dieses Mehrebenensystem setzt sich zusammen aus einer Vielzahl unterschiedlicher miteinander in Wechselwirkung stehenden politischen Prozessen, Ebenen und Akteuren, wodurch eine Multiebenendiversität des Politischen im Rahmen eines Mehrebenensystems einer dezentrierten Weltgesellschaft entsteht.
Es entsteht somit ein völlig neues Modell von Politik, das sich von historisch überholten Politikformen verabschiedet, deren Scheitern in Anbetracht des extremen 20. Jahrhunderts unübersehbar geworden ist.
186) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Völkerrecht
Die Transformation des Völkerrechts als einem Recht von Staaten zu einem Weltbürgerrecht als einem Recht der Menschen und der Menschheit auf Grundlage allgemeiner und universeller Menschenrechte, sowie zu einem Weltverfassungsrecht, steht noch aus. Hierbei werden die individuellen Bürger als unmittelbare Subjekte des Völkerrechts anerkannt.
187) Siehe: Jürgen Habermas: Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie. S. 203. In: Derselbe: Politische Theorie (= Philosophische Texte Band 4). 2009, Frankfurt am Main. S. 176-208.
188) Siehe: Ebenda. S. 197-198.
189) Siehe: Ebenda. S. 208.
190) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenrechte
191) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Immanuel_Kant
192) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zum_ewigen_Frieden
193) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Reform_der_Vereinten_Nationen
194) Siehe: Jürgen Habermas: Der gespaltene Westen. 2004, Frankfurt am Main.
S. 134.
195) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zwischenkriegszeit
Auf Wikipedia fehlt ein Artikel zur Flüchtlingskrise in der Zwischenkriegszeit, ohne deren Berücksichtigung die späteren Entwicklungen unverständlich bleiben müssen.
196) Vgl. hierzu meinen Text: „Der moderne Nationalismus als eine Politische Religion – Über die Konstruktion der Nation im Zeitalter des modernen Nationalismus“. Zu lesen ist dieser Text auf meiner Internetseite: https://manfred-suchan.jimdosite.co/geschichtspolitik/
197) Siehe: Lutz Raphael: Imperiale Gewalt und mobilisierte Nation. Europa 1914-1945. 2014, Bonn. S. 17 und 36. Der Autor zeigt auf, wie sich zwei politische Ordnungsmodelle, Imperium und Nation, in Europa verbanden, wobei zwischen 1900 und 1945 im Zuge nationaler Mobilisierungen der Nationalismus radikalisierte und zur herrschenden Denkfigur wurde.
198) Siehe: Jürgen Kocka: Geschichte als Aufklärung? S. 92-94. In: Jörn Rüsen, Eberhard Lämmert, Peter Glotz (Hg.): Die Zukunft der Aufklärung. 1988, Frankfurt am Main. S. 91-98.
199) Siehe: Theodor Schieder: Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute. S. 91 und 98. In: Carl J. Burckhardt: Geschichte zwischen Gestern und Morgen. 1974, München. S. 73-102.
200) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Menschheitsgeschichte
Die Menschheitsgeschichte ist Bestandteil der Erdgeschichte und der Geschichte des Lebens auf dem Planeten Erde. Bedingung des Lebens auf dem Planeten Erde ist der geodynamisch fundierte evolutions-ökologische Prozeß, dessen Bestandteil das Leben auf dem Planeten Erde ist. Die Menschheitsgeschichte kann als die Geschichte der Ausbreitung und Ausdifferenzierung des anatomisch modernen Menschen Homo sapiens vor ca. 70.000 Jahren von seinem beim gegenwärtigen paläoanthropologischen Forschungsstand angenommenen Ursprung im östlichen Afrika über den gesamten Planeten Erde bis zur Gegenwart aufgefaßt werden. Hierbei hatten mehrere technologische Revolutionen weitreichende gesellschaftliche und ökologische Folgewirkungen, insbesondere die Prometheische Revolution, die Neolithische Revolution, die Industrielle Revolution und aktuell die Digitaltechnische Revolution. Die Menschheitsgeschichte endet mit dem Ende der Menschheit:
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ende_der_Menschheit
Aufgrund des weiteren Verlaufs der Erdgeschichte und der zukünftigen Geschichte des Lebens auf dem Planeten Erde auf Grundlage des geodynamisch fundierten evolutions-ökologischen Prozesses ist das Ende der Menschheit unvermeidbar. Das Einzige, was wir beeinflussen können, ist der Zeitpunkt, an dem das Ende der Menschheit eintritt. Wenn die Menschheit so weiter macht, wie bisher auf Grundlage ihrer technologischen Revolutionen, wird dieses Ende in sehr naher Zukunft eintreten. Auf Grundlage der natürlichen Verhältnisse auf dem Planeten Erde könnte die Menschheit hingegen potentiell noch etwa eine Milliarde Jahre fortexistieren.
Die Fundierung der Menschheitsgeschichte in der Geschichte des Lebens ist erforderlich, um die zukünftigen Entwicklungen nicht gänzlich den Protagonisten und Apologeten des Transhumanismus, des Posthumanismus und der Technologischen Singularität zu überlassen. Die Protagonisten und Apologeten des Transhumanismus, des Posthumanismus und der Technologischen Singularität haben insbesondere im Zuge der technokratischen Bologna-Reform weitgehend die Dominanz und Suprematie über die Wissenschafts- Forschungs- und Technologiepolitik erlangt.
Bei einer realistischen Sichtweise,
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Realismus_(Philosophie)
die aufgrund der Erfahrungen des extremen 20. Jahrhunderts angemessen ist, führt der wissenschaftlich-technologische Fortschritt auf Grundlage technischer Rationalität und instrumenteller Vernunft unter dem Postulat der Wertfreiheit
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wertfreiheit
nicht zur zweckoptimistisch verkündeten Besten aller möglichen Welten, sondern zur Ausweitung und Perfektionierung von Herrschaft über Individuen, Gesellschaft und Natur, einschließlich der inneren und äußeren Natur des Menschen, die nach dem Modell einer zu optimierenden Maschine zweckrational zugerichtet werden. Das Erkenntnisinteresse
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Erkenntnis_und_Interesse
des von Lobbyisten gesteuerten real-existierenden Wissenschaftsbetriebes besteht nicht darin, die Natur wie sie ist zu erforschen und zu verstehen, wie es Aufgabe der Naturwissenschaften sein sollte, sondern Wissenschaft soll als Technikwissenschaft die Herrschaft über die Natur und die Menschen vermehren und deren zweckrationale Zurichtung und Ausbeutung intensivieren.
In London gelingt es exzellent, dem breiten Publikum diesen antagonistischen Dualismus, der das Verständnis der modernen Naturwissenschaften prägt, anschaulich zu vermitteln, gegenüberzustellen und unübersehbar deutlich werden zu lassen. So vermittelt das Natural History Museum
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Natural_History_Museum
im Bestreben, die Natur wie sie ist, zu verstehen, das moderne geodynamisch fundierte evolutions-ökologische Weltbild, während das benachbarte Science Museum
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Science_Museum
Naturwissenschaft als Technikwissenschaft präsentiert. Beide Museen besuchte ich am 28.07.2022.
In ihrem Buch: „Digitalzeitalter – Digitalgesellschaft. Das Ende des Industriezeitalters und der Beginn einer neuen Epoche“ stellen die Wissenschaftler Oliver Stengel, Alexander van Looy und Stephan Wallaschowski die Auswirkungen der Digitaltechnischen Revolution auf den Menschen dar: „Digitale Technik wandelt den Menschen damit innerlich wie äußerlich und unterscheidet ihn grundlegend von Menschen der vorangegangenen Zeitalter. Der Mensch überlässt sich nicht mehr den blinden Mechanismen der natürlichen Evolution, er nimmt seine Evolution bewusst in die Hand, um seine natürlichen Mängel zu kompensieren oder um seine Fähigkeiten zu erweitern. Das ist ein biologischer Bruch mit der bisherigen Entwicklungsgeschichte der Gattung Mensch“. Siehe: Oliver Stengel, Alexander van Looy, Stephan Wallaschowski (Hg.): Digitalzeitalter – Digitalgesellschaft. Das Ende des Industriezeitalters und der Beginn einer neuen Epoche. Wiesbaden, 2017. S. 14.
Der Soziologe Thomas Lemke analysiert in seinem Buch: „Die Natur in der Soziologie. Gesellschaftliche Voraussetzungen und Folgen biotechnologischen Wissens“ das sich gegenwärtig wandelnde Verhältnis von Natur und Gesellschaft, und er zeigt auf, daß im Zuge der derzeit stattfindenden Digitaltechnischen Revolution in Verbindung mit der Bio- und Gentechnischen Revolution „die Idee einer natürlichen Abstammung aller Lebewesen tendenziell ersetzt wird durch die Vorstellung einer künstlichen Pluralität von Lebensformen, die eher Artefakte sind denn Naturwesen. Die molekularbiologische Redefinition von Leben als Text, die Fortschritte in der Biomedizin mit neuen Visualisierungstechniken von PET-Scans bis zur DNA-Analyse, die Transplantationsmedizin und die Reproduktionstechnologien – um nur einige wenige technologische Innovationen zu nennen – brechen mit der Vorstellung eines integralen Körpers. Der Körper gilt dabei weniger als organisches Substrat denn als molekulare Software, die gelesen und umgeschrieben werden kann“. Siehe: Thomas Lemke: Die Natur in der Soziologie. Gesellschaftliche Voraussetzungen und Folgen biotechnologischen Wissens. Frankfurt am Main, 2013. S. 163.
Im Zuge der Digitaltechnischen Revolution entsteht mit dem kommenden Internet der Dinge
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Internet_der_Dinge
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Ubiquitäres_Computing
auf globaler Ebene eine digitale Weltmaschine als dem künstlichen neuronalen Netz
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Künstliches_neuronales_Netz
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Neuroinformatik
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Deep_Learning
eines globalen digitalen Superorganismus, an dessen künstliche Intelligenz,
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Künstliche_Intelligenz
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Maschinelles_Lernen
die sich zur Superintelligenz
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Superintelligenz
entwickelt, in Kürze die Menschen selbst über Neurotechnik
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Neurotechnik
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Human_Brain_Project
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Neuro-Enhancement
mittels Gehirn-Computer-Schnittstellen
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Brain-Computer-Interface
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Erweiterte_Intelligenz
angeschlossen werden. Der Physiker und Philosoph Armin Grunwald stellt in seinem Buch: „Der unterlegene Mensch“ die sich daraus ergebenden Folgen für die Menschen dar: „Die Individuen würden zwar weiterhin gebraucht, hätten aber aus sich heraus keinen Wert mehr. Ihr Wert würde nur noch im Beitrag zum Kollektiv bestehen, im Dienst am globalen Gehirn. Menschen würden zu Endgeräten einer globalen Superintelligenz, mit der einzigen Daseinsberechtigung, diese zu füttern. (…) Dieser Superorganismus wäre sogar in der Lage, in den Kosmos zu expandieren“. Siehe: Armin Grunwald: Der unterlegene Mensch. Die Zukunft der Menschheit im Angesicht von Algorithmen, künstlicher Intelligenz und Robotern. München, 2019. S. 199.
Zudem dringen Nanotechnologien
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nanotechnologie
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Nanobiotechnologie
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Nanopartikel
Des Weiteren: https://de.wikipedia.org/wiki/Biokompatibilität_von_Nanomaterial
mit Nanomaschinen
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Molekulare_Maschine
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Molekulare_Nanotechnologie
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Nanobot
bis in die kleinsten Bereiche der belebten und unbelebten Materie einschließlich der Blutbahn des Menschen vor, um diese zu kolonisieren und zu steuern. Gleichzeitig unterwirft die stattfindende Biotechnische und Gentechnische Revolution das Leben selbst technologischer Manipulation und Steuerung, die die Möglichkeiten der Domestikation der Neolithischen Revolution und der Eugenik
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Eugenik
des extremen 20. Jahrhunderts weit übersteigen. Die Digitaltechnische Revolution und die Gentechnische Revolution laufen in einem technologischen Totalitarismus zusammen. Unter dem Titel: „Technologischer Totalitarismus“ bemühen sich verschiedene Autoren um eine Technikfolgenabschätzung
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Technikfolgenabschätzung
mit dem Anliegen, den technologischen Fortschritt zu humanisieren, doch ohne daß es ihnen gelingt, die gesamte Breite und Tiefe der Thematik zu erfassen. Vgl.: Frank Schirrmeister (Hg.) Technologischer Totalitarismus. Eine Debatte. Berlin, 2015.
Dieser technologische Totalitarismus wird bei Erreichen der Technologischen Singularität das auf dem Planeten Erde im Zuge eines geodynamischen evolutions-ökologischen Prozeß entstandene Leben einschließlich des Menschen, durch technische, künstlich geschaffene Lebensformen
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Künstliches_Leben
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Evolutionärer_Algorithmus
ablösen, wie es der Transhumanismus und der Posthumanismus in Aussicht stellen, mit dem Endziel, das Prinzip des Lebens ganz durch das Prinzip der Technik
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Technik
und der Maschine
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Maschine
zu ersetzen, denn nur der perfekten, überlegenen und siegreichen Technik, und nicht dem unzulänglichen, mangelhaften und schwächlichen biologisch-organischen Leben gehört die Zukunft sowohl auf dem Planeten Erde als auch im gesamten, noch von der Technik zu erobernden und zu kolonisierenden Weltraum. Zweifellos sind die Apologien der Protagonisten des Transhumanismus, des Posthumanismus und der Technologischen Singularität eine fundamentale Herausforderung sowohl für die Bioethik,
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Bioethik
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Ethik
als auch für die Wissenschaftsethik
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftsethik
und die Technikethik
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Technikethik
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Technikphilosophie
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Umweltverträglichkeitsprüfung
In seinem Buch: „Schlägt die Maschine den Menschen?“ stellt der Politikwissenschaftler Jürgen Bruhn die Planungen bedeutender Protagonisten und Apologeten des Transhumanismus, des Posthumanismus und der Technologischen Singularität vor: „Einige der bekanntesten Computer- und Robotikwissenschaftler wie Ray Kurzweil, seit Dezember 2012 Leiter der technischen Entwicklung bei Google, Hans-Peter Moravec, Gründer des Roboterunternehmens ‚Seegrid‘, Marvin Minsky, Robotikpionier und emeritierter Professor für Computer Science am Massachusetts Institute of Technology, Ralph Merkle, Nanotechnikwissenschaftler, der deutsche Jürgen Schmidhuber, Informatiker, Computerwissenschaftler und Leiter des Luganer Instituts für Künstliche Intelligenz, der seit 30 Jahren die Entwicklung künstlicher neuronaler Netze erforscht, und andere wissen genau, wie die neue künstliche Welt in Zukunft aussehen wird. Jedenfalls glauben sie es zu wissen. Diese Leute sind davon überzeugt, dass intelligente Maschinen noch in diesem Jahrhundert unsere Gesellschaft beherrschen werden, da ihre künstlichen Gehirne milliardenfach intelligenter sein werden als biologische Menschenhirne. Ray Kurzweil prophezeit sogar, dass der ‚nicht intelligente Kosmos‘ durch eine einzige universelle Künstliche Intelligenz nach dem Ende dieses Jahrhunderts aufgewertet wird und künstliche Wesen dann in einer beinahe perfekten digitalisierten transhumanen Welt leben werden. Jürgen Schmidhuber prognostiziert, in wenigen Jahrzehnten werde ein einziger Supercomputer über die gesamte rohe Rechenkraft der ganzen Menschheit verfügen. (…) Für Kurzweil gehen wir nach dem Erreichen der Singularität einer transhumanen Zivilisation im Universum entgegen, der Menschheit 3.0. Sein Ziel ist das ewige virtuelle Leben, die endgültige Loslösung vom biologischen Leben. Der biologische Mensch mit all seinen Fehlern, Trieben, Krankheiten und Begehrlichkeiten ist für Kurzweil eine Antiquiertheit. Es gilt, die Natur und die biologische Menschengattung abzuschaffen und eine künstliche Superzivilisation im Weltall zu gründen. Das schwebt auch Hans-Peter Moravec und John D. Bernal vor“. Siehe: Jürgen Bruhn: Schlägt die Maschine den Menschen? Baden-Baden, 2019. S. 55 und 78.
Aufgrund des Potentials der Künstlichen Intelligenz (KI) werden nach der Ansicht des Astrophysikers und ehemaligen Präsidenten der Royal Society Martin Rees, die er in seinem Text: „Die organische Intelligenz hat keine Zukunft“ vorstellt, „in einer langfristigen Evolutionsperspektive Menschen und alle ihre Gedanken nur ein vorübergehender und primitiver Vorläufer der tieferen Gedanken einer von Maschinen beherrschten Kultur sein, die sich in die ferne Zukunft erstreckt und sich weit über unsere Erde hinaus ausbreitet. Wir sind jetzt Zeugen der Frühstadien dieses Übergangs. (…) Das abstrakte Denken biologischer Gehirne (…) wird ein kurzer Vorläufer der leistungsfähigeren Erkenntnisvermögen des anorganischen, posthumanen Zeitalters sein“. Siehe: Martin Rees: Die organische Intelligenz hat keine langfristige Zukunft. S. 36-38. In: John Brockman (Hg.): Was sollen wir von Künstlicher Intelligenz halten? Die führenden Wissenschaftler unserer Zeit über intelligente Maschinen. Frankfurt am Main, 2017. S. 36-39.
In seinem Text: „Ich heiße jedenfalls unsere maschinellen Gebieter willkommen“ vertritt der Physiker Antony Garrett Lisi die Auffassung: „Wenn Maschinen zur Empfindungsfähigkeit aufsteigen – und das werden sie -, werden sie auch nach Darwin‘scher Manier um Ressourcen, Überleben und Fortpflanzung konkurrieren“. Siehe: Antony Garrett Lisi: Ich heiße jedenfalls unsere maschinellen Gebieter willkommen. S. 52. In: John Brockman (Hg.): Was sollen wir von Künstlicher Intelligenz halten? Die führenden Wissenschaftler unserer Zeit über intelligente Maschinen. Frankfurt am Main, 2017. S. 52-55.
In seinem Text: „Wenn du sie nicht unterkriegen kannst, schließ‘ dich ihnen an“ ist der Physiker Frank Tipler davon überzeugt: „Die Erde ist zum Untergang verurteilt. Astronomen wissen schon seit Jahrzehnten, dass die Sonne eines Tages die Erde verschlingen und die gesamte Biosphäre zerstören wird – unter der Annahme, dass das intelligente Leben die Erde nicht verlassen hat, bevor dies geschieht (…), und schließlich werden es die KIs und menschliche Uploads (…) sein, die den Weltraum kolonisieren. (…) Wenn dieser Untergang bevorsteht, wird jeder Mensch (…) keine andere Wahl haben, als zu einem menschlichen Upload zu werden. Und die Biosphäre (…) wird ebenfalls aufgeladen“. Siehe: Frank Tipler: Wenn du sie nicht unterkriegen kannst, schließ‘ dich ihnen an. S. 46 und 48. In: John Brockman (Hg.): Was sollen wir von Künstlicher Intelligenz halten? Die führenden Wissenschaftler unserer Zeit über intelligente Maschinen. Frankfurt am Main, 2017. S. 46-48.
Technologische Singularität, Transhumanismus und Posthumanismus haben den Charakter eines Heilserwartungskultes
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heilserwartung
und einer Erlösungsreligion
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Erlösung
mit eschatologischer
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Eschatologie
Endzeiterwartung und können somit als eine Religion
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Religion
des technischen Zeitalters auf Grundlage technischer Rationalität und Instrumenteller Vernunft angesehen werden.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Instrumentelle_Vernunft
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Horkheimer#Kritik_der_instrumentellen_Vernunft
Und: Max Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. 1974, Frankfurt am Main. Die instrumentelle Vernunft und ihre Kritik bildet die analytische Schlüsselkategorie der Kritischen Theorie der vom Sozialphilosophen Max Horkheimer (1895-1973) gegründeten Frankfurter Schule, die auf Grundlage interdisziplinärer geistes- und gesellschaftswissenschaftlicher Analysen eine Synthese von Gesellschaftskritik und Kulturkritik leistet.
Eine Kritik des Zeitalters der Moderne und insbesondere des Industriezeitalters muß daher nicht nur Kulturkritik und Gesellschaftskritik, sondern auch Religionskritik umfassen.
In seinem Text: „Der alte Traum vom Neuen Menschen: Ideengeschichtliche Perspektiven“ stellt der Theologe Gottfried Küenzlen die Idee vom Neuen Menschen als einen innerweltlich-säkularen Glauben im Zeitalter der Moderne dar: „Die Moderne hat (…) ihre eigene säkulare Glaubensgeschichte, bestimmt von säkular-diesseitigen Heilshoffnungen und Erlösungsversprechen. (…) In diesem ideen- und realgeschichtlichen Strom der säkularen Religionsgeschichte der Moderne ist auch die Hoffnung auf den Neuen Menschen verortet. Der Glaube an die Geschichte als innerweltlich-eschatologische Fortschrittsgeschichte, der Glaube an die Politik als politischen Messianismus und der Glaube an die Wissenschaft: Dies waren die säkularreligiösen Gestaltungsmächte, die auch die neuzeitliche Hoffnungsgeschichte eines Neuen Menschen wesentlich bestimmt haben. (…) Die empirische Realisation des Neuen Menschen also ist Thema innerweltlicher Eschatologie, als der vom Menschen herzustellenden Zukunft. Der Mensch wird so, sich selbst vergöttlichend, zum Regisseur und Produzenten seines eigenen Heils und seiner Erlösung hin zu einem Neuen Menschen“. Siehe: Gottfried Küenzlen: Der alte Traum vom Neuen Menschen: Ideengeschichtliche Perspektiven. S. 17-18. In: Anne Seibring, Miriam Shabafrouz, Benjamin Weiß (Hg.): Der Neue Mensch. Bonn, 2018. S. 13-23.
Der Mediensoziologe Sascha Dickel zeigt in seinem Text: „Der Neue Mensch – ein (technik)utopisches Upgrade“ auf, daß heute Technikutopien die früher verbreiteten Sozialutopien abgelöst haben: „In einer Zeit, in der die Gesellschaft als Bereich ungestaltbarer Kontingenz erfahren wird, scheint nun die biologische Natur des Menschen als Bereich vermeintlich gestaltbarer Kontingenz in den Focus zu rücken“, was „vollumfänglich kompatibel mit beschleunigten Wachstumsgesellschaften erscheint, die auf die Produktion ständig neuer Innovationen programmiert sind“. Siehe: Sascha Dickel: Der Neue Mensch – ein (technik)utopisches Upgrade. Der Traum vom Human Enhancemant. S. 95 und 94. In: Anne Seibring, Miriam Shabafrouz, Benjamin Weiß (Hg.): Der Neue Mensch. Bonn, 2018. S. 85-95.
Tatsächlich findet mit dem von den Protagonisten und Apologeten des Transhumanismus, des Posthumanismus und der Technologischen Singularität als Bestandteil einer Teleonomie
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Teleonomie
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Teleologie
erwarteten Endsieg der perfekten, erfolgreichen und überlegenen Technik über das unzulängliche, mangelhafte und schwächliche Leben die sozialdarwinistische Ideologie ihre endgültige Verwirklichung und Vollendung, deren Bestandteile das Konkurrenzprinzip, der Kampf ums Dasein und das Recht des Stärkeren ist.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus
Der Sozialdarwinismus ist der geistesgeschichtliche Mainstream, der das Denken, den Zeitgeist und die Weltanschauung im Zeitalter des Imperialismus in den unterschiedlichsten Bereichen prägte, und er prägte insbesondere auch den Bereich der Politik. Das Zeitalter des Imperialismus kulminiert in den beiden Weltkriegen, und im totalen industriellen Krieg siegt nicht, wie von den Sozialdarwinisten behauptet, die überlegene Population, sondern alleine die überlegene Technik und ihr rücksichtsloser Gebrauch sowie die überlegene industrielle Produktion. Im totalen industriellen Krieg erreicht mit der Entwicklung und dem Einsatz der Atombombe die Entwicklung der Destruktivkräfte der Technik den wissenschaftlich-technologischen Stand zur potentiellen Vernichtung der gesamten Menschheit. Der Endsieg der perfekten, erfolgreichen und überlegenen Technik über das unzulängliche, mangelhafte und schwächliche Leben ist somit die endgültige Verwirklichung und Vollendung der sozialdarwinistischen Ideologie.
201) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Užupis
202) Der Dadaismus ist eine künstlerische und literarische Bewegung, die während des Ersten Weltkrieges in Folge des durch diesen bewirkten Zivilisationsbruch entstand und die sich über ganz Europa ausbreitete. Aufgrund der Zerstörung aller gültigen Werte und Normen durch den Ersten Weltkrieg hat die bisherige Kunst ihren Sinn verloren, und in einer absurd gewordenen Welt sind keine sinnvollen Aussagen mehr möglich.
203) Siehe: Friedrich A. Brockhaus (Hg.): Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Erster Band. 19. Auflage, 1986, Mannheim. S. 431.
204) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Soziale_Bewegungen
205) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Lebensreform
206) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Monte_Verità
Sowie: Stefan Bollmann: Monte Verità. 1900. Der Traum vom alternativen Leben beginnt. München, 2017.
207) Vgl.: Walter Hollstein, Boris Penth: Alternativprojekte. Beispiele gegen die Resignation. 1980, Reinbek bei Hamburg.
208) Siehe: Christian Krause, Detlef Lehnert, Klaus-Jürgen Scherer: Zwischen Revolution und Resignation? Alternativkultur, politische Grundströmungen und Hochschulaktivitäten der Studentenschaft. Eine empirische Untersuchung über die politischen Einstellungen von Studenten. Bonn, 1980. S. 11.
Diese Studie zur Alternativkultur hat als Vorbilder zum Einen die berühmt gewordene Studie „Student und Politik“ der Autoren Jürgen Habermas, Ludwig von Friedeburg, Christoph Oehler und Friedrich Weltz aus dem Jahre 1961
Vgl.: Jürgen Habermas, Ludwig von Friedeburg, Christoph Oeler: Student und Politik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten. Neuwied am Rhein, 1961,
und zum Anderen die Studie „Freie Universität und politisches Potential der Studenten“ der Autoren Ludwig von Friedeburg, Jürgen Hörlemann, Peter Hübner, Ulf Kadritzke, Jürgen Ritsert und Wilhelm Schumm aus dem Jahre 1968
Vgl.: Ludwig von Friedeburg, Jürgen Hörlemann, Peter Hübner, Ulf Kadritzke, Jürgen Ritsert, Wilhelm Schumm: Freie Universität und politisches Potential der Studenten. Über die Entwicklung des Berliner Modells und den Anfang der Studentenbewegung in Deutschland. Neuwied am Rhein, 1968.
209) Siehe: Christian Krause, Detlef Lehnert, Klaus-Jürgen Scherer: Zwischen Revolution und Resignation? Alternativkultur, politische Grundströmungen und Hochschulaktivitäten der Studentenschaft. Eine empirische Untersuchung über die politischen Einstellungen von Studenten. Bonn, 1980. S. 12.
210) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/John_Dewey
211) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/John_Dewey#Demokratie_als_Lebensform
212) Siehe: Hauke Brunkhorst: Demokratischer Experimentalismus. S. 7-8. In: Derselbe (Hg.): Demokratischer Experimentalismus. Politik in der komplexen Gesellschaft. 1998, Frankfurt am Main. S. 7-12.
213) Siehe: Günter Frankenberg: Autoritarismus. Verfassungstheoretische Perspektiven. 2020, Berlin. S. 235.
214) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Elitentheorie
215) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/John_Dewey#Diskussionen_über_Dewey_in_den_USA
216) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Lippmann
217) Siehe: Matthias Kettner: John Deweys demokratische Experimentiergesellschaft. S. 62. In: Hauke Brunkhorst (Hg.): Demokratischer Experimentalismus. Politik in der komplexen Gesellschaft. 1998, Frankfurt am Main. S. 44-66.
218) Siehe: Ebenda. S. 64.
219) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Projektwerkstatt
220) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Studentenprotest#“UniMut“-Streik_1988/89
Sowie: Nana Badenberg, Alexander Honold, Helmut Müller-Enbergs, Thomas Schwarz: Wehe, wenn sie losgelassen. Analyse der StudentInnenbewegung an der FU Berlin im Wintersemester 1988/89. Berlin, 1989.
221) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Jungk
222) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zukunftswerkstatt
Sowie: Robert Jungk, Norbert R. Müllert: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. München, 1989.
223) Siehe: Robert Jungk: Das Risiko als gesellschaftliche Herausforderung. S. 305 und 308. In: Ulrich Beck: Politik in der Risikogesellschaft. Essays und Analysen. Frankfurt am Main, 1991. S. 302-311.
224) Vgl.: Stefan Bollmann: Monte Verità. 1900. Der Traum vom alternativen Leben beginnt. München, 2017.
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Monte_Verità
225) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Lebensreform
226) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Fin_de_Siècle
227) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Museo_Casa_Anatta
228) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Freistadt_Christiania
229) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Charta_von_Athen_(CIAM)
230) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin-Kreuzberg#Nachkriegszeit
231) Vgl. dazu meinen Text „Formaldemokratie und Politikverdrossenheit – Über Politik in modernen Massengesellschaften“. Zu lesen ist dieser Text auf meiner Internetseite: https://manfred-suchan.jimdosite.com/kulturpolitik
232) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Subkultur
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Subkulturtheorie
233) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konsumgesellschaft
234) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Bologna-Prozess
235) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Studentenprotest
236) Siehe: Ulrich Beck, Edgar Grande: Das kosmopolitische Europa. Frankfurt am Main, 2004. S. 23.
237) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichschaltung
238) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Technokratie
239) Bekanntes Beispiel der bisweilen zur Absurdität gesteigerten Regulierungs- und Gleichschaltungswut der Technokraten der Europäischen Union sind die Bananenkrümmungsverordnung und die Gurkenkrümmungsverordnung:
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gurkenkrümmungsverordnung
Mit der Verordnung sollte ein Standard geschaffen werden, der Händlern, Verbrauchern und Verarbeitern europaweit vergleichbare Produkte garantiert. Als Folge der Verordnung glich in fast allen größeren Geschäften Europas eine Gurke der anderen. Gurken, die von den vorgeschriebenen Standards abwichen, durften nicht als Qualitätsprodukte mit Güteklassensiegel verkauft werden. Das gleiche Prinzip der Normung und Standardisierung wurde nun im Rahmen der „Bologna-Reform“ auf den gesamten Bildungsbereich in EUropa angewandt und durchgesetzt.
240) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltreich
241) Siehe: Dirk Jörke: Die Größe der Demokratie. Über die räumliche Dimension von Herrschaft und Partizipation. Berlin, 2019. S. 20.
242) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geopolitik
243) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Großmacht
244) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltmacht
245) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Supermacht
246) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Imperialismus
247) Vgl.: Ein bekanntes Beispiel für einen geopolitisch, machtpolitisch und wirtschaftspolitisch motivierten „Wettlauf“ (scramble) von Großmächten und Weltmächten ist der sogenannte „Wettlauf um Afrika“ (Scramble for Africa):
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wettlauf_um_Afrika
im Zeitalter des Imperialismus
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Imperialismus#Zeitalter_des_Imperialismus_(ca._1870-1914)
Das Zeitalter des Imperialismus kulminierte in zwei Weltkriegen.
248) Als charakteristische Elemente, die das 20. Jahrhundert in seiner gesamten historischen Tiefe und geografischen Breite als ein extremes Jahrhundert mit Alleinstellungsmerkmal charakterisieren und prägen können aufgeführt werden: Die Ethnische Säuberung, die Totale Institution des Lagers als die Totale Institution zur zweckrationalen Verwaltung von Menschenmassen in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, der Ausnahmezustand, der Doppelstaat (Dual State), die totale Mobilmachung, der totale industrielle Krieg, und weitere. Als charakteristische und prägende Elemente haben sie den Gehalt von analytischen Kategorien, die deshalb im Zentrum einer jeden Analyse zum extremen 20. Jahrhundert stehen müssen.
249) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Agenda_Setting
250) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Johan_Galtung
251) Siehe: Johan Galtung: Geopolitik nach dem Kalten Krieg: ein Essay zur Agendatheorie. S. 143 und 145. In: Derselbe: Die andere Globalisierung. Perspektiven für eine zivilisierte Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert. Münster, 1998. S. 125-145.
252) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Revisionismus
253) Vgl.: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, 1995.
254) Siehe: Armin Grunwald: Der unterlegene Mensch. Die Zukunft der Menschheit im Angesicht von Algorithmen, künstlicher Intelligenz und Robotern. München, 2019. S. 232-233.
255) Siehe: Ebenda. S. 184.
256) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zukunftsforschung
257) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Posthumanismus
258) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Transhumanismus
259) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Technologische_Singularität
260) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Technischer_Fortschritt
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Technologiepolitik
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Forschungspolitik
261) In der Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik setzten sich die Protagonisten und Apologeten des Posthumanismus, des Transhumanismus und der Technologischen Singularität im Zuge der technokratischen Bologna-Reform endgültig durch. Zweifellos ist der gesamte Bereich der Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik seit mehreren Jahrzehnten fehlgesteuert.
Vgl. auch Anmerkung 200.
262) Siehe: Sascha Dickel: Der Neue Mensch – ein (technik)utopisches Upgrade. Der Traum vom Human Enhancement. S. 94 und 93. In: Anne Seibring, Miriam Shabafrouz, Benjamin Weiß (Hg.): Der Neue Mensch. Bonn, 2018. S. 85-95.
263) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Soft_Power
264) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Minsk
265) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtbild
266) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Planstadt
267) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistische_Stadt
268) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Charta_von_Athen_(CIAM)
269) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Autogerechte_Stadt
270) Beide Varianten der industriellen Moderne basieren auf dem Konzept der autogerechten Planung. Der östlichen, „realsozialistischen“ Variante der industriellen Moderne war es allerdings nicht gelungen, die errichteten autogerechten Planungslandschaften mit Massen von großen und schnellen Automobilen zu bevölkern. Ab 1989/90 erfolgt diesbezüglich eine nachholende Modernisierung in der östlichen Hälfte Europas, die mit großen und schnellen West-Autos überschwemmt wurde. Seither gilt in der östlichen Hälfte Europas das unbegrenzte Herumhasten mit großen und schnellen West-Autos als die Verwirklichung des Freiheits- und Glücksversprechens der Epochenwende von 1989/90.
271) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Architekturkritik
Im Gegensatz zur in diesem Wikipedia-Artikel vertretenen Auffassung, daß „Ziel der Architekturkritik ist, die Ursachen der Fehlleistungen von Architektur aufzuzeigen“, muß m.E. Architekturkritik Herrschaftskritik sein. Dabei kann die Architektur einer Stadt als Verkörperung des sozialen Organismus einer Stadt, als das jeweilige „Gehäuse“ dieses jeweiligen sozialen Organismus angesehen werden, und dieses funktionale Gehäuse gestattet Rückschlüsse auf das Denken, die Kosmologie und die Weltanschauung der jeweiligen städtischen Gesellschaft.
Als Beispiel möchte ich die antike Stadt Teotihuacán in Mittelamerika aufführen, die ich im Rahmen meiner Mittel- und Südamerikareise am 28.12.2016 besucht habe.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Teotihuacán
Bei Betrachtung der gesamten gewaltigen Anlage der Stadt Teotihuacán und ihrer architektonischen Bauten stellt sich dem Besucher die Frage nach dem Zusammenhang von Architektur und Herrschaft, und dabei insbesondere der massenpsychologischen Wirkung und Funktionalisierung von Architektur zur Stabilisierung und Verstetigung von Herrschaft. Offenkundig gibt es wiederkehrende Grundmuster und Grundtypen, die Zeit und Ort transzendieren und die sich in der Menschheitsgeschichte in verschiedenen geografischen Räumen sowohl in der „Alten Welt“, als auch in der „Neuen Welt“ etablierten, und dies offensichtlich ohne Kulturaustausch und Diffusion zwischen der „Alten Welt“ und der „Neuen Welt“. Folglich muß es dem historischen Prozeß inhärente Gesetzmäßigkeiten geben, die unabhängig von Ort und Zeit zu ähnlicher und vergleichbarer Ausprägung gelangen. Architektur ist so eine Ausdrucks- und Erscheinungsform gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse, und sie ist zugleich Instrument zur Herrschaftsausübung und Hilfsmittel zu deren Stabilisierung, Verstetigung und expansiven Ausweitung. Nach innen wird den Untergebenen für ihre Gefolgschaft und Massenloyalität eine Partizipation an der durch Stein verkörperten Macht und Herrlichkeit angeboten. Nach außen manifestiert Architektur den Anspruch imperialer Herrschaft und soll die Unterworfenen von den gewaltigen Dimensionen der Macht und deren ewigen Beständigkeit beeindrucken. Die herrschende Elite leitet ihre Macht von den Göttern ab und begründet ihre Herrschaft über ihre Verbundenheit mit einer kosmischen Weltordnung. Sie macht sich zum Garanten des ungestörten und einwandfreien Funktionierens der kosmischen Ordnung und der kosmischen Abläufe, die mathematisch exakt berechnet und kalendarisch erfaßt werden, und sie setzt eine entsprechende allgemeinverbindliche Weltanschauung, Kosmologie und Glaubenslehre mit Ritualen und Kulten, die die gesellschaftlichen Abläufe in die kosmische Ordnung einbinden. Dafür, daß nun jeden Tag pünktlich die Sonne aufgeht, genügend Regen fällt und Pflanzen auf den Feldern wachsen etc. verlangt die Herrschaftselite Unterwerfung, Gefolgschaft und Opfer, darunter auch Menschenopfer. Diesen kultischen Zwecken im Rahmen massenpsychologisch inszenierter Kosmologien dient gleichermaßen die Herrschaftsarchitektur. Die metropolitane Stadt mit ihrer Herrschaftsarchitektur ist somit das Gehäuse einer funktional gleichgeschalteten und maschinengleichen Massengesellschaft, wobei das architektonische Erscheinungsbild einer Stadt die direkte Widerspiegelung des herrschaftslegitimierenden Glaubenssystems einer Massengesellschaft ist.
272) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Herrschaftsarchitektur
273) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Unabhängigkeitsboulevard_(Minsk)
274) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Unabhängigkeitsplatz_(Minsk)
275) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Oktoberplatz_(Minsk)
276) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Altstädter_Rathaus_von_Minsk
277) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Magdeburger_Recht
278) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtrecht
279) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Stadt#Mittelalterliche_Stadtgründungen
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Gründungsstadt#Gründungsstädte_des_Mittelalters
280) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Stadt
Ausführlich dargestellt ist die Bedeutung und Rolle der freien Städte im Mittelalter und der diese konstituierenden Gilden im fünften und sechsten Kapitel „Gegenseitige Hilfe in der Stadt des Mittelalters“ des im Jahre 1902 erschienenen Werks: „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ des Geografen Peter A. Kropotkin (1842-1921):
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Pjotr_Alexejewitsch_Kropotkin
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Gegenseitige_Hilfe_in_der_Tier-_und_Menschenwelt
Kropotkin hebt die Besonderheiten der freien Städte des Mittelalters hervor: „Freiheit, Selbstverwaltung und Frieden zu gewährleisten, war das Hauptziel der Stadt des Mittelalters“. Die Stadt des Mittelalters war „ein Versuch, (…) einen engen Verband zu gegenseitiger Hilfe und Beistand zu organisieren, für Konsum und Produktion und für das gesamte soziale Leben, ohne den Menschen die Fesseln des Staates aufzulegen, sondern unter völliger Wahrung der Freiheit für die Äußerungen des schöpferischen Geistes einer jeden besonderen Gruppe von Individuen in der Kunst, dem Handwerk, der Wissenschaft, dem Handel und der politischen Organisation“. Die Stadt des Mittelalters war „eine befestigte Oase inmitten eines Landes, das unter dem Feudaljoch lebte“. Kropotkin stellt fest: “Die mittelalterlichen Städte haben ohne Zweifel der europäischen Zivilisation einen außerordentlichen Dienst erwiesen. Sie haben sie davor bewahrt, den Theokratien und despotischen Staaten der Vorzeit zu verfallen“ und „der Verlust, den Europa durch den Untergang seiner freien Städte erlitt, kann nur verstanden werden, wenn wir das 17. Jahrhundert mit dem 14. oder 13. vergleichen“. Siehe: Peter A. Kropotkin: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt (1902). Frankfurt am Main, 2011. S. 150, S. 154, S. 164, S. 174 und S. 170.
Am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit erfolgte ein Niedergang der Städte, und im Zeitalter des Absolutismus
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Absolutismus
wird der absolutistisch regierte Staat allgemeiner Standard. Als einziger Ausnahme in Europa ist nur in der Schweiz allen modernen Tendenzen zur Zentralisierung, die sich seit dem Zeitalter des Absolutismus ereignen, erfolgreich widerstanden worden. Neben dem Konzept der Willensnation gründet das Modell der Schweiz auf einer Tradition kommunaler Selbstverwaltung, genossenschaftlicher Selbstorganisation und direkter Demokratie, und diese Tradition hat ihren Ursprung im Mittelalter, wo sie weit verbreitet war, doch sie ist heute nirgendwo sonst noch erhalten.
Mit seinem im Jahre 1902 erschienenen Buch „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ hat sich der Geograf Peter A. Kropotkin dem von Konkurrenz und „Kampf ums Dasein“ geprägten sozialdarwinistischen Mainstream
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus
seines Zeitalters, dem Zeitalter des Imperialismus, widersetzt und den Aspekt der Kooperation als Prinzip der Evolution und darüber hinaus der Menschheitsgeschichte hervorgehoben. Kropotkin hat sich den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis seiner Zeit in nahezu allen wissenschaftlichen Disziplinen erarbeitet, und auf dieser Grundlage setzt er dem sozialdarwinistischen Mainstream seines Zeitalters, dem Zeitalter des Imperialismus, eine wissenschaftlich fundierte und umfassend begründete alternative Sichtweise entgegen: Nicht Konkurrenz, sondern Kooperation ist das wesentliche Prinzip sowohl in der Evolution, als auch in der Menschheitsgeschichte.
281) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Polen-Litauen
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Teilungen_Polens
Vgl. auch Kapitel 11.
282) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Russisches_Kaiserreich
283) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Władysław_II._Jagiełło
284) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_Afghanistan_(1979-1989)
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_Afghanistan#Sowjetische_Intervention_von_1979_bis_1989
Der Afghanistan-Krieg in den 1980ern wird als Beginn der heutigen transnationalen Dschihadisten-Bewegungen angesehen, in denen viele der ehemaligen Afghanistan-Kämpfer Schlüsselstellungen einnahmen. Dieser Konflikt markierte für die arabische Welt den Übergang vom Arabischen Nationalismus zum Islamismus. Die ausländischen Freiwilligen kehrten radikalisiert in ihre Heimatländer zurück, um den „nahen Feind“, die säkularen Regime z.B. in Ägypten und Algerien zu stürzen oder schlossen sich Guerillakämpfen z.B. in Bosnien oder Tschetschenien an.
Das Phänomen des sogenannten „Terrorismus“ war im 19. Jahrhundert eine Domäne radikaler Nationalisten und wurde im 20. Jahrhundert zu einer Form irregulärer Kriegsführung im Rahmen von Strategien der Geopolitik insbesondere von Welt- und Supermächten, wie das Beispiel der USA zeigt: Die im propagierten „War on Terror“ nach den Ereignissen des 11.09.2001 bekämpften Terroristen waren zuvor erst als „Freiheitskämpfer“ geschaffen und aufgerüstet worden, um ab 1979 der Sowjetunion in Afghanistan eine militärische Niederlage zufügen zu können. Schon Mitte 1979, sechs Monate vor der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan am 25.12.1979, begann die CIA-Operation „Cyclone“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Cyclone
mit dem Ziel der Destabilisierung der Sowjetunion durch die Verbreitung des militanten Islams in Zentral-Asien und der Ausbildung von Guerilla-Kämpfern. Nach Aussage des Politikwissenschaftlers Zbigniew Brzeziński hatte diese Geheimoperation „den Zweck, die Russen in die afghanische Falle zu locken“ um „der UDSSR ihren Vietnamkrieg zu bescheren“, worauf der Historiker Alfred W. McCoy hinweist.
Siehe: Alfred W. McCoy: Die CIA und das Heroin. Weltpolitik durch Drogenhandel. Frankfurt am Main, 2. Auflage 2016. S. 585-586.
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Cyclone#Die_“afghanische_Falle“
285) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdemokratische_Arbeiterpartei_Russlands
286) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Februarrevolution_1917
287) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Oktoberrevolution
288) Vgl.: Antony C. Sutton: Wall Street and the Bolshevik Revolution (1974).
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Antony_C._Sutton
289) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegesplatz_(Minsk)
290) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Grosser_Vaterländischer_Krieg
291) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Held_der_Sowjetunion
Des Weiteren: https://zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/wem-gehoert-der-grosse-sieg
Vgl. auch: https://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/14898
293) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Stalinismus
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Stalin
294) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heldenstadt
Vgl. auch: https://www.dekoder.org/de/gnose/heldenstadt-minsk-hauptstadt-belarus
295) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Stalin#Tod
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Ärzteverschwörung
Es ist wahrscheinlich, daß Josef W. Stalin nicht eines natürlichen Todes gestorben ist.
296) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nikita_Sergejewitsch_Chruschtschow
297) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Entstalinisierung
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Tauwetter-Periode
298) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Neostalinismus
299) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Josef-Stalin-Museum
Das Stalin-Museum in der Stadt Gori ist in zweifacher Hinsicht ein Museum. Zu Einen ist es ein materialreiches Museum zu Thema Josef W. Stalin, und zum Anderen ist das Stalin-Museum ein Museum über den staatsoffiziellen Personenkult, der in der Ära des Neostalinismus in der Sowjetunion betrieben wurde, und es muß daher als ein historisches Dokument dieser Ära unverändert erhalten bleiben und unter Denkmalschutz gestellt werden.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Stalinismus#Personenkult
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Personenkult#Realsozialismus
Für die Verbrechen in der Stalin-Ära sollte ein separates Museum eingerichtet werden.
300) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedensvertrag_von_Versailles
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsziele_im_Ersten_Weltkrieg
301) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Antikominternpakt
302) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Appeasement-Politik
303) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Mandschurei-Krise
304) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Abessinienkrieg
305) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Japanisch-Sowjetischer_Grenzkonflikt
306) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Überfall_auf_Polen
307) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltkrieg
308) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie_des_Zweiten_Weltkrieges
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Vorgeschichte_des_Zweiten_Weltkrieges_in_Europa
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Vorgeschichte_des_Zweiten_Weltkrieges_im_Pazifikraum
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Weltkrieg
309) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Mémorial_de_Caen
310) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Japanisch-Chinesischer_Krieg
310a) Siehe: Karl Schlögel: Bugwelle des Krieges. S. 180-181. In: Stefan Aust, Stephan Burgdorff (Hg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. 2003, Bonn. S. 179-196.
311) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hitler-Stalin-Pakt
312) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Leih-_und_Pachtgesetz#An_die_Sowjetunion
312a) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Industrialisierung_der_Sowjetunion
312b) ) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Armee#Ausgangssituation
Zahlen zum Rüstungsstand im Vergleich der einzelnen Staaten in der Zwischenkriegszeit bis zum Zweiten Weltkrieg führt auf Gerd Schultze-Rhonhof in seinem Buch: „1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte: Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg“. Dieses Buch ist als PDF-Datei im Internet verfügbar (2. Auflage, 2003): https://ulis-buecherecke.ch/pdf_zur_geschichte_deutschlands/der_krieg_der_viele_vaeter_hatte.pdf
312c) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Präventivkriegsthese
312d) Zum Thema der Angriffskriegsabsichten Stalins haben die Bücher von Viktor Suworow in Rußland einen Historikerstreit ausgelöst. Sein Buch „Der Eisbrecher – Hitler in Stalins Kalkül“ ist als PDF-Datei im Internet verfügbar:
https://ulis-buecherecke.ch/Neue%20Einträge%202021/hitler_in_stalins_kalkuel.pdf
Ebenso ist sein Buch „Der Tag M“ als PDF-Datei im Internet verfügbar:
https://archive.org/details/SuworowViktorDerTagMEisbrecherIIV2
Des weiteren sein Buch „Stalins verhinderter Erstschlag – Hitler erstickt die Weltrevolution“:
313) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsvölkerrecht
314) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Befehl_Nr._270
315) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Befehl_Nr._227
316) Hitlers Weltanschauung kann im Wesentlichen als eine radikalisierte Form des sozialdarwinistischen Mainstreams des Zeitalters des Imperialismus, das in zwei Weltkriegen kulminierte, angesehen werden, deren Bestandteile das Konkurrenzprinzip, der Kampf ums Dasein und das Recht des Stärkeren ist. Wie bei den meisten seiner Zeitgenossen hat auch Hitlers Weltanschauung den bedeutenden Radikalisierungsschub durch seine persönlichen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg erfahren. Bestandteil der Weltanschauung Hitlers war die Theorie des Staates als eines politischen “Raumorganismus”, die von den Geografen Friedrich Ratzel (1844-1904), Karl Haushofer (1869-1946) und Otto Maull (1887-1957) entworfen worden war. Diese Theorie des Staates als eines politischen “Raumorganismus” ist Ausdruck des sozialdarwinistischen Mainstreams, der das Denken im Zeitalter des Imperialismus in den unterschiedlichsten Bereichen prägte, und sie wurde zur Grundlage von Geopolitik.
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Hitler#Ideologie
317) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Russische_Befreiungsarmee
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Andrei_Andrejewitsch_Wlassow
317a) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konferenz_von_Jalta
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Displaced_Person#Zwangsrepatriierung
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Keelhaul
Vgl. auch: Nicholas Bethell: Das letzte Geheimnis. Die Auslieferung russischer Flüchtlinge an die Sowjets durch die Alliierten 1944-47. Frankfurt am Main, 1978.
318) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sowjetische_Partisanen
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungsbataillon
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Partisan
319) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Repressalie
Schon während des Ersten Weltkriegs und danach wurden dem Besatzungsregime des Kaiserreiches Deutschland in Belgien Besatzungsverbrechen vorgeworfen, die auf Grundlage von Repressalien erfolgt waren. Repressalien waren Bestandteil des Kriegsvölkerrechtes. Im Rahmen von Repressalien sollte die Festnahme von Geiseln und die Androhung ihrer Tötung das Wohlverhalten der Bevölkerung insbesondere in besetzten Gebieten erzwingen. „Sühnegefangene“ dagegen wurden erst nach einer Widerstandshandlung der Bevölkerung festgenommen und getötet, um die Bevölkerung von weiteren Widerstandshandlungen abzuschrecken.
Aufgrund dieser Vorwürfe und Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges stellt sich die Frage, warum die Zwischenkriegszeit nicht dafür genutzt wurde, Repressalien im Kriegsvölkerrecht zu verbieten und abzuschaffen. Aufgrund der Erfahrungen im Ersten Weltkrieg wurden lediglich im Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 Repressalien gegen Kriegsgefangene ausdrücklich verboten.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Abkommen_über_die_Behandlung_der_Kriegsgefangenen
Es ist naheliegend, daß das Verbot von Repressalien in der Zwischenkriegszeit nicht erfolgte, weil die Kolonialmächte dieses Instrument zur Repression der von ihnen beherrschten Kolonialbevölkerungen weiterhin nutzen wollten. Im Zweiten Weltkrieg wurden Repressalien insbesondere vom NS-Besatzungsregime exzessiv angewandt. Dies stützt die These des Politikers Jawaharlal Nehru (1889-1964), die besagt, daß der Nationalsozialismus die Anwendung des Kolonialismus und kolonialer Unterdrückungsmethoden auf Europa selbst ist.
319a) Siehe: Karl Schlögel: Bugwelle des Krieges. S. 185-186. In: Stefan Aust, Stephan Burgdorff (Hg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. 2003, Bonn. S. 194-195.
321) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Attentate_auf_Adolf_Hitler
322) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen_Walküre
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Attentat_vom_20._Juli_1944
Im Rahmen des Staatsstreichversuchs vom 20. Juli 1944 kommt dem in den Akten der Gestapo
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geheime_Staatspolizei
so genannten „Kreisauer Kreis“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kreisauer_Kreis
wesentliche konzeptionelle Bedeutung zu. Die Mitglieder des „Kreisauer Kreis“ hatten sich in Kreisau/Krzyzowa
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kreisau
in Schlesien getroffen, um auf Grundlage eigener Analysen Alternativen zur NS-Herrschaft zu entwickeln. Der „Kreisauer Kreis“ kann als der bedeutendste „Think Tank“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Denkfabrik
der Opposition gegen die NS-Herrschaft angesehen werden. Die vom „Kreisauer Kreis“ entworfenen Konzepte hätten nach einem erfolgreichen Staatsstreich am 20. Juli 1944 eine konzeptionelle Grundlage der Übergangsregierung
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Übergangsregierung
Beck/Goerdeler
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Schattenkabinett_Beck/Goerdeler
gebildet.
Der Politikwissenschaftler und Jurist Ernst Fraenkel (1898-1975)
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Fraenkel_(Politikwissenschaftler)
veröffentlichte im Jahre 1941 seine Analyse des NS-Staates mit dem Titel „Der Doppelstaat“ (Dual State). Vgl.: Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat. Recht und Justiz im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main, 1984.
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Doppelstaat
In dieser Analyse der Herrschaft im NS-Staat, die erstmals zur Jahreswende 1940/41 veröffentlicht wurde, unterscheidet Fraenkel die fortexistierenden Institutionen eines legalen „Normenstaates“, dessen Handeln sich an Gesetzen orientiert, von den neu geschaffenen Institutionen eines extralegalen „Maßnahmenstaates“ als Instrument willkürlicher Machtentfaltung und enthemmter Gewaltausübung. Als historische Beispiele für Institutionen des „Maßnahmenstaates“ können aufgeführt werden insbesondere die Konzentrationslager, des Weiteren die SS, die GeStaPo, der SD, das RSHA, die „Aktion T4“, die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. Der „Maßnahmenstaat“ kann als eine radikalisierte Form „Totaler Institutionen“ und der in diesen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“ angesehen werden, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen.
Gemäß diesem Modell des „Doppelstaates“ (Dual State) kann der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 aufgefaßt werden als ein Versuch, aus den noch bestehenden Institutionen des „Normenstaates“ heraus die Institutionen des durch die NS-Herrschaft geschaffenen „Maßnahmenstaates“ zu überwinden, um eine Rechtsstaatlichkeit wieder herzustellen und den Krieg sofort zu beenden. Für die NS-Herrschaft war der Krieg erforderlich, um den Prozeß der NS-Machtergreifung und Machtdurchsetzung nach innen und außen erfolgreich vollziehen und vollenden zu können. Aufgrund der Erfolglosigkeit des Staatsstreiches vom 20. Juli 1944 weitete sich jedoch infolgedessen das von Heinrich Himmler (1900-1945)
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Himmler
kontrollierte Imperium des „Maßnahmenstaates“ noch weiter aus. Nach dem sogenannten „Endsieg“ wären durch die NS-Herrschaft die verbliebenen Reste des „Normenstaates“ gänzlich abgeschafft worden, und nur Institutionen des „Maßnahmenstaates“ wären verblieben, womit der Prozeß der NS-Machergreifung und Machtdurchsetzung sein Ende und Ziel gefunden hätte. Was Heinrich Himmler nach einem sogenannten „Endsieg“ mithilfe des Imperiums des „Maßnahmenstaates“ veranlaßt und durchgeführt hätte, ist der Vorstellungskraft des Lesers überlassen. Voraussichtlich hätte der studierte Landwirt Himmler das gesamte Europa gänzlich in eine Zuchtanstalt für menschliches Rassevieh verwandelt.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Programm_Heinrich
Bei der geschichtswissenschaftlichen Erforschung der NS-Herrschaft und ihrer Verbrechen konzentriert sich der Focus fast ausschließlich auf die Person Adolf Hitler als „Der Führer“, und seiner Weltanschauung, die im wesentlichen als eine radikalisierte Form des sozialdarwinistischen Mainstreams des Zeitalters des Imperialismus, das in Weltkriegen kulminierte, angesehen werden kann, deren Bestandteile das Konkurrenzprinzip, der Kampf ums Dasein und das Recht des Stärkeren ist. Wie bei den meisten seiner Zeitgenossen hat auch Hitlers Weltanschauung den bedeutenden Radikalisierungsschub durch seine persönlichen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg erfahren. Wenig beachtet wird hingegen der studierte Landwirt Heinrich Himmler und seine Weltanschauung, obwohl Himmler das gesamte Imperium des NS-Maßnahmenstaates unterstand, der die NS-Verbrechen ausgeführt hat. Zweifellos steht im Zentrum der Weltanschauung des studierten Landwirts Himmler das Modell der Rasseviehzucht. Die Idee der menschlichen Rasseviehzucht teilte Himmler mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Walther Darré (1895-1953)
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Walther_Darré
Darré leitete zudem das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/SS-Hauptämter#Rasse-_und_Siedlungshauptamt
Diesem himmlerschen Modell der Rasseviezucht fehlt der Aspekt der natürlichen Evolution, der eine Grundannahme und Voraussetzung der sozialdarwinistischen Ideologie ist. Mithilfe des unbeschränkten Machtmittels des „Maßnahmenstaates“ verfolgt der studierte Landwirt Himmler das Ziel, das gesamte Europa in eine Zuchtanstalt für menschliches Rassevieh zu verwandeln. Als „Zuchtwart“ gibt Himmler das anzustrebende Zuchtziel der menschlichen Rasseviehzucht vor. Wie der Verlauf und der Ausgang des Zweiten Weltkriegs zeigt, siegt im totalen industriellen Krieg jedoch weder das Zuchtprodukt der himmlerschen Rasseviehzucht, noch, wie von den Sozialdarwinisten behauptet, die überlegene Population, sondern alleine die überlegene Technik und ihr rücksichtsloser Gebrauch sowie die überlegene industrielle Produktion. Im totalen industriellen Krieg erlangt die perfekte, erfolgreiche und überlegene Technik den Endsieg über das unzulängliche, mangelhafte und schwächliche Leben, und dies ist die endgültige Verwirklichung und Vollendung der sozialdarwinistischen Ideologie. Im totalen industriellen Krieg erreicht mit der Entwicklung und dem Einsatz der Atombombe die Entwicklung der Destruktivkräfte der Technik den wissenschaftlich-technologischen Stand zur potentiellen Vernichtung der gesamten Menschheit.
Nach einem erfolgreichen Staatsstreich am 20. Juli 1944 wäre insbesondere der vom Experten für Völkerrecht Helmuth J. von Moltke
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Helmuth_James_Graf_von_Moltke
im Jahre 1943 entwickelte „Herman-Plan“ umgesetzt worden, womit der Zweite Weltkrieg in Europa ein schnelles und gänzlich anderes Ende gefunden hätte: Es hätte keine weiteren Kriegstoten und Kriegszerstörungen mehr gegeben, die Institutionen des „Maßnahmenstaates“ wären sofort aufgelöst worden, womit es keine weiteren NS-Verbrechen mehr gegeben hätte, und es hätte keine Endphasenverbrechen
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Endphaseverbrechen
der NS-Herrschaft gegeben, die Rote Armee hätte nicht die gesamte östliche Hälfte Europas besetzt, und es hätte somit keine weiteren Vertreibungen und Ethnischen Säuberungen mehr gegeben, die insbesondere die Endphase des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit prägen, und zudem hätte es nach dem Zweiten Weltkrieg kein globales Zeitalter der Blockkonfrontation und der Bipolarität im Rahmen eines Ost-West-Konflikts gegeben.
Zum Herman-Plan vgl.: Günter Brakelmann: Helmuth James von Moltke. 1907-1945. Eine Biographie. 2007, München. S. 286-290.
Doch den westlichen Alliierten war die Zusammenarbeit mit Stalin wichtiger als eine Zusammenarbeit mit der Opposition in Deutschland, und sie bevorzugten es, die gesamte östliche Hälfte Europas der Herrschaft Stalins zu überlassen. Die westlichen Alliierten mißachteten die Grundsätze der Atlantik-Charta vom 14.08.1941,
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Atlantik-Charta
an der sie sich orientieren wollten.
In Anbetracht des Scheiterns der „Operation Walküre“ stellt sich die Frage, wann im Prozeß der „Machtergreifung“ und der „Machtdurchsetzung“ der NS-Herrschaft ein „Point of no Return“ erreicht war. Dies kann am Beispiel verschiedener Phasen der Etablierung der NS-Herrschaft erörtert und verdeutlicht werden: In der Auflösungsphase der Weimarer Republik ab dem Frühjahr 1930 war der „Point of no Return“ sicherlich auch am Ende dieser Phase noch nicht erreicht. Auch mit der „Machtergreifung“ am 30.01.1933 war der „Point of no Return“ mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht erreicht. Eventuell war dies am Ende der auf die „Machtergreifung“ folgenden Phase der „Machdurchsetzung“ der Fall, die mit den Morden vom 30.06.1934 und der Vereinigung des Amtes des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten in der Person Hitlers am 02.08.1934 endet. Doch mit Sicherheit war der „Point of no Return“ mit der Appeasement-Politik, dem Münchener Abkommen vom 30.09.1938 und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges in Europa erreicht.
Entgegen dem Mythos einer „legalen Revolution“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Legalitästaktik
hatte der Prozeß der Etablierung der NS-Herrschaft
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie_der_nationalsozialistischen_Machtergreifung
tatsächlich den Charakter einer Folge zahlreicher Staatsstreiche gegen den Text, die Intention und den Geist der Weimarer Verfassung (WRV). Der permanente Ausnahmezustand ist die Verfassungswirklichkeit der NS-Herrschaft. Das den permanenten Ausnahmezustand ermöglichende Ermächtigungsgesetz vom 24.03.1933
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ermächtigungsgesetz_vom_24._März_1933
wurde mehrmals verlängert, wobei die Weimarer Verfassung (WRV) formell bis 1945 in Kraft blieb. Das „Unternehmen Walküre“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen_Walküre
im Rahmen des Umsturzversuchs vom 20.07.1944 war der Versuch, mittels des Ausnahmezustands den die NS-Herrschaft konstituierenden permanenten Ausnahmezustand aufzuheben, um die Rechtstaatlichkeit wieder herzustellen und den Krieg sofort zu beenden.
323) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Casablanca-Konferenz
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Konferenzen_der_Alliierten_während_des_Zweiten_Weltkriegs
Mit dem Scheitern des „Blitzkrieges“
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Blitzkrieg
gegen die Sowjetunion Ende 1941 konnten die Achsenmächte den Zweiten Weltkrieg militärisch nicht mehr gewinnen, ihre militärische Niederlage war seit Ende 1941 absehbar und nur noch eine Frage der Zeit. Die Forderung einer bedingungslosen Kapitulation schloß sämtliche alternativen Möglichkeiten einer schnellen Beendigung des Zweiten Weltkrieges aus, sodaß sich dieser weiter zu dem historisch beispiellosen Gewaltinferno eines totalen industriellen Krieges radikalisierte und entwickelte, das wir heute mit Fassungslosigkeit und Entsetzen betrachten und nach den Gründen fragen, warum sich dies alles hat ereignen können. Unter dem Aspekt der Schadensbegrenzung des durch den Zweiten Weltkrieg bislang eingetretenen Gesamtschadens waren die Beteiligten am 20. Juli 1944 die einzigen der insgesamt am Zweiten Weltkrieg beteiligten Akteure, die eine sofortige Kriegsbeendigung und sofortige Schadensbegrenzung und Schadensbeendigung zum Ziel hatten, während sämtliche anderen Akteure den Zweiten Weltkrieg weiter führen und weiter radikalisieren wollten.
324) Vgl. Anmerkung 322.
325) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kontrafaktische_Geschichte
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Alternativweltgeschichte
326) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Determinismus#Geschichtsdeterminismus
327) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Widerstandsrecht
328) Siehe: Fritz Bauer: Widerstandsrecht und Widerstandspflicht des Staatsbürgers. S. 492. In: Arthur Kaufmann (Hg.): Widerstandsrecht. Darmstadt, 1972. S. 482-504.
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Remer-Prozess
329) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hrodna
330) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Memel
331) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vytautas
332) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Grodno_(Belarus)
333) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Königreich_Polen
334) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Personalunion
335) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Union_von_Krewo
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Polnisch-Litauische_Union
336) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Polen-Litauen
337) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Adelsrepublik
338) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zarentum_Russland
339) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Mongolisches_Reich
340) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ständegesellschaft
341) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Feudalismus
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Lehnswesen
342) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Grundherrschaft
343) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hörigkeit_(Rechtsgeschichte)
344) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Leibeigenschaft
345) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Realunion
346) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Union_von_Lublin
347) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Rzeczpospolita
348) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wahlmonarchie
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Monarchie#Wahl-_und_Erbmonarchie
349) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sejm#Geschichte
350) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Monarchie#Parlamentarische_Monarchie
351) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_Báthory
352) Vgl.: http://history.grodno.museum.by/en
Sowie: https://grodno-museum.by/en/
353) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Neues_Schloss_(Grodno)
354) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/August_III.
355) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Stanislaus_II._August_Poniatowski
356) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsmythos
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Mythos
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Politischer_Mythos
357) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Krakau#Frühe_Neuzeit
358) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Szlachta
359) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Goldene_Freiheit
360) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Liberum_Veto
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Einstimmigkeitsprinzip
361) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konföderation_(Polen-Litauen)
362) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung_vom_3._Mai_1791
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungsgeschichte_Polens#Verfassung_vom_3._Mai_1791
363) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Bauernbefreiung
364) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konföderation_von_Bar
365) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Katharina_II.
366) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kościuszko-Aufstand
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Tadeusz_Kościuszko
367) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Aufgeklärter_Absolutismus
368) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Teilungen_Polens
369) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Französische_Revolution
370) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Mächtegleichgewicht
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Pentarchie_(Europa)
371) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Napoleon_Bonaparte
372) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Kongress
373) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_I._(Russland)
374) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heilige_Allianz
375) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_I._(Russland)
376) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Herzogtum_Warschau
377) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Königreich_Polen#“Kongresspolen“
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Kongress#Polen,_Sachsen_und_neue_Konstellationen
378) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Großfürstentum_Finnland
379) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Novemberaufstand
380) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Januaraufstand
381) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Krimkrieg
382) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Napoleonische_Kriege
383) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltkrieg
384) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Siebenjähriger_Krieg
385) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geheimdiplomatie
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Geheimvertrag
386) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Dreikaiserabkommen
387) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Dreikaiserbund
388) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Franz-Xaver-Kathedrale
389) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Belarussische_Grenzübergänge
390) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Brest_(Belarus)
391) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Biometrischer_Reisepass
392) Totalitarismus läßt sich definieren als die Ausweitung der Funktionsprinzipien Totaler Institutionen aus diesen heraus und deren Übertragung und Anwendung auf potentiell sämtliche Bereiche der Gesellschaft.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Totale_Institution
Beispiele Totaler Institutionen sind: das Gefängnis, das Lager in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen, die Kaserne, die Wehrpflicht, die Fabrik, die Krankenanstalt, die Schule. Totale Institutionen schaffen einen Raum der Inklusion und der Exklusion und sie sind insbesondere charakterisiert durch die in ihnen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen. Der „Maßnahmenstaat“ nach Ernst Fraenkel kann als eine radikalisierte Form Totaler Institutionen und der in diesen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“ angesehen werden, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen. Vgl.: Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat. Recht und Justiz im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main, 1984.
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Doppelstaat
In dieser Analyse der Herrschaft im NS-Staat, die im Jahre 1941 erstmals veröffentlicht wurde, unterscheidet der Jurist und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel (1898-1975) die fortexistierenden Institutionen eines legalen „Normenstaates“, dessen Handeln sich an Gesetzen orientiert, von den neu geschaffenen Institutionen eines extralegalen „Maßnahmenstaates“ als Instrument willkürlicher Machtentfaltung und enthemmter Gewaltausübung. Als historische Beispiele für Institutionen des „Maßnahmenstaates“ können aufgeführt werden insbesondere die Konzentrationslager, des Weiteren die SS, die GeStaPo, der SD, das RSHA, die „Aktion T4“, die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD.
Tatsächlich ist mittlerweile ein Zustand erreicht, in dem die ganze Welt den Charakter der Totalen Institution eines Lagers hat
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Internierungslager
in dem die gesamte Menschheit permanent erkennungsdienstlich erfaßt, panoptisch überwacht, kontrolliert und manipuliert wird.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Panoptismus
Diese ubiquitäre, digitaltechnisch geschaffene virtuelle globale Totale Institution schafft heute keine Räume mehr der Inklusion und Exklusion, sie ist vielmehr allgegenwärtig und omnipräsent, sie erfaßt nicht mehr nur stigmatisierte gesellschaftliche Gruppen, vielmehr erfaßt sie im Digitaltechnischen Zeitalter die gesamte Menschheit und unterzieht potentiell jedes Individuum einer individuell auf dessen Persönlichkeit abgestimmten permanenten subtilen „Sonderbehandlung“. Den Menschen werden keine Nummern mehr eintätowiert, wie in den Lagern des extremen 20. Jahrhunderts (Beispiel NS-Konzentrationslager), stattdessen gibt es heute im Digitaltechnischen Zeitalter überall Computerchips mit individuellen, persönlichen Daten, und dies jetzt auch im biometrischen Reisepaß. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis den Menschen auch ein Chip implantiert wird. Schon heute sind nahezu sämtliche Nutz- und Haustiere des Menschen chip-implantiert, und die Ausweitung auf den Menschen ist nur noch ein kleiner Schritt.
Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tierkennzeichnung#Kennzeichnung_durch_implantierte_Transponder
Im Zuge eines zukünftigen Ereignisses, wie von der Qualität und dem Format der sogenannten „Corona-Krise“, wird dieses voraussichtlich weltweit umgesetzt werden können. Während der sogenannten „Corona-Krise“ hat die überall vorhandene große Bereitschaft der Menschen, sich mit fragwürdigen, unzureichend getesteten Impfstoffen serienweise impfen zu lassen, aufgezeigt, daß auch eine weltweite Kampagne zur Chip-Implantierung der Menschen durchaus möglich und umsetzbar ist.
Es ist unübersehbar: Im Digitaltechnischen Zeitalter wird derzeit der Totalitarismus neu erfunden, und fast alle machen mit. Schon jetzt ist die Gesellschaft in Gänze vom Totalitären durchdrungen, und fast alle ignorieren dieses. Doch möglicherweise ist in dieser Entwicklung gegenwärtig der „Point of no Return“ noch nicht überschritten. Vgl. hierzu meinen Text: „Herausforderungen der digitaltechnischen Revolution – Ist ein Szenario einer globalen totalitären Vergesellschaftung vermeidbar?“. Zu lesen ist dieser Text auf meiner Internetseite:
https://manfred-suchan.jimdosite.com/digitaltechnische-revolution/
394) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Grenze_zwischen_Belarus_und_Polen#Grenzzaun
395) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Białystok
396) Vgl.: https://sybir.bialystok.pl/en/
397) Siehe: Habbo Knoch: Geschichte in Gedenkstätten. Theorie-Praxis-Berufsfelder. Tübingen, 2020. S. 132.
398) Ebenda. S. 204.
399) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sibirien
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Sibiriens
400) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Verbannung
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Katorga
401) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Strafkolonie
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Sträflingskolonie_Australien
Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Bagno_(Strafanstalt)
Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Französisch-Guayanas#“Renaissance“_der_Strafkolonie
Des Weiteren: https://de.wikipedia.org/wiki/Gefängnisinsel
402) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wahrnehmungsgeographie
Zur historischen Entstehung der wahrnehmungsgeografischen Kategorie Sibirien in Europa vgl. Anmerkung 35.
403) Vgl.: Karl Schlögel: Sibirien, eine deutsche Seelenlandschaft und das Handy in der Taiga. In: Derselbe: Mariampole oder Europas Wiederkehr aus dem Geist der Städte. Frankfurt am Main, 2009. S. 217-230.
Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Edwin_Erich_Dwinger
404) Siehe ebenda. S. 220 – 222.
405) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Dreißgjähriger_Krieg
406) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_geteilter_Orte
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In den Frontstaaten beiderseits des neuen Eisernen Vorhangs – Eindrücke einer Reise nach Belarus. Textversion 01 vom 30.12.2024
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Manfred Suchan
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